Helge LindhSPD - Europäische Flüchtlingspolitik
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als sozusagen rhetorischer Advocatus Diaboli spreche ich jetzt zu Ihnen. Ich konzentriere mich auf eine These, einen Punkt. Ich glaube, diese These ist für uns zentral, um überhaupt den Weg einer geeinten und auch humanitären europäischen Asylpolitik gehen zu können. Die These lautet: Die größte Bremse ist die permanente Instrumentalisierung und Funktionalisierung der Asylpolitik für andere Zwecke. Das möchte ich Ihnen demonstrieren.
Weil das aber so ist, bin ich überaus dankbar für die Texte in Ihren Anträgen, den fast schon staatstragenden Grünenantrag, aber auch den Linkenantrag mit Aspekten wie Aufnahmeverteilungszentren, Registrierung, Ausdruck von Solidarität, Pflichtigkeit, Freiwilligkeit oder dezentrale Aufnahme, obwohl ich mitnichten allen Punkten zustimme. Aber der wesentliche Schritt ist – den begrüße ich –, dass wir zu etwas Handwerklichem kommen, zu einer praktischen Frage, zur Frage der Pragmatik in der Asylpolitik.
Jetzt komme ich aber zu meiner These. Ich kann am heutigen Tag nicht umhin, diese These an einem persönlichen Beispiel zu illustrieren. Vergangene Woche hat laut Indymedia eine sich selbst als linksautonom begreifende Gruppe mein Wahlkreisbüro angegriffen und unter anderem den Arbeitsplatz meiner Mitarbeiterin verwüstet – mit Verweis auf Moria, auf die europäische Asylpolitik und auf meine Haltung zum Geordnete-Rückkehr-Gesetz.
Meine Mitarbeiterin, die dort arbeitet, ringt schon zeit ihres Lebens mit antimuslimischem Rassismus, der ihr begegnet, und mit zig Hassmails, die sie in meinen E-Mail-Accounts lesen muss. Was hilft, frage ich an dieser Stelle, die künftige Angst meiner Mitarbeiterin an ihrem Arbeitsplatz im Eintreten für eine geeinte europäische Asylpolitik?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Gar nichts hilft sie. Tätige Menschenverachtung, die sich aber auf Menschlichkeit an den deutschen Außengrenzen und auch an den europäischen Außengrenzen beruft, solche Menschenverachtung im Namen der Menschlichkeit dient nichts anderem als der Unmenschlichkeit. Das muss so auch ausgedrückt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])
Aber jetzt kommen wir zur nächsten Stufe der Instrumentalisierung – das ist die perfideste –: Wenn ich in diesen Tage lese, wie AfD-Bundestagsabgeordnete, wie „PI-News“, wie auch andere geradezu mit klammheimlicher, nein, unverhohlener Freude darüber schreiben, dass ein doch so um humanitäre Aufnahme bemühter Abgeordneter jetzt von einem Angriff aus der linken Richtung getroffen sei, dann ist das – erst recht in Zeiten von Corona – der Gipfel der Anstandslosigkeit, des Zynismus und der Menschenverachtung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Gerade deswegen werde ich – wie auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – meine humanitäre und pragmatische Position nicht aufgeben und werde nicht in die Falle der Instrumentalisierung tappen.
Um ein letztes Beispiel zu geben: Wenn dann noch glatt die rechte Kampfschrift – man muss das hier mal so ausdrücken – „Junge Freiheit“ dieser Tage schreibt, ich hätte ein Interview mit Sawsan Chebli abgesagt, und das in verschwörungstheoretischer Manier, weil dieser Angriff ja nicht von rechts gekommen wäre, dann ist das nicht nur bester Ausdruck dieses rechtspopulistischen Giftes; es ist auch noch dreist gelogen. Gerade weil das so ist, werden wir uns nicht beirren lassen, dieses Interview führen und weiter für Pragmatismus in der Flüchtlingspolitik kämpfen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank. – Damit ist die Debatte beendet. Ich schließe die Aussprache.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7441160 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 155 |
Tagesordnungspunkt | Europäische Flüchtlingspolitik |