Lothar BindingSPD - Sofortmaßnahmen in der Corona-Krise
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist gut und legitim, wenn Unternehmen in der Krise Hilfe von der Gemeinschaft bekommen. Ich denke, sie ist besonders für die wichtig, die sich ansonsten stets auf faire Preise, auf faire Löhne konzentriert haben, die auf prekäre Beschäftigung verzichtet haben, die auf Schwarzarbeit verzichtet haben, die auf Steuerbetrug verzichtet haben; denn wer sich in normalen Zeiten an der Gemeinschaft nicht beteiligt, na ja, der kann auch nicht immer mit Hilfen von der Gemeinschaft rechnen, wenn es ihm schlecht geht.
(Beifall bei der SPD)
Unsere Gemeinschaft ist so fair, dass sie da manchmal sehr großzügig operiert. Das ist auch richtig. Ich wollte nur daran erinnern, dass man, wenn wir über Steuerbetrug und solche Sachen reden, immer daran denken muss, dass die Zeit kommt, in der gilt: Wenn du in der Zeit nicht gespart hast, kannst du in der Not nicht helfen.
Durch den Coronavirus – das haben wir schon gesehen – nehmen viele Arbeitnehmer Schaden. Zur Situation der kleinen Selbstständigen und Freelancer haben wir schon viel gehört. Lehrer und Erzieher infizieren sich jetzt möglicherweise, weil sie mit vielen Leuten zusammenkommen. Das gilt übrigens auch für das Personal hier im Haus. Da gibt es nämlich unterschiedliche Regelungen für uns, die hier drinsitzen, und für die, die hier für uns arbeiten. Da, finde ich, müssten wir über eine Gleichbehandlung nachdenken. Eltern sind betroffen, weil Kitas schließen, Kulturschaffende, weil Ausstellungen abgesagt werden und Konzerte nicht stattfinden. Taxifahrer haben Probleme, Aussteller, Übersetzer, besonders auch Gastwirte, Hotels, Tourismus, zum Beispiel Busunternehmen. Warum? Weil Lieferketten unterbrochen werden, die Nachfrage zusammenkracht und Arbeitskräfte ausfallen.
Deshalb ist die Idee, das Instrument der Kurzarbeit zu aktivieren, sehr gut. Die Voraussetzungen werden erleichtert, Erweiterungen der Leistungen werden vorgenommen. Das alles hilft. Wir sehen jetzt im Nachhinein, wie klug es war, die Beiträge nicht noch weiter zu senken. Vielleicht wäre es sogar klüger gewesen, die Beiträge noch höher zu justieren, als wir es bisher gemacht haben.
Wir haben schon gehört, dass wir Liquiditätshilfen für Unternehmen bereitstellen wollen, die besonders vom Coronavirus betroffen sind. Hier hilft auch das Instrumentarium der KfW. Wir müssen die Verfahren allerdings beschleunigen und vereinfachen. Es gibt auch Möglichkeiten, in Insolvenzverfahren zu helfen, etwa durch Fristverlängerungen. Wir können zinslose Steuerstundungen organisieren. Wir können Anpassungen von Vorauszahlungen besser organisieren. Wir können den antizyklischen Kapitalpuffer gemäß Basel III klüger justieren. Wir können durch die Änderung der Programmstruktur für eine Konsolidierung über die Förderbanken sorgen. Wir können Bürgschaften für Großunternehmen organisieren, die Überbrückungskredite oder Fazilitäten benötigen.
In diesem Zusammenhang möchte ich aus einem Schreiben zitieren, das mir ein Gastwirt geschickt hat. Er schreibt: Kurzarbeitergeld ist ein Relikt aus der Mottenkiste und hilft definitiv nicht. – Er schlägt vor, dass wir die Mehrwertsteuer für die Gastronomie auf 7 Prozent senken. Er fordert also das, was er schon immer gefordert hat. Er zielt auf einen Mitnahmeeffekt. Er schreibt: Kurzarbeitergeld kommt für uns überhaupt nicht infrage, da wir durch den jahrelangen Fachkräftemangel sowieso ganz eng auf Kante genäht sind und keine Mitarbeiter dafür auswählen könnten. – Wir sehen hier, wie ganz subtil Mitnahmeeffekte vorbereitet und alte Forderungen reaktiviert werden. Ich halte das für nicht legitim. Ich will es einmal so sagen: Betriebe, die wesentlich auf geringfügige Beschäftigung und auf Schwarzarbeit verzichtet haben
(Christian Lindner [FDP]: Was ist das für ein Bild?)
und die gleichzeitig daran gedacht haben, Eigenkapital aufzubauen und die Innenfinanzierung zu stärken, die kommen mit Kurzarbeit und den von uns vorgeschlagenen Hilfen sehr gut zurecht.
