13.02.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 146 / Tagesordnungspunkt 8

Helge LindhSPD - Islamismus in Deutschland

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Rede soll ein Bekenntnis sein. Sie soll ein Bekenntnis einer Schuld sein. Das ist meines Erachtens längst überfällig.

Gerade dieser Antrag gebietet es, daran zu erinnern, was wir brauchen. Wir brauchen ernsthaft einmal ein Denkmal in unserem Herzen, unserem Hirn und unserem Handeln für die Leistungen, die Musliminnen und Muslime in den letzten Jahrzehnten in diesem Land für dieses Land erbracht haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Und wir brauchen ein Mahnmal in unserem Herzen, unserem Hirn und in unserem Handeln für das, was an Gewalt und Missachtung Musliminnen und Muslimen in diesem Land in den letzten Jahrzehnten widerfahren ist. Im Namen aller, die in der Vergangenheit und gegenwärtig in der politischen Kultur und in der politischen Klasse dieses Landes Verantwortung tragen, sage ich jetzt hier: Ich entschuldige mich dafür, für diese Diskurse der letzten Jahrzehnte,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

diese unnützen, diskriminierenden, stigmatisierenden Islamdebatten. Wir haben so viele davon erlebt. Wir alle in diesem Raum wissen das genau, und alle wissen, dass die AfD letztlich auch ein Ergebnis genau dieser Debatten ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist eine Lehre der Schande von Thüringen? Eine Lehre von Thüringen ist: Man spielt nicht mit der Demokratie. – Genau das aber tut die AfD.

(Beifall bei der SPD)

Wer mit der Demokratie spielt, der spielt mit Menschen,und dieses Spiel hat auch Opfer.

(Beatrix von Storch [AfD]: Die Kinder von Herrn Kemmerich zum Beispiel!)

Insbesondere sind Muslime aktuell und in der Vergangenheit Opfer dieses perfiden Spiels.

Weil das so ist, stehen wir als SPD-Fraktion

(Tino Chrupalla [AfD]: Am Abgrund!)

ganz entschieden nicht an der Seite von Michael Heym, Fraktionsvize der CDU in Thüringen, sondern ganz entschieden an der Seite von Angela Merkel. Und weil das so ist – –

Herr Kollege, guten Morgen erst einmal, –

Guten Morgen.

– erlauben Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen von der AfD?

Ich erlaube sie und hoffe, dass er die Frage vorher auch gut auswendig gelernt hat und sie sauber aufsagen wird.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Lieber Herr Kollege, es gab keine Gelegenheit, eine Frage auswendig zu lernen, weil wir alle überrascht sind, wie Sie von dem Thema dieser Debatte abweichen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist das Thema!)

Aber da Sie das tun, möchte ich gerne hier zum Fall Thüringen eine Frage stellen; denn Sie haben das offenkundig gerade selbst zum Thema gemacht und hier kundgetan, man hätte hier die Demokratie irgendwie beschädigt. Dann erklären Sie doch bitte einmal sowohl mir als auch den Zuschauern auf der Tribüne und auch draußen,

(Aydan Özoğuz [SPD]: Die haben das schon verstanden!)

wie es eigentlich funktionieren kann, dass, wenn ein – dann demokratisch gewählter – Ministerpräsident von den Mitgliedern des Parlaments gewählt wird und eine rechtsstaatliche Partei von ihrem Recht Gebrauch macht, einen sozialistischen Ministerpräsidenten nicht zu wählen,

(Uli Grötsch [SPD]: Wir führen keine Thüringen-Debatte hier!)

das in irgendeiner Weise die Demokratie beschädigen soll, oder welche Rechtsgrundlage Sie dafür sehen, dass dies eben nicht rechtens sein soll. Das müssten Sie uns allen hier noch einmal erklären, bitte.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Bevor jetzt Kollege Lindh das Wort hat, kann ich nur darauf hinweisen, dass das ein anderes Thema ist und dass wir dazu eine Aktuelle Stunde haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber Herr Lindh hat die Möglichkeit, darauf zu antworten.

Ja, mit Freude antworte ich, weil es natürlich zusammenpasst. Sie können das ja in der Aktuellen Stunde noch ausführen; es wird aber nicht besser werden.

