Rolf MützenichSPD - Vereinbarte Debatte - Bewältigung der Corona-Krise
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es mag paradox klingen: In einer Zeit, in der Abstand der beste Schutz ist, müssen wir zusammenstehen. Nur gemeinsam können wir die Herausforderung meistern: im Land, aber auch hier im Deutschen Bundestag. Und ja, die Pandemie ist eine existenzielle Herausforderung für jeden, die Gesellschaft und die ganze Welt. Die Erkrankung trifft höchstwahrscheinlich einzelne Gruppen besonders, aber sie trifft jeden unterschiedslos und umfassend. Das ist die existenzielle Herausforderung, die die Gesellschaften, die Welt, aber auch jeder Einzelne nicht nur werden begreifen müssen, sondern auch werden meistern müssen. Deswegen will ich sagen: Ja, wir müssen zuerst all denen danken, die uns in dieser schweren Krise helfen: natürlich den Berufstätigen in den Gesundheits- und den Pflegeberufen, im Lebensmittelhandel, im Transportgewerbe. Und ja, sie werden heute als systemrelevant benannt. Aber ihr Lohn ist nicht so, wie wir ihn uns wünschen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen ist es richtig, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer zumindest in einigen wenigen Bereichen den Tariflohn durch Einmalzahlungen erhöht haben. Aber jetzt kommt es eben darauf an: Wir brauchen in Zukunft bessere Tarife, und dafür muss auch dieser Deutsche Bundestag streiten, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Ich will zugleich sagen: Ich danke Nachbarn, Vereinsmitgliedern, Fremden, Mitarbeitern in den Verwaltungen, Rentnerinnen und Rentnern, Pensionären, die mit den Erfahrungen ihres Arbeitsplatzes jetzt zurückkehren und helfen wollen. Aber ich danke auch denen – auch an die muss man erinnern –, die eben heute nicht ihre Verwandten, ihre Angehörigen und ihre Freunde treffen können, weil sie zu weit weg sind.
Leider gehört es zum Alltag heute auch dazu, dass Menschen von ihren verstorbenen Angehörigen alleine Abschied nehmen müssen und dies nicht in der Solidarität der Trauergemeinschaft tun können. Auch an diese Personen müssen wir erinnern. Das ist meine Anteilnahme, die ich heute hier vom Deutschen Bundestag aus zeigen möchte.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser vorrangiges Ziel ist es, Leben zu retten und gleichzeitig die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen halbwegs in Grenzen zu halten – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deswegen müssen wir die medizinische Versorgung und die staatlichen Hilfen, die die Bundesregierung zusammen mit den Fraktionen dieses Deutschen Bundestages entwickelt hat, auch für die nächsten Monate sichern.
Möglicherweise reicht dies nicht aus. Wir müssen nachsteuern. Wir müssen auch schauen, was wir besser machen können. In der Tat: Wir werden Fehler machen. Aber es ist wichtig, dass jetzt Liquidität, Zuschüsse und Rechtssicherheit geschaffen werden, damit ein Schutzschirm über den Einzelnen, aber eben auch über die Gesellschaft ausgebreitet werden kann.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber das kann dieser Deutsche Bundestag nicht alleine machen. Deswegen ist es für mich motivierend, dass es einen Pilotabschluss in der Metallindustrie und in der Systemgastronomie gegeben hat, mit dem den Beschäftigten zusätzliche Leistungen zuerkannt werden, damit sie diese Krise, aber auch ihre Zukunft am Arbeitsplatz besser gestalten können. Das Kurzarbeitergeld wird aufgestockt.
Deswegen fordere ich die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf: Gehen Sie auf die Gewerkschaften zu, und verhandeln Sie weitere Verträge, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgesichert sind.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Weil der Staat, meine Damen und Herren, 100 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge übernimmt, können die Unternehmen mindestens die Hälfte an ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterreichen. Das ist der beste Weg, um soziale Sicherung zu schaffen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, später wird uns die Geschichte an unserem Verhalten in diesen entscheidenden Wochen weltweit messen. Dann wird wahrscheinlich eine der Ideen sein die Rückbesinnung auf den Staat, ja, auf den starken Staat, aber ich sage als Sozialdemokrat: insbesondere auf einen sozialen, auf einen demokratischen Staat.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist immer unser Leitmotiv gewesen. Wir haben das in den Haushaltsdebatten in den vergangenen Jahren so gemacht.
