Christian LindnerFDP - Sofortmaßnahmen in der Corona-Krise
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Land steht vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten. Die Lage ändert sich täglich; heute ist sie anders als in der vergangenen Woche anlässlich der Regierungserklärung. Die Ausbreitung erfolgt schneller als erwartet. Die Einschätzungen und Empfehlungen der Behörden und staatlichen Stellen ändern sich. Im Ausland beobachten wir mitunter sehr drastische Maßnahmen, um das öffentliche Leben herunterzufahren.
Wir wollen allen den Rücken stärken, die gegenwärtig Verantwortung für das Krisenmanagement tragen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])
Der gestrige gemeinsame Auftritt der Bundeskanzlerin mit Ministerpräsidenten anlässlich der MPK hat allerdings noch nicht letzte Klarheit geschaffen.
Wir stehen vor einer Wahl. Entweder wir zögern – dann ist die weitere Ausbreitung des Virus nicht einzudämmen, und es ist eine Chaotisierung des Gesundheitswesens und des öffentlichen Lebens nicht ausgeschlossen –, oder wir handeln entschlossen, fahren das öffentliche Leben kontrolliert und drastisch zurück – schließen zum Beispiel Schulen – und bauen zugleich die Kapazitäten im Gesundheitswesen auf. Dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Ausbreitung des Virus stoppen und nur eine kurze Phase der Unterbrechung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens haben. Wir empfehlen den Regierungen in Bund und Ländern in dieser Frage mehr Entschlossenheit und sind bereit, dafür auch politische Mitverantwortung zu übernehmen.
(Beifall bei der FDP)
So oder so werden die wirtschaftlichen Folgen dramatisch sein. Die Große Koalition hat am vergangenen Wochenende Maßnahmen beschlossen. Eine davon war die eben hier richtigerweise beschlossene Veränderung beim Kurzarbeitergeld. Die anderen Maßnahmen indessen konnten noch nicht überzeugen, weil sie der Phase, in der wir uns gegenwärtig befinden, und der Dimension der Krise nicht entsprechen. Ich nenne beispielsweise die an sich völlig richtige Veränderung bei den Abschreibungen für Wirtschaftsgüter, die aber in der jetzigen akuten Phase keine Wirkung entfalten kann.
Am vergangenen Mittwoch haben deshalb führende Wirtschaftsexperten ebenfalls Vorschläge unterbreitet, die in Dringlichkeit und Dimension deutlich über das hinausgehen, was die Große Koalition bislang angekündigt hat. Jetzt ist ein entschlossenes Handeln nötig, um einen Wirtschaftsabsturz zu verhindern. Ein solches entschlossenes Handeln würden wir unterstützen, wir erwarten es aber auch von der Bundesregierung.
(Beifall bei der FDP)
Akut helfen nicht konjunkturpolitische Maßnahmen. Akut helfen auch keine geldpolitischen Maßnahmen. Viele der betroffenen Betriebe haben Probleme mit der Zahlungsfähigkeit. Das betrifft eben nicht nur die Frage der Löhne, bei der das Kurzarbeitergeld helfen kann. Anders als bei der Finanzkrise des Jahres 2008 haben wir es mit einer realwirtschaftlichen Krise zu tun, bei der Angebot und Nachfrage gleichzeitig ausfallen können. Dann gehen die Umsätze bisweilen auf null, oder in vielen Bereichen halbieren sie sich zumindest. Also ist jetzt das Mittel der Wahl eine akute Hilfe bei der Liquidität über die Kurzarbeit hinaus. Wir müssen uns auch Sorgen machen um Kleingewerbetreibende und Solo-Selbstständige. Da hilft diese Maßnahme nicht.
Was also tun? Wir haben Ihnen ein Akutprogramm vorgelegt mit Vorschlägen, die wir Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen. Dazu gehört beispielsweise, die Vorfälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen zurückzunehmen. Im Jahr 2005 haben die Arbeitgeber insbesondere der Rentenversicherung eine Liquiditätshilfe gegeben. Jetzt haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Jetzt wäre es sinnvoll, aus den Sozialversicherungen heraus die Liquidität der Betriebe zu schonen.
(Beifall bei der FDP)
Jetzt gerade sind die Steuervorauszahlungen eingezogen worden auf der Basis von Steuerbescheiden des Jahres 2017, einem Boomjahr. Ganz offensichtlich wird das Jahr 2020 sich wirtschaftlich ganz anders darstellen. Deshalb wäre es richtig, jetzt zinsfrei Steuerzahlungen, insbesondere Vorauszahlungen, zu stunden, um in der ganzen Breite – vom Kleinselbstständigen bis zur Industrie – die Liquiditätssicherung der Wirtschaft zu unterstützen.
(Beifall bei der FDP)
So, wie es den Eindruck erweckt, denken Sie ja inzwischen selbst darüber nach. Gerade hat die Deutsche Presse-Agentur gemeldet, dass die Große Koalition – der Wirtschafts- und der Finanzminister – bereit ist, darüber zu sprechen. Es ist hohe Zeit, es zu tun.
In späteren Phasen wird es um die Rolle unserer Förderbanken gehen, etwa bei der Absicherung von Restrukturierungskrediten und Bürgschaften. Und in späteren Phasen wird man auch über konjunkturstützende Maßnahmen und Wachstum nachdenken. Ja, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Debatte zum Kurzarbeitergeld wurde es angesprochen: Es gibt tatsächlich Maßnahmen, die waren vor Corona richtig, wie beispielsweise die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Sie werden nach Corona nicht falsch, sondern nur umso dringlicher.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Um Ihnen zu verdeutlichen, wie wir die Lage einschätzen: Es geht nicht darum, dass man immer nur das sagt, wovon man vorher überzeugt war; es gibt auch Modifikationen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir halten im Prinzip an der schwarzen Null fest. Für uns ist es eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass der öffentliche Haushalt auf neue Schulden verzichtet,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun!)
um Konsum, um Wahlgeschenke, um Subventionen nicht auf Pump zu finanzieren.
Aber in einer Situation wie jetzt hielten wir es gegebenenfalls auch für erforderlich, dass der Bund seine die Konjunktur stützenden Maßnahmen am Kapitalmarkt finanziert. Die schwarze Null ist in normalen Zeiten ein Gebot der Generationengerechtigkeit. In einer solchen Krise dürfte sie aber nicht zum Dogma werden, wenn die normalen Haushaltsmittel nicht ausreichen.
(Beifall bei der FDP – Markus Töns [SPD]: Gilt das auch für Kommunen?)
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Lämmel, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7434259 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 153 |
Tagesordnungspunkt | Sofortmaßnahmen in der Corona-Krise |