31.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 144 / Tagesordnungspunkt 22

Kirsten LühmannSPD - Verkehrsinfrastruktur

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Für die Realisierung unserer Verkehrsinfrastrukturvorhaben muss sich eine Planungs- und Beteiligungskultur etablieren, die sich auf allen Seiten durch ein offenes und vor allem lösungsorientiertes Miteinander auszeichnet. Vorbehalte betroffener Bürgerinnen und Bürger müssen ernst genommen werden. Zugleich lohnt es sich im Sinne der Projektoptimierung, den vor Ort artikulierten Sachverstand zu nutzen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das steht im Vorwort des „Handbuches für eine gute Bürgerbeteiligung“, und das gibt es bereits seit 2014 – ein hervorragendes Werk; ich empfehle es jedem und jeder zur Lektüre.

Aber was ist das Problem? Es wurde hier schon angesprochen: Die Anwendung dieses Handbuches ist nicht verpflichtend. Warum wird es so selten angewandt? Zum einen kostet gute Bürgerbeteiligung Geld. Zum anderen glauben immer noch viele Planer und Planerinnen, gute Bürgerbeteiligung koste zu viel Zeit. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein gravierender Fehler.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, einen verstärkten Ausbau von Bahn und Wasserstraßen. Wir haben in diesem Haus für alle Verkehrsträger, aber insbesondere für diese beiden sehr viel Geld zur Verfügung gestellt. Ich glaube, dass die Menschen in diesem Lande von uns nicht nur erwarten, dass wir das Geld zur Verfügung stellen, sondern auch, dass wir dafür sorgen, dass damit die dringend benötigte Infrastruktur auch gebaut werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber jede Baumaßnahme belastet die Anwohnenden durch Lärm, durch Erschütterungen, durch Flächenverbrauch. Natürlich: Wer davon betroffen ist, wird sich auch mit einer Klage zur Wehr setzen. Unsere Idee ist jetzt: Wenn wir diese vorgezogene Bürgerbeteiligung machen und die ganzen Bedenken jetzt schon im Vorfeld aufnehmen, dann wird es später, bei den Erörterungsterminen, weniger Probleme geben. Das heißt, wir können schneller bauen und nicht langsamer.

Aber die Frage ist: Was ist gute Bürgerbeteiligung? Gute Bürgerbeteiligung ist nicht das, was ich eben gehört habe; es geht nicht um die Frage, ob wir bauen oder nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ob haben wir im Bundesverkehrswegeplan geklärt. Das ist erledigt. Gute Bürgerbeteiligung heißt aber, dass man sich über das Wie Gedanken macht, und zwar nicht so, dass einem die Varianten eins und zwei hingeschmissen werden, und dann kann man wählen, und das war’s. Gute Bürgerbeteiligung heißt vielmehr: Die Menschen werden von Anfang an bei der Entwicklung dieser Varianten einbezogen. Das wollen wir mit diesem Gesetz realisieren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Christoph Ploß [CDU/CSU])

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Keul?

Ja.

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Frau Kollegin, Sie haben ja jetzt noch mal betont, wie wichtig Bürgerbeteiligung, Vertrauen und Akzeptanz sind. Das teile ich alles. Aber wieso meinen Sie, dass die Menschen, zum Beispiel auch in dem Gebiet zwischen Hannover und Bielefeld, jetzt mehr Vertrauen in die Bürgerbeteiligung haben sollten, wenn man ihnen von vornherein klarmacht, dass sie keine Klage mehr gegen einen Verwaltungsakt erheben können, und man ihnen den Rechtsweg abschneidet, indem jetzt der Bundestag anstelle einer Planungsfeststellungsbehörde entscheidet, was jedoch überhaupt nicht unsere Aufgabe ist und was die Experten überwiegend als verfassungswidrig bezeichnet haben? Warum soll ausgerechnet dieses Gesetz das Vertrauen der Bürger in die Prozesse erhöhen?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank für die Frage. – Ich glaube, wir können das Vertrauen gerade dieser, aber auch anderer Bürgerinnen und Bürger dadurch erlangen, dass wir ihnen sagen, was in diesem Gesetz wirklich steht. In diesem Gesetz steht nicht, dass wir die Bürgerbeteiligung beim möglichen Bau einer neuen Bahnstrecke Hannover–Bielefeld mit einem Maßnahmengesetz dieses Bundestages beenden werden; das steht da ausdrücklich nicht.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann streichen wir es doch!)

