13.02.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 146 / Tagesordnungspunkt 8

Stephan ThomaeFDP - Islamismus in Deutschland

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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege de Vries, Sie haben es völlig richtig gesagt: Jeder Extremismus ist von Übel, egal ob von rechts oder von links oder islamistisch motiviert. Jeder Extremismus ist eine Herausforderung, eine Belastungsprobe, ein Stresstest für die freiheitliche Demokratie.

Extremismus ist aber immer mehrdimensional, er ist nie monokausal, er ist nie eindimensional, sondern er ist immer ein vielschichtiges Phänomen. Deswegen braucht es auch zur Bekämpfung von Extremismus immer mehrdimensionaler Konzepte. Es kommt nämlich darauf an, wo jemand gerade steht. Wenn jemand sich längst radikalisiert hat, dann brauchen wir natürlich die polizeiliche Gefahrenabwehr, dann brauchen wir natürlich robuste strafrechtliche Mittel. Dann muss aber auch im Strafvollzug ein Deradikalisierungskonzept greifen können, und daran fehlt es zurzeit noch. Da haben wir im Augenblick zu wenig zu bieten, um sicher sein zu können, dass jemand, der eine Strafe verbüßt, am Ende, wenn er seine Freiheitsstrafe verbüßt hat, deradikalisiert entlassen wird.

(Beifall bei der FDP)

Wichtig ist – Herr Kollege de Vries, auch das haben Sie schon angesprochen –: Wir brauchen eine tragfähige, belastbare, funktionierende Ursachenbekämpfung. Wir brauchen Präventionskonzepte; denn besser als jede Bekämpfung von extremistischen Straftaten ist es doch, die Ursachen zu bekämpfen, also dafür zu sorgen, dass eine Radikalisierung gar nicht erst stattfindet.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei kommt es nicht darauf an, dass wir sinnlos nachschärfen bei polizeilichen Vorschriften oder beim Strafrecht. Das ist das Thema, das Sie in Ihrem Antrag angehen. Ich war sehr überrascht, zu lesen, dass Sie israelische Sicherheitskonzepte in Deutschland implantieren wollen. Meine Damen und Herren, die Sicherheitsprobleme Israels sind ganz anderer Natur als die Probleme, die wir in unserer Gesellschaft haben. Israel befindet sich in einer Art militärischem Abwehrkampf gegen Terrorismus. Wir haben mit ganz anderen Phänomenen zu kämpfen. Mir kommt es ein bisschen so vor, als würden Sie sozusagen am Knie operieren wollen, obwohl sich jemand die Schulter gebrochen hat. Wir müssen schon überlegen: Was sind unsere Probleme? Wo müssen wir hier ansetzen? Die Situation bei uns ist ganz anders als in Israel.

Wir müssen uns überlegen, wie wir die Entstehungsgründe für Extremismus trockenlegen können. Darauf kommt es an. Um die Entstehungsgründe trockenlegen zu können, müssen wir sie verstehen. Sie sind manchmal ideologischer Natur, häufig aber auch psychologischer oder soziologischer Natur. Auf diese Entstehungsgründe müssen wir gesellschaftspolitische Antworten finden und nicht in erster Linie sicherheitspolitische.

Wir müssen bei der Jugend ansetzen, in der Lebensphase, in der sich Menschen typischerweise radikalisieren.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)

Welche Entstehungsgründe gibt es bei jungen Leuten? Was sind die psychologischen, soziologischen Hintergründe? Denn in jungen Jahren, in frühen Lebensphasen entsteht die Anfälligkeit für Extremismus und Radikalisierung, aber eben auch die Resilienz, die Widerstandskraft, die Abwehrkraft gegen die Versuchungen radikaler Tendenzen. Deswegen müssen wir hier ansetzen.

Da kann es auch ein Instrument sein, Organisationen zu verbieten; aber durch eine möglicherweise zu starke Sicherheitspolitik kann auch genau das Gegenteil des Angestrebten erreicht werden: Sie verstärken Radikalisierungstendenzen, und damit machen Sie es sich dann sogar noch schwerer. Oder: Durch das Verbot von Organisationen verschwindet ja auch nicht das Gedankengut, das zur Radikalisierung führt, verschwinden nicht die Menschen, die radikalisieren; Sie drängen sie vielmehr in den Untergrund, und es wird dadurch schwerer, den Extremismus zu bekämpfen. Man muss also jedes Mal genau überlegen, zu welchen Mitteln man greift

Deswegen ist Ihr Antrag zu reaktiv, er ist zu eindimensional, er ist unterkomplex für ein komplexes Problem. Das Problem ist komplex, deswegen brauchen wir auch komplexe, mehrdimensionale Antworten. Das leistet Ihr Antrag nicht. Deswegen ist Ihr Antrag schlecht, und deswegen gibt es für uns nur eine Antwort: ihn am Ende abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])

Uli Grötsch, SPD, hat als Nächster das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7427502
Wahlperiode 19
Sitzung 146
Tagesordnungspunkt Islamismus in Deutschland
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