Thüringen ist das Beispiel für einen perfiden spielerischen – im schlechten Sinne –, destruktiv-spielerischen Umgang mit der Demokratie. Und genau das machen Sie hier auch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auf dem Antrag steht zwar „Islamismus“, aber Ihnen ist – sprechen wir es auf Deutsch aus – Islamismus doch scheißegal, wenn ich das hier sagen darf. Es interessiert Sie nicht.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was ist das denn für eine Sprache?)

Das Thema dieses Antrages ist antimuslimischer Rassismus und Islamhass; nichts anderes streben Sie damit an.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen rede ich sehr wohl zum Thema, ich rede genau zum Thema. Jedes andere Thema wäre verfehlt. Und deshalb werde ich auch weiter zu diesem Thema reden und werde weiter sagen: Wir stehen an der Seite all derer – ich erwähne jetzt zum Beispiel Marco Wanderwitz, auch wenn ich ihn hier gar nicht sehe; aber es betrifft auch andere –, die ganz klar Widerspruch üben gegen jede Form des Kompromisses mit der Form von Politik, die Sie betreiben, und wir halten als Demokratinnen und Demokraten hier in diesem Hause alle zusammen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was haben die erlebt, und weshalb halte ich es für notwendig, dieses Bekenntnis der Schuld abzugeben? Es vergeht keine Veranstaltung zum Thema Islam oder Muslime oder Migration, in der nicht nach fünf bis zehn Minuten der Hinweis auf Verfassungstreue kommt. Haben Sie sich einmal überlegt, wie sich Muslime fühlen, wenn man sie immer damit konfrontiert, als ob man ihnen erklären müsste, was Demokratie und Verfassung seien? Lesen Sie die Werke von Hilal Sezgin. In jeder ihrer Lesungen steht irgendwann eine selbsternannte Bildungsbürgerin oder ein selbsternannter Bildungsbürger auf, liest ihr beispielsweise eine Sure vor und erklärt ihr, wie schrecklich frauenfeindlich, menschenfeindlich und demokratiefeindlich der Islam sei, und sie muss sich rechtfertigen und erklären.

Was ist in den Moscheen los gewesen? Ich habe es erlebt, ich war nämlich nach dem Anschlag von Christchurch da, als Menschen verängstigt waren und hofften, Polizeischutz zu bekommen. Was bedeutet es für Musliminnen und Muslime, dass gestern wieder in vier Moscheen in Nordrhein-Westfalen Morddrohungen eingegangen sind, eine Morddrohung in Hagen unterschrieben mit „Combat 18“? Was macht das mit Menschen? Stellt sich einer in diesem Hause diese Frage? Nein! Das ist genau das Thema Ihres Antrages: der Islamhass und die Islamophobie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Hess [AfD]: Das Thema dieses Antrags ist der Schutz unserer Bevölkerung!)

Deshalb gehe ich noch weiter; denn wir haben die Souveränität, auch auf uns selbst zu schauen. Ich schäme mich ausdrücklich, dass aus meiner Partei ein Thilo Sarrazin kommt. Ich weiß noch: Ich habe damals als Juso 25 Minuten meines Zorns für eine Philippika gegen ihn genutzt. Dieser Mann, Thilo Sarrazin – und das ist richtig –, gehört nicht zu uns; er gehört zu Ihnen und in die Pegida und nirgendwo sonst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Martin Hess [AfD])

Wenn man – das ist in den letzten Jahrzehnten geschehen; wir alle sollten uns überlegen, was passiert ist – im Alltag stückweise Verachtung sät, wenn man Muslimen und Muslimas erklärt, wie ihr Islam zu sein hat, was wir von ihnen erwarten, wie sie sich zu verhalten haben, wird man am Ende Hass ernten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Ergebnis ist unter anderem die AfD.

Daher appelliere ich an uns alle: Erklären wir nicht weiterhin Muslimen und Muslimas in diesem Land, was moderner Islam ist. Hören wir auf mit dieser Kultur der Bevormundung, und klären wir zum Beispiel endlich auf, was für ein Skandal der NSU war, was struktureller Rassismus in diesem Land angerichtet hat und was es bedeutet, in diesem Land zum Beispiel als Frau mit Kopftuch, bestens ausgebildet, zu versuchen, eine Stelle in einem Krankenhaus oder im Management zu bekommen. Wenn wir diese Fragen beantwortet haben, dann, erst dann können wir weitere Debatten über Islamismus führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir Ihnen! – Danke Helge Lindh. – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion Konstantin Kuhle.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7427508
Wahlperiode 19
Sitzung 146
Tagesordnungspunkt Islamismus in Deutschland
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