31.01.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 144 / Zusatzpunkt 10

Lothar BindingSPD - Steuerentlastungsgesetz 2020

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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im ersten Moment dachte ich, das Konzept der FDP wäre fast ein SPD-Konzept, bis ich mal genauer hingeguckt habe. Ich habe nämlich geguckt: Wer im Staat zahlt gar keine direkten Steuern, wer zahlt mittelmäßig viel Steuern, und wer zahlt richtig viel Steuern? – Jetzt kann man sagen: Ihr Konzept hilft denen, die keine Steuern zahlen, nicht. Sie zahlen allerdings indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer; die ärmeren Leute sind durch die Mehrwertsteuer sehr stark belastet.

(Michael Theurer [FDP]: Wer hat denn die Mehrwertsteuer erhöht? – Christian Dürr [FDP]: Aber erhöht haben Sie sie doch, Herr Binding!)

Die Bezieher mittlerer Einkommen entlasten Sie. Das ist der Teil, den auch die SPD im Blick hat: Wir wollen bei den mittleren Einkommen entlasten, und zwar ungefähr bis zu dem Punkt, den auch Sie nennen, nämlich 90 000 oder 100 000 Euro.

Und dann habe ich gefragt: Ab wann entlastet eigentlich Ihr Konzept maximal?

(Fabio De Masi [DIE LINKE]: Ich habe das schon gesagt!)

Kollege De Masi hat es gesagt: Ab 90 000 Euro werden die Menschen maximal entlastet, und zwar egal, wie viel darüber hinaus sie verdienen – sie werden immer stärker entlastet.

Und jetzt kommen wir mit dem SPD-Konzept, das zu einer gewissen Gerechtigkeit führt.

(Zurufe der Abg. Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU] und Markus Herbrand [FDP])

Wir sagen: Wir entlasten in einer Größenordnung bis 100 000 Euro, wir verschieben aber auch den Punkt, ab dem der Spitzensteuersatz gilt, nach rechts.

(Markus Herbrand [FDP]: Binding für Flat Tax! – Zuruf des Abg. Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU])

– Ja, Hans, du sagst jetzt, das soll man nicht machen, weil du ja auch in der Kategorie liegst.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen jedenfalls die Steuern der richtig Reichen anheben. In der Nachkriegszeit hatten wir schon Steuern von 93 Prozent – „93“ habe ich gesagt; das war kein Versprecher –, und alle haben es überlebt.

Weil Sie von der FDP eine solche Antwort schuldig geblieben sind, war es wichtig, bei Wiebke Esdar hinzuhören, die erklärt hat, wie unser Konzept funktioniert. Auch der Kollege Strengmann-Kuhn hat erklärt, warum Ihr Konzept so sozial ungerecht ist:

(Christian Dürr [FDP]: Aber Herr Kahrs sagt doch das Gleiche! Warum beschimpfen Sie Johannes Kahrs?)

weil Sie die Reichsten am stärksten entlasten. Wie kann man das nur machen? Vor allen Dingen kostet das alle anderen 21 Milliarden Euro. Ohne Gegenfinanzierung ein Gesetz vorzulegen, ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Warum beschimpfen Sie Johannes Kahrs, Herr Binding?)

Sie sagen noch etwas: Sie sagen, am Anfang sei der Anstieg des Durchschnittssteuersatzes am steilsten. – Ihr Gesetz hilft dagegen aber gar nicht; Ihr Gesetz belässt es dabei. Ich will Ihnen sagen: Das ist mathematisch auch gar nicht anders möglich.

(Christian Dürr [FDP]: Aber Johannes Kahrs will das auch und die Seeheimer bei Ihnen!)

Ihre Antwort, das mache halt die Mathematik, ist falsch. Das macht die Politik, nämlich Ihre Politik.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege Binding, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Theurer?

Ja, gern.

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege Binding, Sie haben hier den Eindruck erweckt, das FDP-Konzept sei besonders unsozial.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Und womit? Mit Recht!)

Dabei rekurrieren Sie aber auf einen Effekt, der durch die Progression entstanden ist.

Erstens. Sind Sie bereit, einzugestehen, dass der von Ihnen angesprochene Entlastungseffekt überhaupt nichts mit einer Parteipräferenz zu tun hat, sondern dem deutschen Steuersystem wegen der Progression immanent ist? Zweitens. Wo, an welchem Punkt, ist denn bei Ihrem Konzept der Belastungseffekt am höchsten?

(Beifall bei der FDP)

Erst einmal haben Sie recht: Die Progressionseffekte führen immer dazu, dass die Entlastungswirkung, wenn man Steuern senkt, bei den Reichen am größten ist.

(Zurufe von der FDP: Aha!)

– Schön langsam, immer schrittweise! Es ist immer gut, wenn man die einzelnen Rechenschritte mitverfolgt. – Sie können aber im SPD-Konzept nachlesen, wie man diesen Mangel heilt: indem man bei denen, die sehr viel verdienen, den Steuersatz erhöht

(Dagmar Ziegler [SPD]: Genau! Ganz einfach!)

und möglicherweise sogar die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bemessungsgrundlage verkleinert. Weniger Gestaltung, höherer Steuersatz – und schon haben Sie die Reichen im gebotenen Maße am Gemeinwesen beteiligt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Über diesen Weg kann man die Progressionswirkung, die Sie berechtigterweise beschreiben, kompensieren. Sozialpolitik heißt auch: Man muss ungleiche Verhältnisse kompensieren, das heißt zusammenführen;

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das versteht er nicht!)

denn eine Spaltung in der Gesellschaft ist kontraproduktiv, ja sogar wirtschaftsfeindlich.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo der Effekt unseres Konzeptes am größten ist, kann ich Ihnen sagen. Progression bedeutet ja nicht nur, dass jemand, der mehr verdient, mehr Euro bezahlt; das heißt es auch. Sie bedeutet auch: Je reicher man ist, desto höher ist der Grad der prozentualen Belastung des Einkommens, aber er bewegt sich asymptotisch zu einem oberen Wert. Der obere Wert in unserem Konzept liegt bei 49 Prozent. Jemand, der am Tag 50 000 Euro verdient, der kann auch durchaus knapp 25 000 Euro am Tag abgeben; denn mit 25 000 Euro am Tag müssen die Leute noch zurechtkommen, wenn sie sich anstrengen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sprechen im Zusammenhang mit der Steuerquote von einer „unaufhörlichen Steigerungsspirale“. Ich will Ihnen sagen: Die Steuerquote war ab 1960 mal ein bisschen höher, mal ein bisschen niedriger. 1980 lag sie bei 23,8 Prozent,

(Christian Dürr [FDP]: Was ist mit Herrn Kahrs?)

2004 bei 20,6 Prozent, und heute ist sie so hoch wie 1980. Das ist also kein Problem.

Zu den steuerlichen Entlastungen hat Wiebke Esdar schon vorgetragen. Ich will das aus Zeitgründen nicht wiederholen.

(Christian Dürr [FDP]: Herr Binding, was ist mit Herrn Kahrs?)

Ich will vielleicht nur der FDP sagen: Wer so eine Politik macht und mehr will, als wir jetzt tun, der muss eine korrekte Problembeschreibung vornehmen. Andernfalls kann er die Probleme nicht lösen, weil er sie falsch beschrieben hat. Das ist Ihrem Gesetzentwurf immanent, und deshalb lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] – Christian Dürr [FDP]: Und was ist mit Herrn Kahrs?)

Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Mit diesen Worten beende ich die Aussprache.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7424858
Wahlperiode 19
Sitzung 144
Tagesordnungspunkt Steuerentlastungsgesetz 2020
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