(Christian Lindner [FDP]: Sagen Sie mal was zu Cum/Ex und Herrn Scholz!)
- „Cum/Ex“ ist ein gutes Stichwort. Bei Cum/Ex haben wenige Hundert Leute Milliardenschaden angerichtet. Das ist ungefähr so schlimm, wie wenn Millionen Leute Milliardenschäden anrichten. Warum machen Sie diesen Unterschied?
(Christian Dürr [FDP]: Land Hamburg! Was genau wusste Herr Scholz?)
Betrug ist nicht teilbar. Betrug und Kriminalität betrachten wir im gleichen Kontext, weil die gesamte Gesellschaft geschädigt wurde, von der jetzt Hilfe verlangt wird.
(Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Herr Scholz verweigert die Aussage im Ausschuss! Zum dritten Mal!)
Das Verlangen von Hilfe ist in Ordnung, das Beteiligen an einer Gemeinschaft aber genauso.
Die FDP differenziert da anders.
(Christian Lindner [FDP]: Überhaupt nicht! Wir sagen nur nicht, dass die ganze Wirtschaft voller Betrüger ist, wie Sie!)
Ihre Mitte liegt, wie bekannt – das habe ich schon einmal gezeigt –, bei den obersten 10 Prozent. Unsere Mitte ist ungefähr in der Mitte. Das ist der entscheidende Unterschied.
(Beifall bei der SPD )
Ich lasse meinen Zollstock heute zusammengeklappt, weil wir die Größe der Aufgabe noch nicht messen können, aber ich habe zumindest die Idee, dass Ihre Ideen falsch sind.
Kollege Binding, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Ja.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Binding, ich würde Sie gerne fragen, weil Sie das Thema Cum/Ex von sich aus angesprochen haben.
Nein, ich habe auf einen Zwischenruf reagiert.
Sie wissen, was in Hamburg in den letzten Wochen passiert ist. Ich würde gerne von Ihnen wissen, wann Herr Scholz aufhört, bei diesem Thema zu mauern, und wann er anfängt, der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen und im Ausschuss Rede und Antwort zu stehen.
(Beifall bei der FDP und der AfD)
Ich spreche hier über etwas, was mir zuwider ist: das Spekulantentum. Sie spekulieren aufgrund irgendwelcher Informationen, die ich nicht prüfen kann, dass Herr Scholz irgendwem irgendetwas verheimlicht hat.
(Beatrix von Storch [AfD]: Das kann man doch lesen, oder nicht?)
Jeder kann in der Geheimschutzstelle nachlesen, was dort passiert ist. Olaf Scholz war im Finanzausschuss und hat Rede und Antwort gestanden.
(Stefan Keuter [AfD]: Nein, eben nicht!)
Ich glaube, mehr kann man von einem Minister nicht verlangen.
(Lachen bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: Da hinten, die lachen gerade!)
– Ja, das sind geschickte Zwischenrufe, aber sie sind leider falsch. – Er war im Finanzausschuss, und er hat übrigens angekündigt, erneut zu kommen.
(Christian Dürr [FDP]: Wir sind gespannt!)
In der nächsten Sitzungswoche wird er wieder Rede und Antwort stehen.
Es ist allerdings schon interessant, dass Sie mich nach etwas fragen, was Olaf Scholz beantworten soll.
(Christian Dürr [FDP]: Sie antworten ja nicht, und Sie haben es angesprochen! – Widerspruch bei der SPD)
– Nein, nein, nein. Kollege Lindner hat einen Zwischenruf mit Cum/Ex gemacht.
Liebe Kollegen, das Format heißt „Frage oder Bemerkung“, aber nicht „Dialog“.
Ja, genau. – Cum/Ex gehört auch gar nicht hierher.
(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Wir sollten mal wieder zur Sache kommen!)
Heute geht es darum, Leuten zu helfen, und nicht darum, sich mit Betrügern zu befassen. Das machen wir an anderer Stelle.
(Christian Dürr [FDP]: Da reden Sie die ganze Zeit von!)
Übrigens: Scott Shapiro, ein Professor an der Yale Law School, hat gesagt:
The Black Death
– die damalige Pest, die von 1347 bis 1353 grassierte –
was so devastating because scientist hadn’t yet discovered tax cuts.
Die Pest war also deshalb so gefährlich und so desaströs, weil die Steuersenkung noch nicht erfunden war. – Genau das ist heute das Problem.
Ich glaube, wir haben sehr gute Vorschläge, um die Krise zu überwinden, und die werden wir aufgreifen.
(Stefan Keuter [AfD]: Mit dem Zollstock!)
Es ist eine gute Idee, wenn die Demokraten im Haus zusammenhalten.
(Beifall bei der SPD)
Das Wort hat der Kollege Fabio De Masi für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7434268 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 153 |
Tagesordnungspunkt | Sofortmaßnahmen in der Corona-Krise |