Johannes VogelFDP - Höhe des Kurzarbeitergeldes
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke an die Kollegen der Opposition, dass wir heute die Möglichkeit haben, über Kurzarbeitergeld zu diskutieren! Ihr werdet mir verzeihen, dass ich trotzdem in erster Linie zur Koalition rede, die ja auch gerade in diesen Stunden über dieses Thema verhandelt.
In der Tat: Das Kurzarbeitergeld ist eine erfolgreiche und zentrale Krisenmaßnahme, die wir übrigens – darüber war ich sehr dankbar – einstimmig hier im Deutschen Bundestag verabschiedet haben. Nur deshalb war das Schnellverfahren möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
Den Kolleginnen und Kollegen von den Linken möchte ich sagen: Uns zu unterstellen, wir wären nicht der Meinung gewesen, dass es richtig ist, eine Rücklage für das Kurzarbeitergeld aufzubauen, ist nun wirklich Quatsch. Im Gegenteil: Wir mussten doch die Rücklage gegen Ihre Begehrlichkeiten in den letzten Jahren überhaupt erst verteidigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken;
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das stimmt doch gar nicht!)
Sie wollten sich immer neue Ideen ausdenken.
Ich möchte aber auch klar sagen: Gerade weil das Kurzarbeitergeld so eine erfolgreiche Maßnahme ist, ist es, glaube ich, ernsthaft klug, die Folgen zu bedenken, wenn man jetzt in der Krise Anpassungen vornimmt. Es ist richtig, darüber zu reden, dort etwas zu tun, wo 100 Prozent Kurzarbeit und niedrige Löhne zusammenkommen. Denn in der Tat können da Menschen in sehr schwieriger Lage sein, und ich glaube, das geht uns alle an, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zu einer seriösen Debatte gehört aber auch, dass das ganze Thema nicht so einfach ist; denn es gibt zahlreiche Unternehmen, die bereits aktiv sind – per Tarifvertrag und auch nicht per Tarifvertrag – und Kurzarbeitergeld aufstocken. Es gibt zahlreiche Branchen, wo es nicht 100 Prozent Kurzarbeit gibt und deshalb Einkommen von 80, 90 Prozent. Da jetzt mit der Gießkanne, mit einer pauschalen Erhöhung aus Beitragsmitteln für alle Kurzarbeiter eine Erhöhung vorzunehmen, kann natürlich dazu führen, dass am Ende Folgendes passiert: Es werden nur die Kosten der Unternehmen übernommen, die das Kurzarbeitergeld ohnehin aufstocken. Die Beschäftigten haben gar nichts davon. In künftigen Krisen wird aber kein Tarifpartner und kein Unternehmen mehr eine Aufstockung vornehmen. Gleichzeitig schmilzt die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit in dieser Krise wie Schnee in der Sonne. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann hätten wir dem Instrument der Kurzarbeit einen Bärendienst erwiesen, und das darf man auch nicht tun.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Vogel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Natürlich gerne.
Herr Präsident! Herr Vogel, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Der erste Teil bezieht sich auf die Frage der Beiträge und zu der Aussage, dass die Linke Anträge gestellt hätte, die dazu geführt hätten, dass die Kassen leer sind. Ich glaube, die Kassen wäre noch viel leerer, wenn Sie sich durchgesetzt hätten, nämlich dauernd Beitragssenkungen durchgesetzt hätten, Herr Vogel.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie sich hierherstellen und sagen, wir würden das Geld verbrauchen, kann ich nur sagen: Sie hätten dafür gesorgt, dass gar keines da ist. Das ist, glaube ich, viel schlimmer.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Erwischt!)
Zweitens. Wir haben gerade gehört, dass besonders tarifgebundene Betriebe teilweise auf 100 Prozent aufzahlen. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass das gut ist? Und sind Sie mit mir der Auffassung, dass das daran liegt, dass wir starke Gewerkschaften haben? Sind Sie bereit, mit mir einen Aufruf zu unterschreiben, in dem man die Beschäftigten auffordert, morgen in die Gewerkschaft einzutreten? Wenn Sie das sind, sind wir einen Schritt weiter.
(Beifall bei der LINKEN)
Die letzte Bemerkung. Ist Ihnen eigentlich klar, Herr Vogel, dass wir momentan in einer besonderen Situation sind, die übrigens dazu führt, dass eine große Solidarität in diesem Lande zustande kommt, auch hier im Parlament? Wir alle waren damit einverstanden, dass wir die Unternehmen fördern. Wir haben übrigens nicht einmal genau hingeschaut, wie es eigentlich wirkt, wenn man 9 000 oder 14 000 Euro beantragen kann und man das Geld drei Tage später hat. Wir waren dafür. Das waren übrigens alles Steuergelder.
Warum glauben Sie ausgerechnet dann, wenn es um die Beiträge der Bundesagentur für Arbeit geht, die die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer gemeinsam eingezahlt haben, dass es sinnvoll ist, die Arbeitgeber besonders zu begünstigen, indem wir die Sozialbeiträge bezahlen, aber nicht eine vernünftige Aufzahlung für die Beschäftigten hinbekommen? Diese Ungleichgewichtigkeit müssen Sie mir einmal erläutern, Herr Vogel.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Präsident, ein bisschen Zeit werde ich brauchen, um auf diese drei Bemerkungen, die am Ende mit einem Fragezeichen versehen wurden, einzugehen.
