05.03.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 149 / Tagesordnungspunkt 10

Alexander UlrichDIE LINKE - Arbeitsprogramm 2020 der Europäischen Kommission

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist in einer schweren Krise. Der Brexit, die Entscheidung, dass Großbritannien die Europäische Union verlässt, hat das noch einmal deutlich gemacht. Ich glaube, dass auch die Europäische Union in einer Krise ist. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass auf ihre Lebenslagen entsprechend reagiert wird. Wir Linke haben immer gesagt: Europa wird nur dann eine Zukunft haben, wenn wir den Menschen dienen, und Europa wird von den Menschen nur angenommen, wenn Europa sozial gestaltet wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt nimmt die Europäische Union eine Forderung von linken Parteien auf – ich schließe da die SPD gerne ein –,

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Was macht ihr mit den reichsten 1 Prozent eigentlich?)

einen europäischen Mindestlohn umzusetzen. Nun kommt die FDP sofort wieder und sagt: Die Europäische Union soll die Hände davon lassen.

(Michael Georg Link [FDP]: Die Verträge sind deutlich! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Gilt die 1-Prozent-Regel auch für ganz Europa?)

Herr Link, ich habe es Ihnen gestern schon im Ausschuss gesagt: Dumpinglöhne, Löhne, von denen man nicht leben kann, sind kein Wettbewerbsvorteil, das ist unmenschlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Produkte und Dienstleistungen sollen sich über Qualität, über Innovation und Schnelligkeit auszeichnen, aber nicht durch einen Wettbewerb um die unfairsten Löhne. Deshalb hoffen wir, dass die Europäische Union wirklich an dieses Thema rangeht. Wir brauchen einen europäischen Mindestlohn, der in Ungarn natürlich anders ist als in Luxemburg. In Deutschland muss er auf 12 Euro angesetzt werden. Wir sagen: 60 Prozent vom Durchschnittslohn des jeweiligen Landes, das wäre ein Mindestlohn, über den man reden kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Die Europäische Union ist auch deshalb in einer Krise, weil sie nicht mehr versteht, für die europäischen Werte zu kämpfen. Wenn man sich die Bilder von der griechisch-türkischen Grenze anschaut, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wo mit Tränengas und Blendgranaten und auch scharf auf Flüchtlinge geschossen wird, dann schämt man sich,

(Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Eine Schande!)

dass die Europäische Union so schändlich mit Menschen in Not umgeht.

(Beifall bei der LINKEN)

Man schämt sich auch, wie Ursula von der Leyen vorgestern als Kommissionspräsidentin aufgetreten ist. Sie hat nichts zu dieser Situation gesagt. Sie hat nur etwas von Frontex gesprochen und von noch mehr Grenzsicherung. Den Menschen muss geholfen werden. Wir haben die Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen. Die Europäische Union muss endlich handeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage auch: Wenn Europa die Antwort sein soll auf Probleme, die die einzelnen Länder nicht mehr lösen können, dann frage ich mich und auch die die Regierung vertretenden Parteien: Warum gibt es seit fünf Jahren keine Lösung in der EU-Flüchtlingspolitik? Warum haben wir keinen Verteilmechanismus mit anderen Ländern?

(Martin Hebner [AfD]: Weil die anderen Länder schlauer sind als wir!)

Warum fällt es uns jetzt wieder auf die Füße, dass wir nicht wissen, wie die Menschen fair in Europa verteilt werden können? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn wir so weitermachen, werden wir nie eine Lösung bekommen. Europa darf keine Einbahnstraße sein. Wer von Europa Solidarität verlangt wie osteuropäische Länder, muss auch Solidarität zeigen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer Solidarität verweigert, dem muss der Geldhahn zugedreht werden.

Wir brauchen ganz schnelle Lösungen. Das Arbeitsprogramm der Kommission hört sich von den Überschriften her gut an, aber die Frage ist immer: Ist das am Ende auch umsetzbar, und wie will man es umsetzen? Der Green Deal ist zunächst eine tolle Sache – ja, wir stehen dazu, wir wollen eine CO

Zu den Mitteln, die man zur Verfügung stellen will. Es kommt mir so vor, als ob jemand ein Haus bauen will, aber nur Geld für die Dachziegeln hat, und dann erwartet, dass das Haus schon irgendwie gebaut wird. So ist es auch mit der Ankündigung der Kommission zum Green Deal. Hier muss viel mehr Geld investiert werden in eine Transformation der Wirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Green Deal. Wer klimafreundlich agieren will, der muss sich auch in anderen Politikfeldern daran messen lassen. Als Beispiel nenne ich die Handelsverträge mit Mercosur. Was ist daran klimafreundlich, wenn der Handelsvertrag dazu führt, dass der Regenwald in Brasilien abgeholzt wird und noch mehr Agrarprodukte über Tausende Kilometer nach Europa gebracht werden? Das ist doch nicht klimafreundlich, das ist das Gegenteil davon. Solche Verträge werden abgeschlossen, weil die wirtschaftlichen Interessen immer noch vor Klimaschutz gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Altmaier, Herr Wirtschaftsminister, Sie sind anwesend, das freut mich. Wenn man Klimaschutz tatsächlich will, muss man auch über die deutsche Stahlindustrie reden. In Ihrem Bundesland haben sich vor Kurzem wieder die Stahlkumpel auf den Weg nach Brüssel gemacht und dort eine Resolution übergeben, weil sie es langsam leid sind, dass nichts passiert. Wir laufen Gefahr, dass die deutsche Stahlindustrie, die nachweislich am saubersten ist, nicht mehr wettbewerbsfähig ist, weil die EU nicht in der Lage ist, über Handelsverträge Dumpingstahl aus anderen Ländern höher zu bezollen, damit der Stahl aus Deutschland eine Chance hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Der deutsche Wirtschaftsminister muss endlich deutlich machen, dass wir in diesem Jahr zu Ergebnissen kommen müssen. Wir haben das auch schon im Wirtschaftsausschuss sehr oft von Ihnen gefordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein letzter Punkt. Wenn wir die Wirtschaft transformieren wollen, wird es auch Verwerfungen geben. Das werden wir in Deutschland erleben bei der Automobilindustrie, bei der Zulieferindustrie usw. Deshalb ist es dringend notwendig, dass die EU-Kommission das Beihilferecht verändert, Herr Altmaier. Wir sind heute in einer Situation, dass Regionen erst in eine Krise kommen müssen, damit das Beihilferecht greift. Wir brauchen eine Abkehr davon. Wenn wir sehen, dass es Probleme geben wird, dann muss das Beihilferecht entsprechend geändert werden, damit es greifen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Die deutsche Bundesregierung muss die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, damit wir hier endlich vorankommen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Europa ist in einer tiefen Krise, und die Bundesregierung ist daran mit schuld. Man kann das nicht immer wegschieben; denn dass Europa funktioniert, hängt auch von der Bundesregierung ab. Deswegen wäre es gut, wenn man den Koalitionsvertrag, der Europa in den Vordergrund gestellt hat, endlich umsetzen würde. Das würde auch bedeuten: Europa braucht viel mehr Geld, auch vom deutschen Haushalt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wenn man alle Reichen erschießt, wo nimmt man dann das Geld her?)

Das Wort hat Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7431644
Wahlperiode 19
Sitzung 149
Tagesordnungspunkt Arbeitsprogramm 2020 der Europäischen Kommission
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