12.03.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 152 / Zusatzpunkt 4

Helge LindhSPD - Sicherung der Grenzen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grenzen und damit auch Grenzsetzungen und Grenzöffnungen sind vielleicht die zentralen Fragen dieser Tage. Deshalb erlauben Sie mir, bevor ich eine entsprechende Grenzziehung gegenüber der AfD vornehme, kurz noch etwas zu den Ausführungen von Frau Baerbock zu sagen. Zwei Anmerkungen.

Erstens. Sie erweckten leicht den Eindruck, dass die Bundesregierung irgendwie dafür verantwortlich sei, dass Rechtsextreme aus Deutschland und Europa auf die griechischen Inseln reisen. Ich halte das für ein nicht legitimes Argument,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)

zumal beispielsweise auch in Dortmund gerade die Polizei alles tut, um Gruppen daran zu hindern. Wenn jemand in einen Verantwortungszusammenhang gebracht werden kann, dann bei Reden wie der von der AfD, wie wir sie gerade gehört haben, und bei solchen Anträgen, wie wir sie gerade beraten. Das ist die Kausalkette.

(Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Darauf habe ich gewartet!)

Das Zweite. Sie führten ja aus, was Sie sich von den Koalitionsfraktionen und von der Regierung gewünscht und erwartet haben, und haben viele richtige humanitäre und auch rechtliche Forderungen genannt. Ich erinnere mich gut, wie wir bei dem Thema der Seenotrettung überfraktionell zusammengearbeitet haben, um gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung anzukämpfen und für einen Verteilungsmechanismus zu arbeiten. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie diese Form der Kollegialität im Parlament auch in Bezug auf die Situation in Griechenland ausüben. Stattdessen verlangt die Grünenfraktion eine namentliche Abstimmung.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man nennt das „Parlamentarismus“!)

Und nicht nur das: Sie haben dann auch in Schaubildern kenntlich gemacht, wer wie abgestimmt hat.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Brauchen Sie eine Therapiesitzung, oder was?)

Ich finde, dass diese Art der Auseinandersetzung einem gemeinschaftlichen Ergebnis nicht zwingend förderlich und zuträglich ist. Das ist meine Wahrnehmung.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU])

Sie dient durchaus der Selbstprofilierung, aber sie ist ein Bärendienst gegenüber denen in der SPD-Fraktion und auch in der Unionsfraktion, die natürlich inhaltlich mit dieser Frage ringen. Wie sollte es auch anders sein? Jeder in diesem Raum muss in dieser Situation mit sich ringen. Es gibt eben nicht die einfache rettende Antwort darauf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt aber zur Grenzziehung in Bezug auf die AfD-Fraktion und ihren Antrag, der ja trunken ist von Formulierungen wie „Ansturm“, „Menschenströme“ und in dem systematisch „Flüchtlinge“ durch „illegale Migranten“ ersetzt sind.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: 19-mal!)

Man schaue sich einmal den offiziellen AfD-Film zur Vorstellung dieses Antrages „Grenzen sichern“ an. Dann guckt man in die Kommentare: Da findet sich unter anderem die Formulierung eines Schreibers namens Stoertebekerxyz, der darin deutlich ausführt: Was soll der Blödsinn mit den Kindern? Die holen doch sowieso ihre ganzen Clans nach. Familienzusammenführung für Muslime heißt nicht nur Ehefrau, Mann und Kinder, sondern Neffen, Nichten, Großeltern usw. – So führt er das aus. Das ist eine eindeutige Verlängerung Ihrer Diktion.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Da hat er vollkommen recht!)

Ich fasse zusammen: Die AfD ist mit diesem Antrag der parlamentarische Vorhof von Hasskriminalität. Insofern ist dieser Antrag auch in einem direkten Zusammenhang mit unserer vorherigen Debatte zu sehen.

(Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Hat er doch recht, dieser Mann!)