– Nein, das steht da nicht.

Da steht etwas drin, was für die Bürgerbeteiligung sehr von Vorteil sein wird, insbesondere bei dieser Strecke, nämlich dass eine frühzeitige Bürgerbeteiligung verpflichtend ist, also nicht eine nette Geste der Bahn oder von uns. Die Bürgerinnen und Bürger haben also ein Recht darauf. Sie haben auch ein Recht auf eine bestimmte Qualität der Bürgerbeteiligung. Das haben wir ja gerade in unserem Änderungsantrag festgeschrieben. Auch dass diese Bürgerbeteiligung zusätzlich ist, es also eine weitere Bürgerbeteiligung in dem normalen, anschließenden Planfeststellungsverfahren gibt, haben wir im Änderungsantrag festgeschrieben. Das heißt, wir weiten Bürgerbeteiligung aus; wir schränken sie nicht ein.

Und Sie haben recht: Am Ende dieses Planungsverfahrens steht nicht automatisch das Maßnahmengesetz im Bundestag – Sie haben ja die verfassungsrechtlichen Bedenken angesprochen –, sondern dann muss abgewogen werden, auch für das Projekt Hannover–Bielefeld: Kann man ein Maßnahmengesetz machen? Sind die Vorteile der Beschleunigung dieser Maßnahmen so groß, dass die Nachteile, die Sie angesprochen haben – dass man nur noch einen Klageweg hat –, dadurch aufgehoben werden? Das ist ein Abwägungsprozess, den uns das Verfassungsgericht aufgegeben hat. Der wird auch bei Hannover–Bielefeld zwingend sein.

Bei diesem Verfahren kann durchaus herauskommen, dass man sagt: Nein, mit einem Planfeststellungsverfahren geht es genauso schnell. – Dann übrigens ist das Maßnahmengesetz verboten. Dann können wir nicht sagen: Wir wollen das, das ist hübscher. – Dann dürfen wir es nicht, und dann wird es auch nicht kommen.

Ich glaube, wenn wir den Menschen klarmachen, dass dieses Maßnahmengesetz für Hannover–Bielefeld nur kommt, wenn alle Bedingungen des Verfassungsgerichtsurteils erfüllt sind – das heißt, wenn der Vorteil für die Allgemeinheit den Nachteil, dass man nur einen Klageweg hat, überwiegt –, dann wird es kommen. Der Vorteil dabei ist, dass sie eine bessere Bürgerbeteiligung haben. Ich glaube, dann können wir das – wie Sie zu Recht ansprechen: verlorengegangene – Vertrauen wiedergewinnen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt habe ich schon viel dazu gesagt, wie das Verfahren laufen wird. Es wird nicht nur bei Hannover–Bielefeld so laufen, sondern es wird bei allen Verfahren so laufen. Das heißt, zusammenfassend kann ich feststellen:

Wir haben erstens nicht weniger Bürgerbeteiligung, sondern wir haben mehr Bürgerbeteiligung. Das legen wir mit unserem Änderungsantrag noch mal fest.

Das Zweite ist: Nicht alle diese 14 Projekte, die jetzt auf der Liste stehen, werden mit einem Maßnahmengesetz beendet werden – davon bin ich fest überzeugt –, sondern nur wenige: die, die geeignet sind.

Das Dritte ist aber: Für alle diese 14 Projekte wird es einen sofortigen Einstieg in die vorgezogene Bürgerbeteiligung geben. Wir haben aus dem Ministerium gehört, dass das gemacht wird. Das heißt, für diese 14 Projekte gibt es nicht nur eine bessere Bürgerbeteiligung, sondern auch eine Beschleunigung des Verfahrens.

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich glaube, die Menschen in diesem Land erwarten von uns, dass wir uns kümmern, damit wir einen schnelleren Ausbau von klimaneutralen Verkehrswegen haben, dass wir neue Verfahren testen, dass wir Erfahrungen sammeln und dass wir beim Verfahren Verbesserungen vornehmen. In diesem Sinne rufe ich Sie auf: Lassen Sie uns gemeinsam aktiv werden, im Sinne der Menschen, im Sinne der Mobilität und im Sinne des Klimaschutzes!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege Oliver Luksic.

(Beifall bei der FDP)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7424821
Wahlperiode 19
Sitzung 144
Tagesordnungspunkt Verkehrsinfrastruktur
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