Uli GrötschSPD - Automatisierte Gesichtserkennung
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir die Debatte um die automatisierte Gesichtserkennung mit dem heutigen Tag hier ins Parlament bringen. Ich glaube aber, dass es nicht ausreichen wird, darüber nur im Parlament zu debattieren. Über eine so weitgehende Frage wie die automatisierte Gesichtserkennung muss auch eine breite gesellschaftliche Debatte geführt werden. Ich bin mit meiner Kollegin Ute Vogt einig, dass es Zeit braucht, dass wir Zeit brauchen, um eine so weitgehende Frage zu diskutieren.
(Beifall bei der SPD)
Ich will auch sagen: In einer solchen Frage muss man in einer Koalition nicht einer Meinung sein und darf um die Lösung ruhig ringen. Denn eines vereint uns am Ende ja doch, nämlich dass wir eines der sichersten Länder der Welt eben noch sicherer machen wollen. Über die Frage, wie wir das machen, darf man auch streiten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wer denkt bei einer solchen Frage nicht an China, wer denkt nicht an den Film „Minority Report“, wer denkt nicht an den Orwell’schen Überwachungsstaat aus dem Buch „1984“?
(Konstantin Kuhle [FDP]: Middelberg!)
Wer stellt sich nicht die Frage nach dem Potenzial einer solchen Kamera? Es geht dabei nicht um die Frage, was man jetzt konkret macht, sondern darum, welches Potenzial eine solche Kamera, eine solche Software und natürlich auch eine solche gesetzliche Regelung hat, nämlich das Potenzial, am Ende der Big Brother aus „1984“ zu werden. Es geht bei der Frage des Einsatzes von Gesichtserkennungssoftware im öffentlichen Raum darum, dass wir damit sozusagen eine Tür aufmachen. Wir müssen in aller Breite und in aller Ausführlichkeit darüber reden, was hinter dieser Tür wartet und ob wir wirklich durch diese Tür hindurchgehen wollen. Denn wenn wir diese Tür öffnen und durch sie hindurchgehen, wenn wir die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dann werden wir diese Tür meiner Überzeugung nach nie wieder schließen können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Befürworter sagen nun, darum gehe es nicht; es gehe um die Verfolgung von Straftätern und Terrorverdächtigen. Ja, im Moment ist das wohl auch so, aber spätestens seit der Enthüllung von „China Cables“ wissen wir, dass dieselbe intelligente Technik in China massenhaft gegen die uighurische Minderheit und gegen Andersdenkende per se eingesetzt wird. Es ist, wie ich finde, auch bemerkenswert, dass gerade San Francisco, das Tech-Headquarter dieses Planeten, wenn man so möchte, seinen Behörden den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie verboten hat. Weil es also um so viel geht, ist es kein Zeichen von Schwäche, wenn Koalitionspartner über den richtigen Weg streiten.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht alles, was in San Francisco geschieht, ist vergleichbar mit deutschen Verhältnissen!)
Es geht schließlich um nichts Geringeres als den von mir auch hier immer wieder bemühten Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit, den wir Mal für Mal versuchen.
Im Übrigen – das sei auch noch gesagt – haben wir uns im Koalitionsvertrag nicht dazu verpflichtet, diese Software einzuführen; wir haben dort nur geregelt, diese Technik zu prüfen. Auch ich habe mir das Pilotprojekt am Bahnhof Südkreuz angesehen und komme – anders als die Bundesregierung – zu dem Schluss, dass jeder Falschtreffer einer zu viel ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Ich will eben nicht in Kauf nehmen, dass jeden Tag an 135 Bahnhöfen und 14 Flughäfen in diesem Land zahlreiche Bürgerinnen und Bürger falsch erkannt werden. Ich sage Ihnen: Egal ob das am Frankfurter Hauptbahnhof 230 Menschen sind oder 10: Auch 10 Menschen sind 10 zu viel; denn solch eine Identitätsfeststellung dauert – ich weiß das aus eigener beruflicher Erfahrung – ja keine fünf Minuten. Es dauert schon eine Weile, bis man weiß, ob es der Herr Grosse-Brömer ist oder dann doch der Herr de Vries, den man vor sich hat.
(Zuruf des Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU])
Das dauert eine gewisse Zeit. Ich halte das nicht für zumutbar.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende. Wir haben bei diesem Thema neben rechtlichen Fragen auch ethische Fragen zu diskutieren.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dafür brauchen wir Zeit. Diese Zeit sollten wir uns alle nehmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Benjamin Strasser, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7424638 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Automatisierte Gesichtserkennung |