14.02.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 147 / Tagesordnungspunkt 25

Wiebke EsdarSPD - Befristungen in der Wissenschaft

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden über Befristungen in der Wissenschaft. Dafür will ich mich bei der Linken, die diesen Antrag eingebracht hat, bedanken.

(Karsten Hilse [AfD]: Wiedervereinigung der SED! Super!)

Ich kann Ihnen ehrlich sagen, dass ich es gut finde, dass wir heute darüber reden und dass ich dem ersten Satz Ihres Antrags, dass das Ausmaß der Befristungen so hoch ist, dass Handlungsbedarf besteht, absolut zustimme.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Nachdem ich mich mit dem Antrag näher auseinandergesetzt habe, musste ich aber zu dem Schluss kommen, dass er erstens zu kurz greift, zweitens zu früh kommt und drittens, sollten wir ihn so beschließen, zu nicht intendierten Effekten führen würde.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Er greift zu kurz, weil mit den Forderungen allein das Wissenschaftszeitvertragsgesetz adressiert wird, obwohl wir diese Punkte nicht über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz regeln können, regeln sollten. Wir müssen zunächst schauen, wo unbefristete Stellen geschaffen werden können, und wir müssen die Grundfinanzierung der Hochschulen verbessern. Das ist originäre Aufgabe der Länder. Wir als Große Koalition haben Schritte unternommen und das Grundgesetz geändert, um als Bund endlich auch in die Grundfinanzierung der Hochschulen einsteigen zu können. Sie wissen, dass wir den Zukunftsvertrag verabschiedet und damit die bisher befristeten Mittel des Hochschulpaktes auf Dauer beschlossen haben. Das ist verbunden mit der Schaffung unbefristeter Stellen, eben von „Dauerstellen für Daueraufgaben“, wie Sie es in der Überschrift Ihres Antrags nennen. Sie greifen mit Ihrer Forderung meiner Ansicht nach zu kurz, weil Sie sie nur im Kontext des Wissenschaftszeitvertrages adressieren.

Wir müssen meines Erachtens noch viel mehr machen. Ich würde mir wünschen, dass wir als Politik – hier kann der Bund etwas machen – einen genauen und kritischen Blick auf die Vertragslaufzeiten bei Drittmittelprojekten werfen. Drittmittelprojekte, die auch durch das BMBF oder die DFG gefördert werden, sind zu oft noch auf Laufzeiten von weniger als drei Jahren angelegt, beispielsweise auf nur zwei Jahre. Wer promovieren will, schafft das in der Zeit nicht. Daher würde ich mir wünschen, dass wir uns die Laufzeiten von Drittmittelprojekten noch einmal anschauen.

Es gibt einen ganz entscheidenden Punkt, zu dem es einen total klugen Vorschlag gibt: Wir müssen uns die Organisationsstruktur und das Hochschulsystem angucken. Es gibt den Vorschlag der Jungen Akademie, stärker zu einer Departmentstruktur zu kommen. Ich finde, das ist ein total kluger Vorschlag. Vorgeschlagen wird, dass es nicht länger diese starke Trennung gibt, die aktuell dafür sorgt, dass der Lehrstuhlinhaber bzw. die Lehrstuhlinhaberin als Professor bzw. Professorin den wissenschaftlichen Mittelbau und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Verhandlungsmasse in Berufungsverhandlungen und als Teil der Ausstattung versteht. Es zeigt sich aber – darüber müssen wir diskutieren –, dass es unheimlich schwierig ist, von dem bestehenden System, in dem die Attraktivität der Professur auch davon abhängt, wie viel Ausstattung dabei ist, zu einem stärker teamorientierten System zu kommen, in dem auf Augenhöhe agiert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wesentlich wichtiger und bedeutsamer, über diesen Punkt zu reden als über Ihren Antrag, der im Übrigen zu früh kommt. Wir sollten nicht jetzt, während die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes läuft, schon sagen, was wir ändern müssen. Wir sagen an dieser Stelle nicht wie Sie, Frau Gohlke: Wir wissen schon alles und können das jetzt schon machen. – Wir haben das Gesetz 2016 novelliert. Wir haben maßgebliche Änderungen vorgenommen, beispielsweise haben wir festgelegt, dass das Qualifikationsziel die Frist für die Laufzeit des Arbeitsvertrages begründen muss. Weil das in der damaligen Debatte ein wichtiger Punkt war, sollten wir schon jetzt darauf achten, wie dieses Qualifikationsziel zu definieren ist und was die Hochschulen daraus machen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will darüber hinaus sagen, dass Ihre Vorschläge zu nicht intendierten Effekten führen. Zum Qualifikationsziel sagen Sie, dass das nur ein formaler Abschluss sein kann, beispielsweise eine Promotion oder eine vergleichbare Leistung. Da nennen Sie das Beispiel der Habilitation. Die Habilitation wird in vielen Fachbereichen aber gar nicht mehr angestrebt, weil man anders zu einer Professur kommt. Insofern bleibt offen, was eine „vergleichbare Leistung“ sein soll. Da ist Ihre Formulierung schwammig; da tun Sie sich offensichtlich genauso schwer wie wir damals bei der Novellierung des Gesetzes.

Wenn nur ein solcher formaler Abschluss die zweite Phase der Befristung ermöglicht, streichen wir für diejenigen, die die Promotion gerade abgeschlossen haben, die Orientierungsphase, in der sie entscheiden können, ob sie in der Wissenschaft bleiben wollen oder nicht. Als jemand, der selber promoviert hat und vor der Frage stand, ob ich Postdoc werden und in der Wissenschaft bleiben möchte, kann ich nur sagen: Ich finde es besser, wenn man sich mit dieser Frage auseinandersetzen kann, wenn man die Promotion abgeschlossen hat, als wenn diese Frage auch noch in der Endphase der Promotion geklärt werden muss; denn die ist aus anderen Gründen anstrengend genug.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie schlagen zudem Arbeitsverträge mit einem Minimum von insgesamt 20 Arbeitsstunden vor. Dazu kann ich nur sagen: Diejenigen, die momentan ein Promotionsstipendium haben, dürfen, wenn sie von den Begabtenförderungswerken gefördert werden, 10 Stunden arbeiten, um einerseits ausreichend Zeit für die Promotion zu haben, andererseits aber auch sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein zu können und auch Lehrerfahrung zu sammeln. Die grenzen Sie mit Ihrem Vorschlag aus.

Außerdem schlagen Sie vor, dass die Befristung nach der Promotion direkt mit Tenure Track versehen werden muss. Was bedeutet das in dem System, das wir momentan haben? Das bedeutet – weil wir keine Hausberufungen in Deutschland haben –, dass die Entscheidung, an welche Uni jemand geht, nach der Promotionsphase getroffen werden muss. Das heißt, dass jemand seine Promotion und seine Postdoc-Phase an der gleichen Universität macht und erst danach wechselt, wäre dadurch auch ausgeschlossen. Wie Sie schon sehen können: Das ist gut gemeint, aber, in unseren Augen, nicht gut gemacht.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU])

Das Wort hat Dr. Thomas Sattelberger für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7427939
Wahlperiode 19
Sitzung 147
Tagesordnungspunkt Befristungen in der Wissenschaft
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