Aber ich will gleichzeitig auch sagen: Wir werden nicht alle Sorgen nehmen können. Die Menschen haben Sorgen um ihr Leben, um das ihrer Angehörigen. Aber ich kann versprechen, dass wir versuchen werden, die Folgen der Krise so gut wie möglich einzuhegen und zu mildern. Deswegen bin ich auch den Oppositionsfraktionen dankbar, dass wir dies in den vergangenen Tagen gemeinsam schaffen konnten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wie das Virus unterschiedliche Teile der ganzen Welt trifft, so unterschiedlich sind leider auch die Reaktionen. Grob gesagt: Es gibt zwei Gruppen. Es gibt diejenigen, die handeln und nicht danach fragen, woher was kommt. Aber es gibt eben auch diejenigen, die zwar handeln, die manches kleinreden, aber vor allem auf andere zeigen. Ich bin froh, in einem Land, in einem politischen System zu leben, in dem eben nicht andere verantwortlich gemacht werden, in dem wir nicht nach Schuldigen suchen, sondern in dem wir versuchen, der Herausforderung gerecht zu werden. Das macht Deutschland, das macht das Nachkriegsdeutschland innerhalb der Europäischen Union aus.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deswegen müssen wir offene Worte an die richten, die zum Beispiel wie der ungarische Ministerpräsident Orban von der „Italienischen Krankheit“ oder wie Herr Trump vom „Wuhan-Virus“ sprechen. Das ist peinlich; das geht nicht unter Demokraten und schon gar nicht innerhalb der Europäischen Union.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genau deswegen bin ich nicht nur denen dankbar, die Solidarität üben, sondern ich bin auch dankbar, dass wir jetzt erkrankte Menschen aus Italien in den Krankenhäusern in Leipzig aufgenommen haben, dass wir grenznahe Krankenhäuser geöffnet haben und dass wir Italien, aber letztlich auch Spanien diese Solidarität geben. Aber das zeigt dann eben auch für die Zukunft: Wir müssen die Institutionen, die sich um Zusammenarbeit bemühen, unterstützen und dürfen ihnen nicht die Mitgliedsbeiträge vorenthalten, wie es einige tun, wenn es um die Vereinten Nationen geht. Die Weltgesundheitsorganisation ist die Institution, die am besten helfen kann, uns durch diese Krise zu leiten. Deswegen bin ich froh, dass wir Teil dieser Weltgemeinschaft sind.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Und ja, wenn die existenziellen Herausforderungen so sind, wie wir sie beschrieben haben, so ist die Verbreitung des Virus natürlich auch ein Tribut an die Verdichtung von Räumen und Prozessen. 25 Jahre hat es im Mittelalter gedauert, bis die Pest nach Europa gekommen ist. Heute kam die Krankheit innerhalb von 25 Tagen. Arbeit, Handel, Bewegung, Reisen –, das hat natürlich mit dazu beigetragen. Wir werden das nicht zurückschrauben können. Im Gegenteil: Ich glaube, dass wir nicht an der Globalisierung zweifeln dürfen, sondern wir müssen alles dafür tun, dass die Globalisierung gestaltet wird, dass die internationale Arbeitsteilung und natürlich auch die Lieferketten überdacht werden. Insbesondere in ganz wichtigen Bereichen müssen sich die Unternehmen fragen, ob das, was sie in den vergangen Jahren gemacht haben, heute noch das Richtige ist.
Ich sage auch: Auch der Staat muss mit dem Ordnungsrecht dann nacharbeiten, wenn wir bestimmte Bereiche eben nicht so sichern können, wie es für das Überleben der Menschen notwendig ist. Ich denke an Arzneimittel, die Produktion von Schutzmasken und vieles andere auch. Meine Damen und Herren, nicht jeden Preis der Globalisierung dürfen wir zahlen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte zum Abschluss sagen: Ja, es wird eine Zeit nach der Pandemie geben; aber dann wird es auf die Schlussfolgerungen ankommen. Wir haben in den vergangen Tagen schon Schwachpunkte entdecken müssen, insbesondere wenn es um die Digitalisierung geht, um die Zuverlässigkeit, um die Frage, ob wir im Bildungsbereich und in vielen anderen Bereichen ausreichend investiert haben. – Nein, wir müssen mehr investieren, gerade in Menschen und Infrastruktur. Ich glaube, meine Damen und Herren, das kann der Staat tun. Das sind die Herausforderungen, die ich in Zukunft sehe.
Ich will auch sagen: Es müssen sich die Beteiligten die Frage stellen, ob es der richtige Weg ist, wie sie die moderne Arbeitswelt begleiten wollen. Natürlich müssen wir jetzt den Solo-Selbstständigen helfen. Aber ich will auch daran erinnern: Vielleicht gibt es Lehren aus der Vergangenheit, zum Beispiel aus der Arbeiterbewegung, die sich damals in einem Genossenschaftswesen in Solidarität zusammengeschlossen hat, daraus, dass man sich gegenseitig geholfen hat.
Wir müssen die jetzigen Folgen bewältigen, aber dürfen nicht nachlassen, das zu tun, was in Zukunft notwendig ist. Deswegen werden wir mit voller Konzentration und Überzeugung auch in den kommenden Wochen unsere Verantwortung wahrnehmen. Das tun wir vor dem Hintergrund unserer Geschichte und für unser Land.
Bleiben Sie gesund!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Boehringer, AfD.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7435601 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 154 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - Bewältigung der Corona-Krise |