05.03.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 149 / Zusatzpunkt 5

Alexander Graf LambsdorffFDP - Aktuelle Stunde - Die Eskalation in Idlib und die Folgen für Europa

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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Unsere Aktuelle Stunde hier ist überschrieben mit dem Titel „Die Eskalation in Idlib und die Folgen für Europa“. Ich finde, es ist wichtig, dass wir uns zunächst einmal klarmachen, was für ein riesiger Abstand zwischen diesen beiden Gebieten liegt. Idlib ist, an der türkisch-syrischen Grenze, 1 400 Kilometer von der Provinz Edirne entfernt, und trotzdem haben die beiden miteinander zu tun. Deswegen debattieren wir das hier.

Idlib ist das letzte Gebiet in Syrien, das das Regime nicht kontrolliert, und wir sehen dort im Moment eine türkisch-russische Konfrontation und Angriffe der syrischen Truppen. Gleichzeitig, während wir hier debattieren, finden Gespräche in Moskau zwischen Präsident Putin und Präsident Erdogan über eine Deeskalation statt. Was uns als Freie Demokraten beunruhigt, ist, dass die beiden das ganz allein unter sich ausmachen. Es wäre schön, wenn die Europäische Union, wenn Frau Merkel, wenn Herr Macron dabei sein könnten, wenn es nämlich so wäre, dass wir zu einer Gesamtlösung kommen. Deswegen, glaube ich, wäre es gut, wir würden diese Kernfrage des Friedens in Syrien und der Folgen für Europa auch mit Europa diskutieren.

(Beifall bei der FDP)

Die Folgen in Edirne, an der türkisch-griechischen Grenze, sind Folgen, die die Türkei bewusst herbeigeführt hat. Es hat eine Desinformationskampagne in der Türkei gegeben, nach dem Motto, die Grenze nach Europa sei auf. Busse wurden bereitgestellt, 13 000 Menschen wurden an die Grenze gekarrt.

Jetzt stellen sich dort viele Menschen die Frage: Ist das, was wir dort sehen, nämlich die Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union, ein Widerspruch zu unseren humanitären Werten, ja oder nein? – Unsere Antwort ist: Nein. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Humanität und sicheren Grenzen.

(Beifall bei der FDP)

Die Europäische Union – um mal auf das Thema Humanität zu kommen – ist der größte Geber für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das sich in Jordanien, im Libanon, aber auch in der Türkei um die Geflüchteten aus Syrien kümmert. Die Europäische Kommission hat gerade erklärt, es werde noch mal 170 Millionen Euro für das Flüchtlingshilfswerk geben. Für das Welternährungsprogramm und für UNICEF geben wir ebenfalls Geld. Wir sind als Europäer humanitär eine Supermacht.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU])

Trotzdem haben wir zusätzlich – und das haben wir als Freie Demokraten immer begrüßt ‑das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, weil die Türkei mit 3,5 Millionen Geflüchteten im Land eine außergewöhnliche Belastung trägt. Warum die Türkei das so kritisiert, ist ganz offensichtlich. Wir haben als Europäer gesagt: Wir wollen, dass diese Mittel den Geflüchteten direkt zukommen und das Geld nicht in den türkischen Staatshaushalt geht. – Das nervt die Türkei, das nervt Herrn Cavusoglu, das nervt Herrn Erdogan. Das muss man aber wissen, wenn man darüber redet.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt erklärt Herr Cavusoglu, der türkische Außenminister, Griechenland und die Europäische Union ließen die Migranten an der europäischen Grenze nicht hinein; das sei inhuman, das verstoße gegen europäische Werte, das verstoße auch gegen Völkerrecht.

Meine Damen und Herren, jetzt gucken wir noch mal bitte auf die Situation in Idlib. Dort haben wir eine humanitäre Katastrophe. Dort haben wir Menschen, die vor Bomben, vor Luftangriffen flüchten. Dort haben wir eine Situation, in der ein Staat nach der Genfer Flüchtlingskonvention eigentlich verpflichtet wäre, seine Grenzen zu öffnen. Das tut die Türkei aber nicht. Wir haben von der Türkei keine Lektionen erteilt zu bekommen, wenn es um Humanität geht!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was folgt daraus für uns als Europäer? Die Europäische Union muss Griechenland dabei helfen, seine Grenze unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu sichern. Ich sage hier eines ganz deutlich: Die ins Spiel gebrachte – mindestens subkutan, subtil – unkontrollierte Grenzöffnung wäre der falsche Weg, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Es gibt 3,5 Millionen Geflüchtete in der Türkei. Wenn wir jetzt, wie manche das hier vorschlagen, die Grenze einfach öffnen würden, würde ein unglaublicher Druck auf diese Menschen in der Türkei ausgeübt werden, die Türkei sofort nach Norden hin zu verlassen, nach dem Motto „Jetzt könnt ihr doch alle nach Deutschland“. Wir wären mit einer Vertreibung der Geflüchteten aus der Türkei konfrontiert.

Wir haben in der Türkei inzwischen leider eine antisyrische Stimmung. Deswegen wäre eine Grenzöffnung nicht humanitär, sie wäre genau das Gegenteil.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt nicht, dass wir Härtefälle von den griechischen Inseln, Härtefälle vom griechischen Festland nicht in Europa verteilen sollten. Das heißt nicht, dass wir den Griechen nicht durch zusätzliche Entscheider aus dem BAMF, durch zusätzliche Truppen von Frontex helfen sollten. Nein, im Gegenteil: Praktische Hilfe für Griechenland ist das, was jetzt gefordert ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Syrien-Gipfel. Wir brauchen als erste Maßnahme eine Waffenruhe für die Provinz Idlib, und wir brauchen danach den politischen Prozess, um Frieden in Syrien herzustellen.

Letzter Punkt. Ich habe es gesagt: Das Abkommen mit der Türkei war sinnvoll und richtig. Wir brauchen aber ein Update für dieses Abkommen, um klarzumachen, dass wir respektieren, dass die Türkei eine besondere Last trägt.

Mit anderen Worten – Fazit –: Wir brauchen Frieden in Syrien, dafür den Gipfel, wir brauchen politische Hilfe, praktische Hilfe für Griechenland, und wir brauchen – so schwierig das im Moment auch ist – vertrauensbildende Gespräche mit der Türkei.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Alexander Graf Lambsdorff. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Ulla Jelpke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7432033
Wahlperiode 19
Sitzung 149
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Die Eskalation in Idlib und die Folgen für Europa
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