Niels Annen - Einsatz der Bundeswehr im Irak
Herr Präsident, vielen Dank. – Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Anfang meiner Rede unseren amerikanischen und britischen Verbündeten unser Beileid angesichts des Verlusts ihrer Soldaten bei dem Angriff in Tadschi ausdrücken.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)
Man muss leider sagen: Auch sonst sind die Nachrichten, die uns aus Syrien und dem Irak erreichen, ernüchternd.
In Syrien erleben wir im Moment insbesondere in Idlib die wahrscheinlich schlimmste humanitäre Katastrophe seit Beginn des Konfliktes, der nun immerhin schon fast zehn Jahre andauert. Die jüngste Regimeoffensive mit russischer Unterstützung hat fast 1 Million Menschen zur Flucht gezwungen; mehr als die Hälfte davon sind Kinder. Unsere Bemühungen richten sich im Moment auf die unmittelbare humanitäre Unterstützung dieser Menschen, die dringend nötig ist.
(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])
Der Irak wiederum kämpft derzeit, wie wir alle wissen, mit großen innenpolitischen, aber auch wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Die Proteste der letzten Wochen und Monate in Bagdad, aber auch im Süden des Landes, halten an. Aufgrund des seit September andauernden komplizierten Regierungsbildungsprozesses liegen wichtige Reformen und Sicherheitsvorhaben, natürlich auch wirtschaftspolitische Sicherheitsvorhaben, auf Eis.
Ich glaube, nach der letzten Bemerkung des Präsidenten darf ich hier schon darauf hinweisen: Nicht nur wir beschäftigen uns mit dem Ausbruch der Coronapandemie, sondern auch die Irakerinnen und Iraker tun das, und zwar in einer ganz anderen Situation. Hinzu kommt dann auch noch der Verfall des Ölpreises in den letzten Tagen.
All dies zusammengenommen setzt den irakischen Staat und die irakische Wirtschaft unter enormen Druck. Und der IS, meine Damen und Herren, profitiert von dieser Entwicklung der letzten Wochen und Monate. Auch in Syrien sichert sich der IS erneut Rückzugsräume. Seine Strukturen im Untergrund werden dadurch gefestigt.
Im Irak musste nach den Entwicklungen, die ich jetzt kurz skizziert habe, zu Jahresbeginn die Operation der internationalen Anti-IS-Koalition sogar vorübergehend ausgesetzt werden. Der IS, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat das genutzt. Anschläge sind wieder auf der Tagesordnung, auch aufwendigere und komplexe, was zeigt, dass der IS die Freiräume genutzt hat. All dies bereitet nicht nur uns, sondern auch unseren irakischen, kurdischen und jordanischen Partnern große Sorgen. Sie sind daher sehr, sehr deutlich mit einer Bitte an uns herangetreten, einer eindringlichen Bitte: Deutschland und die anderen westlichen Partner dürfen die Region in dieser Situation nicht alleinlassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, werben wir hier für dieses Ergänzungsmandat. Denn ein erneutes Erstarken des IS wäre fatal für die gesamte Region und – auch das darf man hier sagen – eine Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland und für die Sicherheit in Europa.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herausforderung, die ich beschrieben habe, wollen wir begegnen. Wir wollen die Erfolge der vergangenen Jahre im Kampf gegen die Terrororganisation IS absichern; denn die Tatsache, dass der IS im Moment kein Territorium mehr hält, ist natürlich ein Erfolg gewesen. Aber er soll uns nicht täuschen; denn aus dem Hintergrund heraus hat der IS bewiesen, dass er agieren kann. Das ist auch kein Zufall. Es ist eine Entwicklung, die wir beobachtet haben. Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir deswegen aufmerksam bleiben, dass der Druck in dieser Situation nicht nachlässt. Denn dass es dieses sogenannte Kalifat nicht mehr gibt, ist ebenfalls kein Zufall, sondern Ergebnis auch unserer Bemühungen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Staatsminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Linksfraktion?
Ich erlaube eine Zwischenfrage. Klar.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kommt doch gleich noch dran!)
In drei Minuten kann man nicht so sehr viel sagen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, Alexander, das schaffst du!)
Herr Annen, Sie reden jetzt ganz viel über den IS, den es faktisch gar nicht mehr gibt. Sie haben aber noch kein Wort über den Bündnispartner Türkei gesagt. Er ist in Syrien eingefallen und bewegt sich dort – Stichwort „ethnische Säuberung“ etc. Kein Wort darüber! Wie bringen Sie es fertig, sieben Minuten zu reden, ohne überhaupt einen Ton dazu zu sagen? Das würde mich mal interessieren.
