12.02.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 145 / Tagesordnungspunkt 3

Sascha RaabeSPD - Vereinbarte Debatte 40 Jahre Nord-Süd-Bericht

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute über den Nord-Süd-Bericht von Willy Brandt aus dem Jahr 1980, der am 12. Februar vorgelegt wurde. Daraus wurde schon oft zitiert. Willy Brandt hat gesagt:

Wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben. Wer den Krieg ächten will, muß auch die Massenarmut bannen.

Im moralischen Sinn macht es keinen Unterschied, ob ein Mensch im Krieg getötet wird oder durch die Gleichgültigkeit anderer zum Hungertod verurteilt ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts von fast 20 000 Menschen, die pro Tag an Hunger und Armut sterben müssen, werde ich jetzt nicht auf meinen Vorredner eingehen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil ich der Meinung bin, dass man Willy Brandts Satz abwandeln könnte – Herr Frohnmaier, Sie sind doch schon so lange mit uns im Ausschuss –: Wo Dummheit und Ignoranz herrschen, haben Argumente keinen Bestand. – Deswegen nützt es gar nichts, mit Ihnen darüber zu reden.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Rüdiger Lucassen [AfD]: Wahnsinnsargument!)

Sie sprechen angesichts von Menschen, die ertrinken, von Wassertaxen, die über das Meer fahren, und behaupten immer wieder, wir würden an China und an Indien Entwicklungsgelder geben,

(Markus Frohnmaier [AfD]: Machen wir doch!)

obwohl wir Ihnen im Ausschuss schon hundertmal erklärt haben, dass das nicht stimmt. Ich sage es noch einmal für die Öffentlichkeit – nicht wegen Ihnen –: Nein, es gibt keine Entwicklungszusammenarbeit mit China,

(Markus Frohnmaier [AfD]: Zinsvergünstigte Kredite!)

für die Steuergelder eingesetzt werden, und auch in Indien sind es in der Regel Kredite

(Markus Frohnmaier [AfD]: Ja!)

für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, die zurückgezahlt werden müssen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den Unterschied kennt er nicht!)

Natürlich werden wir weiterhin mit globalen Partnern zusammenarbeiten, damit wir das Klima schützen können. Aber wir helfen nicht mit Steuergeldern, sondern mit Know-how-Transfer oder, wenn überhaupt, mit Krediten, die zurückgezahlt werden müssen.

(Ulli Nissen [SPD]: Genau!)

Die Kolleginnen und Kollegen wissen das – Sie wollen es nicht wissen. Aber ich wollte es einmal gesagt haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin froh, dass es uns, anders als denen rechts außen, nicht gleichgültig ist, ob Menschen den Hungertod sterben.

(Markus Frohnmaier [AfD]: Haben wir doch gar nicht gesagt!)

Sie kennen mich – ich bin seit 2002 im Parlament –: Ich hätte mir auch gewünscht, dass wir das, was Willy Brandt 1980 wollte, nämlich, wie Herr Minister Müller es auch schon gesagt hat, eine ODA-Quote von 0,7 Prozent bis 1985, schon früher erreicht hätten. Es ist aber auch wahr, dass der Etat des Entwicklungsministeriums, nachdem wir unter Entwicklungsminister Niebel die berühmte Niebel-Delle hatten und der Entwicklungsetat vier Jahre stagniert hatte,

(Ulli Nissen [SPD]: War das der mit dem Teppich?)

bei etwa 6 Milliarden Euro lag, als die SPD zusammen mit der CDU/CSU an die Regierung gekommen ist.

Jetzt sind wir bei fast 11 Milliarden Euro. Wir haben die ODA-Mittel allein in den letzten drei Jahren um jeweils 1 Milliarde Euro erhöht, also dreimal hintereinander gesteigert. Ich finde, das ist etwas, worauf wir stolz sein können. Aber es geht nicht darum, dass wir stolz sind, vielmehr haben wir damit ganz vielen Menschen geholfen

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Stefinger [CDU/CSU])

und haben auch Menschen vor dem Hungertod gerettet, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Das machen wir nicht allein aus einer humanitären Verantwortung heraus – das würde schon reichen –, sondern es ist das, was Willy Brandt gesagt hat: Es geht auch um gemeinsame Interessen. – Er hat 1980 schon erkannt, dass wir nur so unsere natürlichen Ressourcen schützen können, dass wir auch ökonomisch ein Interesse daran haben müssen – das steht da wörtlich drin –, dass die Kaufkraft in den Entwicklungsländern steigt und sie einen größeren Anteil am Weltmarkt haben. Er hat auch gesagt: Höhere Löhne in den Entwicklungsländern helfen auch uns, helfen dabei, auch hier Arbeitsplätze zu sichern. Denn wenn Menschen auch von uns etwas kaufen können, hilft das auch hier bei der Sicherung von Arbeitsplätzen. Deswegen geht es nicht nur darum, dass wir helfen wollen, sondern es ist in unserem gegenseitigen Interesse, die Globalisierung fair zu gestalten. Deswegen brauchen wir in der Tat auch ein Lieferkettengesetz, das jetzt schnell kommen muss.

Wir haben gerade in diesen Tagen die Diskussion über das Durchführungsgesetz zur EU-Konfliktminerale-Verordnung. Wir Sozialdemokraten können stolz darauf sein, dass wir es waren, die am Ende mit Wirtschaftsminister Gabriel in Brüssel dafür gesorgt haben, dass es erstmals eine verpflichtende Regelung gibt. Unternehmen müssen jetzt verantwortlich nachweisen, dass nicht mehr mit Kinderhänden blutig in Minen geschuftet wird, und das ist auch gut, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das müssen wir jetzt in einem Lieferkettengesetz auf alle Bereiche ausweiten. Ich bin Gerd Müller und Hubertus Heil sehr dankbar, dass sie das voranbringen. Aber ich sage auch: Es darf nicht sein, dass Peter Altmaier, dass das Wirtschaftsministerium gemeinsam mit Funktionären vom BDI versucht, die Regeln aufzuweichen und am Ende das Gesetz immer weiter nach hinten zu schieben.

Ehrbare Unternehmer – es gibt Gott sei Dank viel mehr verantwortungsvolle Unternehmer als schwarze Schafe – wollen die gleichen Wettbewerbsbedingungen haben.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn sie sich fair verhalten, wollen sie auch verbindliche Regelungen. Deswegen brauchen wir gesetzlich verpflichtende Regeln. Es muss selbstverständlich sein, dass es keine Ausbeutung durch Kinderarbeit und keine Zwangsarbeit gibt. Das ist eine Frage, die eigentlich längst überfällig ist. Es ist doch klar, dass so etwas auch gesetzlich geregelt werden muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Sinne: Willy Brandt, du hast recht gehabt. Wir werden das jetzt umsetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU])

Der Kollege Till Mansmann ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7427243
Wahlperiode 19
Sitzung 145
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte 40 Jahre Nord-Süd-Bericht
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