30.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 143 / Tagesordnungspunkt 13

Barbara HendricksSPD - Verhältnis zwischen der EU und Israel

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst kann ich mich in der Analyse dem Kollegen Roderich Kiesewetter vollständig anschließen und brauche das hier nicht zu wiederholen. Auch Ihnen, Graf Lambsdorff, danke ich für die deutlichen Worte, die Sie gefunden haben.

Ich will mich in der Tat damit auseinandersetzen: Hat denn die AfD überhaupt das Recht, einen solchen Antrag zu stellen, oder ist das pure Heuchelei?

(Lachen bei der AfD – Beatrix von Storch [AfD]: Jetzt wird es interessant!)

Natürlich hat sie formal das Recht. Aber hat sie moralisch das Recht?

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Nein! Definitiv nein!)

Das ist doch eine Frage, die wir uns stellen können.

Ja, es ist klar: Es gibt muslimischen Antisemitismus; den gibt es in Deutschland, und den gibt es auch anderswo. Und ja, es gibt muslimisch geprägte Staaten, die die Existenz des Staates Israel leugnen und auch Israel als Staat zerstören wollen. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, und selbstverständlich ist das zu verurteilen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichwohl haben wir uns in unserem Land mit dem rechtsextrem motivierten Antisemitismus auseinanderzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD)

In einer bekannten Umfrage von Allensbach aus dem Juni des Jahres 2018 wurde die Aussage vorgestellt: „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss.“ Dem haben 55 Prozent der AfD-Anhänger zugestimmt. Bei den Anhängern anderer Parteien waren es zwischen 16 und 20 Prozent.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: So weit zur Wahrheit! – Jan Ralf Nolte [AfD]: Das ist kein Argument zu unserem Antrag!)

Das ist immer noch sehr viel; aber es sind trotzdem nicht 55 Prozent. Natürlich sind 16 bis 20 Prozent auch zu viel. Da müssen wir demokratische Parteien uns auch noch mal überlegen, was wir falsch machen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: „Wir demokratische Parteien“!)

Aber 55 Prozent der Anhänger der AfD sind dieser Auffassung.

Was haben wir in der letzten Zeit erlebt? Bei einem Besuch des ehemaligen KZ Sachsenhausen hat ein Gast von Alice Weidel die Existenz von Gaskammern in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern geleugnet. Mitglieder der AfD-Landtagsfraktion von Thüringen wollten am vergangenen Montag an einer Kranzniederlegung der Thüringer Landesregierung und des Landtages in der Gedenkstätte Buchenwald teilnehmen. Die Leitung der Gedenkstätte hat dies mit der Begründung abgelehnt, die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag habe sich nie von den Aussagen ihres Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke distanziert.

(Nicole Höchst [AfD]: Zum Antrag! – Jan Ralf Nolte [AfD]: Ganz schwach, Frau Hendricks! Sie sagen nichts zum Antrag!)

Man mag diese Maßnahme kritisch sehen. Aber immerhin: Der Leiter der Gedenkstätte verfügt über das Hausrecht, und er kann in der Tat entscheiden, wen er für nichtadäquate Besucher in der Gedenkstätte hält. Das hat er getan.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Erndl [CDU/CSU])

Man darf vielleicht daran erinnern: Höcke forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, er spricht von einem Mahnmal der Schande inmitten der Hauptstadt – Graf Lambsdorff erwähnte es schon –, und er bezeichnete die Aufarbeitung der NS-Zeit als „dämliche Bewältigungspolitik“.

(Beatrix von Storch [AfD]: Kommen Sie doch mit wenigstens einem Wort zum Antrag!)

Er warnt vor einer „kleinen Geldmachtelite“ und bezeichnet den Mäzen George Soros als „weltweit fanatischsten Kämpfer gegen Souveränität und Demokratie“ mit „völkerauflösendem, perversen Geist“. So weit Herr Höcke in einigen Äußerungen.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Pfui Teufel!)

Gleichzeitig sagt der AfD-Fraktionsvorsitzende Gauland, Höcke stehe in der Mitte der Partei, und Herr Gauland spricht auch vom Nationalsozialismus als einem „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Noch einmal pfui! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann will ich nicht wissen, was da rechts ist in der Partei! – Nicole Höchst [AfD]: Zur Sache!)

Ein antisemitischer Abgeordneter des baden-württembergischen Landtags, der laut Gerichtsbeschluss „Holocaustleugner“ genannt werden darf, ist nach wie vor Mitglied der AfD. Die Landtagsfraktion hat ihn nicht ausgeschlossen, weil es dafür keine Zweidrittelmehrheit gab, die notwendig gewesen wäre.

Ein Abgeordneter dieses Hauses schrieb daraufhin an einen Verleger in einem 2016 veröffentlichten Briefwechsel – ich zitiere –:

Ich möchte weiterhin die heuchlerischen politischen Instrumentalisierungen des Holocaust kritisieren können, ich möchte nicht schweigen müssen, wenn unsere Bundeskanzlerin die Torheit begeht, die Verteidigung des Staates Israel zur Staatsräson Deutschlands zu erklären.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war Jongen!)

Das war der Abgeordnete Marc Jongen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sage ich doch!)

Übrigens – Graf Lambsdorff sagte es schon –: Die israelische Regierung lehnt jedweden Kontakt zur AfD ab. Die Anfang des Jahres geplante Reise einer Delegation des brandenburgischen Landtags nach Israel musste abgesagt werden, da die AfD-Abgeordneten in Israel nicht willkommen waren. Das kann man gut verstehen,

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn man die Person des Partei- und Fraktionsvorsitzenden in Brandenburg betrachtet.

Hingegen: AfD-Bundestagsabgeordnete reisten Ende November nach Syrien und trafen sich mit Vertretern von Diktator Assad. Syrien befindet sich, wie wir wissen, nach wie vor mit Israel im Kriegszustand.

Der Bundespräsident hat am Mittwoch im Bundestag Folgendes gesagt: Wenn wir die deutschen Verbrechen gegen Jüdinnen und Juden verharmlosen, verhöhnen wir die Opfer. – Das Programm der AfD ist nicht antisemitisch.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Aha!)

Aber die AfD gibt Antisemiten eine politische Heimat.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Und darum schlussfolgere ich: Der heute vorliegende Antrag ist nicht wirklich ernst gemeint, er ist heuchlerisch. Die AfD gibt sich lediglich den Anschein, gegen den Antisemitismus anzugehen. Ihr Ziel ist es, die Wählerinnen und Wähler glauben zu machen, die AfD sei eine bürgerliche Partei. Das sind Sie nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Die undemokratischen völkischen Kräfte gewinnen nach und nach die Mehrheit in der AfD, und Antisemiten haben in dieser Partei, wie eben schon ausgeführt, eine politische Heimat. Dem werden wir uns entgegenstellen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. André Hahn.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7424697
Wahlperiode 19
Sitzung 143
Tagesordnungspunkt Verhältnis zwischen der EU und Israel
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