Dann verweise ich noch auf einen zweiten Kommentar – er ist nicht gelöscht worden –, von Gunfighter. Er lautet folgendermaßen – bezogen auf die Ausführungen von Herrn Curio –: Schicken wir doch 30 000 Soldaten nach Griechenland. – Ich zitiere: Knallen Sie das ganze Gelumpe ab! Wenn millionenfach illegal die Grenze durchbrochen wird, dann rechtfertigt das den Einsatz von Napalm, Maschinengewehr und Panzern, egal ob Baby, Frau oder feiger Kerl. – So etwas steht unter dem Video zum Antrag der AfD-Fraktion.

(Zuruf: Widerlich!)

Wer jetzt noch als besorgter Bürger diese Partei unterstützt und wählt, der tritt auch in eine Verantwortungsgemeinschaft mit denen, die solche Ausführungen machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Insofern sollten wir ernsthaft eine Gesetzgebung zur Bekämpfung der Untergrabung der Demokratie und der Menschlichkeit innerhalb des Parlaments beraten.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht jetzt die Bundesregierung?)

Noch Weiteres dazu. Mit dieser Diktion befördern Sie ja geradezu jede Form der Verhetzung auch in diesem Land. Sie beschleunigen all das Denken, was Sie vermeintlich anprangern wollen. Sie sagen: Grenzen sichern. – Aber Sie wünschen sich doch: Grenzen öffnen. – Und Sie schicken heimlich doch Dankesbriefe an Herrn Erdogan. Denn das ist doch, was Sie wollen: Sie wollen diese Bilder in Griechenland, und Sie wollen Flüchtlinge in diesem Land, damit Sie Ihre Hetzpolitik weiterbetreiben können.

(Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Jetzt wird er völlig bekloppt! Holen Sie den Arzt!)

Wir aber – das habe ich betont – können es uns nicht einfach machen. Wir sind tatsächlich als Koalition nicht der Meinung, dass Freizügigkeit global ist, weil wir glauben, dass Freizügigkeit ein Bürgerrecht ist – bezogen auf Deutschland, auf die EU –, aber kein Menschenrecht. Das bedeutet aber auch, dass solche Grenzen, wenn wir sie setzen, durchlässig sein müssen in Bezug auf ein geltendes Asylrecht und auch durchlässig in Bezug auf Arbeitsmigration. Das ist genau die Aufgabe. Deshalb können wir nicht dauerhaft akzeptieren und werden auch nicht akzeptieren, dass zuerst in Ungarn und jetzt auch in Griechenland das Asylrecht außer Kraft gesetzt wird, dass das Verbot kollektiver Ausweisung, dass das Gebot, Asylverfahren durchzuführen, und dass Rechtsschutz nicht gelten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir das nicht tun, verkauft Europa in der Tat seine Seele und sein Gewissen. Genau deswegen arbeiten wir – das ist keine triviale Aufgabe – für ein funktionierendes Europäisches Asylsystem. Deshalb haben die Regierungsfraktionen sich zu einem Aufnahmeprogramm für 1 500 Personen entschlossen, das aber nicht die abschließende Antwort sein kann. Und deshalb ringen wir darum, dass wir sichere Außengrenzen haben, aber solche, an denen die Menschenrechte gelten, und dass die Binnengrenzen in diesem Land offen bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schuster sprach von Corona. Wir sind ja alle getrieben davon. Die AfD schämt sich nicht mal, sogar das Thema Corona in Bezug auf Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Aber täuschen wir uns nicht: Die größte Herausforderung, der gefährlichste Virus in diesem Land bei allen Bedrohungen, die wir haben, ist nicht Corona. Das ist der Virus des Hasses, den solche Anträge und solche Reden, wie wir sie gerade gehört haben, verbreiten. Wenn wir gegen diesen Virus nicht ein Schutzprogramm entwickeln, dann ist es um Europa geschehen, wegen der Rechtsextremisten in diesem Parlament, in diesem Land und in vielen anderen europäischen Ländern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Benjamin Strasser.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7433800
Wahlperiode 19
Sitzung 152
Tagesordnungspunkt Sicherung der Grenzen
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