Nun, Herr Kollege, erst einmal sind noch keine sieben Minuten um; insofern hätten Sie meine Rede noch abwarten können. – Ich will das Thema aber schon noch einmal aufgreifen: Sie haben ja gesagt, der IS sei jetzt gar keine Bedrohung mehr. – Das ist nicht der Fall. Es ist genau der Ansatz meiner Rede gewesen, Ihnen noch einmal deutlich zu machen, dass wir uns nicht täuschen lassen sollen. Der IS beherrscht kein Territorium mehr wie das sogenannte Kalifat. Das ist richtig. Aber die Strukturen sind weiterhin da. Wir haben übrigens insbesondere in den Regionen, die zwischen der kurdischen Regierung im Norden und der Regierung in Bagdad umstritten sind, wo es wenig bis gar keine staatliche Präsenz gibt, sehr genau beobachten können, dass das sofort Auswirkungen hat. Darüber, glaube ich, dürfen wir uns nicht täuschen. Es war meine Bitte, dass Sie diese Entwicklung ernst nehmen.
Ansonsten habe ich auf die Situation in Idlib hingewiesen. Man kann in sieben Minuten nicht über einen komplexen, fast zehn Jahre andauernden Bürgerkrieg reden.
(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Aber Sie wissen auch, dass ich im Ausschuss und hier von diesem Pult immer darauf hingewiesen habe, dass wir die Erwartungen, die wir an die russische, die syrische und die irakische Regierung haben, auch an die türkische Regierung richten, nämlich dass das internationale Recht geachtet werden muss. Sie wissen auch, dass der Bundesminister nach den jüngsten türkischen militärischen Operationen in Nordsyrien das sehr klar zum Ausdruck gebracht hat. Trotzdem bin ich Ihnen dankbar, dass ich das hier an dieser Stelle noch einmal wiederholen durfte. Vielen Dank.
Ich glaube, dass das ganz gut überleitet zum weiteren Teil meiner Rede, den ich mir vorgenommen habe Ihnen hier vorzutragen. Natürlich reden wir hier bei dem Mandat, das wir Ihnen vorlegen, über ein Ergänzungsmandat für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte. Aber man darf auch darauf hinweisen, dass unser Beitrag im Kern ein ziviler ist. Deutschland hat sich allein im Irak mit mehr als 2,2 Milliarden Euro im Bereich humanitärer Hilfe, im Bereich Stabilisierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen engagiert. Diese Ertüchtigungsleistung, diese Wiederaufbauleistung, die wir dort erbracht haben, ist auch sichtbar. Die hat sozusagen einen Unterschied gemacht für das tägliche Leben der Menschen. Es ist entscheidend, dass wir die Lage so stabilisieren, dass wir das fortsetzen können. Das gilt unter anderen, viel schwierigeren Bedingungen – das will ich gerne zugestehen – auch für Syrien. Auch beim Engagement für Syrien ist Deutschland einer der größten Geber. Hier spielt aber auch das Militär eine Rolle.
Alle diese Anstrengungen zusammen machen unseren Beitrag aus. Deswegen darf ich hier noch einmal skizzieren: Mit dem Ihnen jetzt vorgelegten Ergänzungsmandat stellen wir uns flexibel auf veränderte Bedingungen ein. Die luftgestützte Aufklärung wird so, wie geplant und hier beschlossen, beendet. Die Fortsetzung des deutschen Beitrags zur Luftbetankung hat sich für unsere Partner aber als sehr wichtig erwiesen. Wir kommen einem Wunsch der irakischen Regierung nach, wenn wir die Möglichkeit eröffnen, die Ausbildung, die wir leisten, zukünftig auch im NATO-Rahmen durchzuführen. Übrigens entgegen mancher Skepsis, auch hier im Raum, ist der Hintergrund des irakischen Wunsches, dass die NATO-Mission aus irakischer Sicht besonders geeignet ist, die Präsenz ausländischer Truppen mit der Souveränität des Landes in Übereinstimmung zu bringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Mandat hat deswegen auch eine klare Botschaft: Wir setzen unsere Bemühungen für unsere Partner und deren Stabilität und deren Sicherheit fort. Dies geschieht durch unser Engagement und unsere Unterstützung im Irak, die im Kern – das würde ich sogar so formulieren – zivil ist. Das geschieht aber auch – da gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang – durch unser militärisches Engagement.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zum Schluss noch eine Bemerkung machen, die mir sehr wichtig ist, weil sie ein bisschen Bezug nimmt auf die aktuelle Situation, in der wir uns befinden: den Coronavirus. Denn trotz der Coronakrise geht die internationale Kooperation weiter. Im Gegensatz zu anderen fallen wir nicht zurück in den Nationalismus,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
weder bei der Bekämpfung des Coronavirus noch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7434308 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 153 |
Tagesordnungspunkt | Einsatz der Bundeswehr im Irak |