Die Uhr steht.
Die Uhr steht. – Lieber Kollege Ernst, erstens: Bitte auf der Höhe des Gegenstands hier miteinander debattieren. Ich habe als jemand, der übrigens bei der Bundesagentur für Arbeit Verantwortung getragen hat, sehr genau darauf geachtet, dass die Freien Demokraten Beitragssenkungen bei der Bundesagentur für Arbeit erst dann beantragt haben – dann waren sie auch richtig –, als eine ausreichende Krisenrücklage aufgebaut war.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die wir jetzt brauchen!)
Währenddessen haben Sie, lieber Kollege Ernst, mit Ihren Anträgen der Linksfraktion gar nichts Dringenderes zu tun, als irgendwelche neuen Leistungen zu erfinden, die dafür sorgen würden, dass diese Rücklage ganz schnell weg ist.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zweitens. Ich bin absolut der Meinung, dass es großartig ist, dass sowohl tarifgebundene Unternehmen wie übrigens auch nicht tarifgebundene Unternehmen jetzt in großer Zahl Kurzarbeitergeld aufstocken – diejenigen, die es sich leisten können, das in der Krise zu tun. Ich bin sofort bereit, mit Ihnen gemeinsam einen Aufruf zu unterschreiben, der besagt: Es ist großartig, dass wir die Koalitionsfreiheit im Grundgesetz haben; es ist großartig, dass wir Tarifpartnerschaft haben. Und ich finde es – das sage ich ganz offen – großartig, wenn sich Beschäftigte in Gewerkschaften organisieren. Ich kann jeden nur dazu aufrufen, zu überlegen, ob das für ihn das Richtige ist. Das sage ich ganz offen, lieber Kollege Ernst.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Statt jetzt hier die Frage zu stellen, wie wir mit den Beitragsgeldern in dieser wirklich existenziellen Krise umgehen, bitte ich doch, ein bisschen Seriosität in die Debatte zu bringen. Von der Bundesregierung erwarte ich, dass wir jetzt erst einmal konkrete Zahlen, Daten und Fakten vom Arbeitsministerium bekommen. Die haben wir nämlich noch gar nicht; wir haben bisher nur die Voranzeigen. Sie, lieber Herr Kollege Ernst, sind ja auch Experte bei diesem Thema; Sie werden wissen: Das sagt nichts aus. – Wir brauchen zuerst klare Zahlen, Daten und Fakten: In welcher Branche haben wir Kurzarbeit? In welchem Umfang haben wir Kurzarbeit? – Dann können wir beurteilen, wo das mit niedrigen Löhnen zusammenkommt, und zielgenaue Lösungen finden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Die müssten übrigens gar nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden. Wir haben auch heute in vielen Branchen Situationen, wo Kurzarbeitergeld durch zusätzliche Leistungen aufgestockt wird. Das lässt sich auch für den Staat aus Steuermitteln organisieren. Da brauchen wir ein bisschen Kreativität, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
(Beifall bei der FDP)
Eine letzte Bemerkung aber noch an die Bundesregierung. Ich finde es richtig, dass sich die Koalition Gedanken macht: Was ist mit Menschen, wo 100 Prozent Kurzarbeit und niedrige Löhne zusammenkommen? – Dahinter steht immer auch die Aussage: Wir wollen die Menschen jetzt nicht in den Bereich des Existenzminimums kommen lassen, also zum Jobcenter schicken. – Das habe ich in den letzten Tagen mehrfach gehört. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde diese Frage sehr berechtigt, und wir müssen gemeinsam darum ringen, wie wir das hinbekommen.
Aber dieselbe Bundesregierung macht genau das bei einer anderen von dieser Krise massiv betroffenen Gruppe in unserem Land, nämlich Freelancern und Selbstständigen. Alle Bundesländer, egal wer dort regiert – alle Farben: Gelb, Schwarz, Grün, Rot –, fordern die Bundesregierung einstimmig auf, endlich dafür zu sorgen, dass die Krisenhilfen für Selbstständige auch ausgezahlt werden können, wenn es um die Deckung des eigenen Lebensunterhaltes geht.
(Beifall der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])
Und was sagt diese Bundesregierung? Dann sollen die doch aufs Jobcenter gehen.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)
Das ist nicht überzeugend, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt in diesem Land heute sehr viele Freelancer und Selbstständige, Coaches, Künstler. Die haben keine Betriebskosten in Form von Miete, sondern deren Betriebskosten sind sie selbst. Aber durch politische Maßnahmen haben sie derzeit null Aufträge. Deshalb rufe ich Sie dringend auf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregierung, Herr Minister Heil, Herr Minister Altmaier, Herr Minister Scholz: Behandeln Sie Selbstständige nicht länger als Erwerbstätige zweiter Klasse, und passen Sie diese Regeln an!
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7441129 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 155 |
Tagesordnungspunkt | Höhe des Kurzarbeitergeldes |