Albrecht GlaserAfD - Aktuelle Stunde - Wahlrechtsreform
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungskoalition wünscht sich einen noch größeren Bundestag.
(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das ist ja Unsinn!)
Dies gilt auch für die kleine Koalition zwischen Liberalen, Grünen und Zetkin-Kommunisten. Die einen wollen dieses Ziel durch Nichtstun erreichen, die anderen, indem sie Alibianträge stellen, die nun nicht mehr umgesetzt werden können.
(Frank Müller-Rosentritt [FDP]: Völliger Quatsch!)
Bei der gegebenen demoskopischen Lage wird der Bundestag 2021 etwa 800 Abgeordnete haben, obwohl er nach geltendem Wahlrecht nur 598 haben soll. Viele Parteien können also die nächste Wahl verlieren, ohne Abgeordnetensitze einzubüßen. Dass sich die Parteien aufgrund von Unfähigkeit und Unwilligkeit in diese komfortable Lage bringen, wird von den Stimmbürgern als Provokation empfunden. Meine Damen und Herren, Sie schüren also die Parteien- und die Demokratieverdrossenheit, gegen die zu kämpfen Sie vorgeben.
(Beifall bei der AfD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen die Richtigen!)
Wir haben in der Schäuble-Kommission anderthalb Jahre über eine Wahlrechtsreform diskutiert. Das Problem war diagnostiziert. Ein markanter Wissenschaftler nannte es den adipösen Bundestag. Eine Lösung war nicht zu erzielen, weil die Sorge um das eigene Hemd den handelnden Personen wichtiger war als der Rock des gemeinen Wohls. Auf diese Gefahr wiesen die 100 Staatsrechtslehrer hin, die in einem offenen Brief im September 2019 formuliert haben – ich zitiere –:
In Sorge um das Ansehen der Demokratie appellieren wir deshalb an den Deutschen Bundestag, die Reform des Bundeswahlgesetzes alsbald in Angriff zu nehmen.
Das derzeitige Wahlrecht, so schreiben sie, „als wichtigste demokratische Äußerungsform“ habe „paradoxerweise einen geradezu entdemokratisierenden Effekt“. Die Staatsrechtslehrer sind klug und haben recht.
(Beifall bei der AfD)
Wir führen uns vor Augen: Die CSU, die mit 6,2 Prozent kleinste, jedoch enorm direktmandatsfähige Partei, hat mit ihren sieben Überhangmandaten 2017 über 100 Ausgleichsmandate ausgelöst. Das ist eine Hebelwirkung von bis zu 20 Ausgleichsmandaten pro errungenem Überhangmandat.
Die 36 Überhangmandate der CDU waren also für das Gesamtergebnis bedeutungslos. Dies beweist, was jedem Experten klar ist: dass die vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Ausgleichsmandatsregelung für die Wahlen ab 2013 den relativen Mandatsvorteil von Überhangmandaten beseitigt und lediglich eine Vergrößerung des Bundestages herbeigeführt hat. Auch das ist in der Literatur einhellige Meinung. Wenn man zudem bedenkt, dass viele dieser Überhangmandate mit circa einem Drittel der Wahlkreisstimmen oder noch weniger errungen werden, dann erkennt man, dass das keine demokratische Weihestunde ist; denn rund zwei Drittel der Wähler haben den Kandidaten abgelehnt.
(Beifall bei der AfD)
In Kenntnis dieser Zusammenhänge hatte der AfD-Vertreter in der Reformkommission vor Weihnachten 2018 ein Reformkonzept eingebracht, das die Zahl der Direktmandate je Bundesland und Partei auf die Zahl beschränkt, welche dem jeweiligen Wahlvorschlag nach Zweitstimmen maximal zusteht. Dies hat nichts mit der Aberkennung von errungenen Direktmandaten zu tun, wie eilfertig eingewendet wurde, sondern mit der Errichtung einer zusätzlichen Bedingung für den Gewinn eines Direktmandates. Das ist eine Frage der einfachen Logik. Herr Kollege, da brauchen Sie gar nicht mit dem Kopf zu schütteln;
(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Mache ich aber!)
das ist so. Zwei und zwei ist vier, ziemlich genau.
Im Oktober 2019 haben wir dieses Konzept förmlich als Antrag im Bundestag eingebracht, und zwar mit dem Hinweis, dass die Zeit für eine Reform mit Wirkung für 2021 knapp zu werden droht. Im November hat dann die kleine Koalition ihren unausgegorenen Vorschlag der Erhöhung der gesetzlichen Mandatszahl auf 630 bei gleichzeitiger Verringerung der Wahlkreise auf 250 eingebracht – eine sehr skurrile Veranstaltung.
Dem haben wir einen Gesetzentwurf zur Verkürzung der Frist zur Kandidatenaufstellung beigefügt, um bis September 2020 Zeit zu gewinnen für eine Reformgesetzgebung. Meine Damen und Herren, das ist ein ganz einfaches und kleines Spiel, das für uns alle Möglichkeiten zum Handeln lässt.
(Petra Nicolaisen [CDU/CSU]: Wo ist die Lösung?)
Die Entscheidung über den Antrag wurde im Innenausschuss mehrfach verschoben, um ihn schließlich am 4. März abzulehnen.
Da am 25. März, also in 14 Tagen, die Möglichkeit zur Kandidatenaufstellung nach geltendem Wahlrecht beginnt,
(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Nein, die Vertreterversammlung, nicht die Kandidatenaufstellung!)
ist der Plan aller anderen Parteien klar, und er ist aufgegangen: Sie wollen den Bundestag mit 800 Abgeordneten. Dieses erneute politische Versagen in einer bedeutenden Frage dieser Demokratie wird im Protokoll der Geschichte vermerkt sein.
(Beifall bei der AfD – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Mit der Geschichte ist es bei Ihnen auch immer so eine Sache!)
Das amerikanische Abgeordnetenhaus hat 435 Volksvertreter, und die USA haben ziemlich genau viermal so viele Einwohner wie Deutschland. Im letzten Jahr haben die Kosten des Bundestages die Milliardengrenze überschritten – eine Rekordmarke. Jedes Mandat bringt nach den jetzigen Regelungen 750 000 Euro direkte Kosten pro Jahr mit sich. Bei 200 Mandaten über die im Gesetz angestrebte Zahl hinaus handelt es sich um 150 Millionen Euro pro Jahr. Für die nächste Legislaturperiode geht es also um mehr als eine halbe Milliarde Euro. Wir wünschen Ihnen ein gutes Gewissen bei Ihrer Haltung in dieser Frage.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der AfD)
Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Ansgar Heveling.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Genau! Jetzt wird mal aufgeklärt!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7433357 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 151 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Wahlrechtsreform |