Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde - Die Eskalation in Idlib und die Folgen für Europa
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Als letzter Redner in der Debatte – man müsste es nicht betonen – will ich noch einmal sagen: Niemand auf der Welt flieht ohne Grund. Wir haben ungefähr 75 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind. Jeder Einzelne hat einen sehr individuellen, sehr nachvollziehbaren Grund. Jedes Leben ist gleich viel wert. Jeder Mensch hat die gleiche Würde, im Übrigen auch bei der Klassifizierung derjenigen, die an der türkisch-griechischen Grenze stehen. Hier gibt es immer eine Debatte darüber, dass man wissen muss, wer es ist.
(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])
Aber es ist kein Unterschied, ob es jemand aus Afghanistan, dem Iran, Irak, Bangladesch oder aus Syrien ist. Alle haben dasselbe Recht auf Leben und Würde.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich will auch daran erinnern: So schwierig es ist, was wir gerade diskutieren, es gilt internationales Recht; daran muss man auch europäische Partner erinnern, würdigend, was sie tun. Es gilt die Genfer Flüchtlingskonvention. Es gilt auch immer das Gebot, so deeskalierend wie möglich auf Grenzverletzungen zu reagieren.
Das Grundproblem allerdings – das ist auch klar – liegt nicht in Deutschland, liegt nicht in Griechenland, liegt auch nicht in der Türkei, sondern es liegt in Syrien. Es ist gerade schon angesprochen worden: Es ist schlimm, und ich finde es ekelhaft, dass die AfD einen – ich nenne es so – Propagandafilm organisiert hat und ihn entsprechend veröffentlicht, der zeigt, wie toll und wunderbar alles in Syrien ist, und dass am Ende das Werk eines Diktators in diesem Land gezeigt wird.
(Sören Bartol [SPD]: Pfui!)
Der Grund ist Syrien. Der Grund ist, dass viele Länder – nicht nur Syrien und nicht nur Russland – auf schlimmste Art und Weise Menschenrechtsverbrechen begehen, daran beteiligt sind. Deswegen will ich noch einmal hervorheben: Es gibt ein internationales Strafrecht, und wir müssen deutlich machen – ich weiß nicht, wann –: Wir wollen die Menschen, die schlimmste Verbrechen begehen, auch zur Rechenschaft ziehen. Sie müssen wissen, dass wir ein Auge darauf haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es ist auch ein Kriegsverbrechen, was Erdogan begeht!)
Es ist auch die Türkei, die dort Kriegsverbrechen begeht. Ich will noch einmal ganz deutlich sagen – deswegen auch die Zwischenrufe –: Schwarz und Weiß funktioniert international nicht. Das, was Russland dort begeht und woran es sich beteiligt, die Bombardierung von Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern, und zwar ganz gezielt, sind Kriegsverbrechen. Sie sind in jeder Art und Weise inakzeptabel. Russland muss dafür auch zur Verantwortung gezogen werden.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Bombardierungen müssen aufhören. Wir brauchen einen kurzfristigen Waffenstillstand, noch nicht genau wissend – darauf hat Staatsminister Annen hingewiesen –, was wir mit den 1 Million plus Menschen machen. Das wird kompliziert und schwierig genug. Aber ohne einen Waffenstillstand wird das alles nicht funktionieren. Wir können an dieser Stelle durchaus selbstbewusst sagen, weil es auch für zukünftiges Handeln eine Anleitung ist, dass wir dort als Friedensmacht auftreten, dass wir humanitäre Hilfe leisten, dass wir weitere humanitäre Hilfe zugesagt haben. Ich glaube, das gesamte Haus hat heute schon durch Applaus deutlich gemacht, dass wir bei den zukünftigen Haushaltsberatungen alles tun wollen, um die so wichtige humanitäre Hilfe für die Region sicherzustellen.
(Beifall bei der SPD)
Wir reden über verschiedene Ebenen. Das bringt uns manchmal etwas durcheinander. Wir reden über drei verschiedene Ebenen. Die eine ist die, was in Syrien zu tun ist. Die zweite betrifft den EU-Türkei-Deal, das Flüchtlingsabkommen. Die dritte ist die, was die EU selbst zu tun hat. Über Syrien habe ich gerade etwas gesagt. Zum EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen muss man sagen, dass es Sinn macht, dass 3, 4, 5 Millionen Menschen, die aus Syrien fliehen, nicht nach Deutschland, Schweden oder sonst wo weitergeleitet werden. Die meisten Menschen wollen, wenn es die Möglichkeit gibt, so nah wie möglich an ihrer Heimat bleiben. Deswegen macht das Abkommen im Grunde Sinn.
(Frank Pasemann [AfD]: Das ist doch kompletter Blödsinn, was Sie da erzählen!)
Man muss Erdogan an vielen Stellen kritisieren, aber an dieser Stelle macht es Sinn, die Türkei entsprechend zu unterstützen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dass er das aufkündigen will bzw. damit droht, hat nichts mit dem Flüchtlingsabkommen zu tun, sondern es ist die schiere Verzweiflung, da er auch nicht weiß, wie er aus der Lage rund um Idlib herauskommt. Deswegen muss man der Türkei danken, wo Dank richtig ist, wo sie sich um Millionen von Geflüchteten kümmert. Man muss die Türkei aber auch an Verabredungen erinnern. Man muss auch über die Zukunft reden. Ich hätte keine Probleme damit, über eine dritte Tranche zu diskutieren und als Europäische Union mehr als die 6 Milliarden Euro zu zahlen. Ich halte das auch für angemessen. Ich glaube, es muss aber auch klar sein, dass es klare humanitäre Grundregeln gibt, nach denen das Geld ausgezahlt wird. Daran wird sich am Ende auch nichts ändern können.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU])
Was die EU betrifft, können wir alle beklagen, dass wir die Hausaufgaben nicht gemacht haben und uns längst nicht vorbereitet haben, beklagen, was wir hätten tun können. Das heißt aber nicht, dass man es nicht noch tun kann. Deswegen glaube ich, dass man am Ende auch die Chance und den Druck nutzen kann, dafür zu sorgen, dass die EU endlich zu einer abgestimmten eigenen Flüchtlingspolitik kommt, die heißt: Kontrolle an den Außengrenzen, Zurückweisung und Zurückführung derjenigen, die nach den Regeln der EU nicht bleiben können, und am Ende diejenigen, die bleiben können, vernünftig auf europäische Mitgliedstaaten verteilen. Ich wünsche mir wirklich, dass wir in der Lage sind – das ist unsere Bitte und unsere Aufforderung an den Innenminister –, alles zu tun. Man wird nicht mit ein paar Kindern die Welt retten können; das ist völlig klar. Aber am Ende geht es bei der Humanität und der Menschlichkeit auch um einzelne Schicksale. Deswegen werden wir auch daran gemessen, ob wir endlich eine vernünftige Lösung für ein paar Kinder finden, die wir aus Griechenland herausholen wollen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frank Schwabe. – Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7432045 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 149 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Die Eskalation in Idlib und die Folgen für Europa |