23.04.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 156 / Tagesordnungspunkt 16

Christian HaaseCDU/CSU - Schutz für Kommunen in der Corona-Krise

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der schwedische Arzt Hans Rosling beschrieb in seinem Buch „Factfulness“, wie er in den 80er-Jahren in Mosambik mit einer größeren Zahl von Todesfällen unbekannter Ursache konfrontiert war und dem Bürgermeister ohne weitere Überlegung empfahl, Straßensperren zu errichten, um die Ausbreitung der unbekannten Krankheit zu verhindern. Am nächsten Abend fand Rosling rund 20 tote Frauen und Kinder am Ufer des nahegelegenen Sees. Es stellte sich heraus, dass die Menschen, die zum Überleben darauf angewiesen waren, ihre Waren auf dem Markt zu verkaufen, wegen der Straßensperre nicht den Bus, sondern Fischerboote als Transportmittel ausgewählt hatten. Die überladenen Boote kenterten, und Frauen und Kinder, die nicht schwimmen konnten, ertranken.

Die unbekannte Krankheit erwies sich kurz darauf als eine Form der Lebensmittelvergiftung. Die Sorge vor einer Ansteckung, der Grund für die Straßensperre, war also unnötig. Rosling schreibt:

Ich konnte kaum fassen, was ich angerichtet hatte. Warum hatte ich zum Bürgermeister gesagt: „Sie müssen etwas unternehmen“?

Ich stelle diese reale Geschichte voran, weil wir aktuell mit immer mehr Forderungen, etwas zu unternehmen, konfrontiert sind, und weil Roslings Buch uns sehr eindrücklich vor Augen führt, dass wir gerade in Krisenzeiten nicht unseren dramatischen Instinkten folgen sollten, namentlich dem Instinkt der Dringlichkeit, der Angst und der Schuldzuweisung, sondern sorgfältig und ruhig überlegen müssen, welche Daten wir zur Verfügung haben, wie wir sie nutzen, welche Optionen uns zur Verfügung stehen und welche Risiken dem Nutzen jeder Maßnahme gegenüberstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Einfach nur etwas zu unternehmen und in Aktionismus zu verfallen, kann fatale Folgen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Maßstab gilt letztendlich auch für die Auswirkungen der Coronakrise auf die kommunale Seite. Jetzt nur zu rufen: „Wir brauchen einen Rettungsschirm“, wird der Lage nicht gerecht. Fest steht: Wir brauchen Unterstützung. Aber was, wie viel, wann und durch wen, das bedarf einer sorgsamen Diskussion. Hier gilt es, seriös vorzugehen und auch die Steuerschätzungen im Mai abzuwarten.

Meine Damen und Herren, in der Krise glänzen manche besonders hell. Dazu gehören neben dem medizinischen Bereich an vorderster Front unsere Gesundheitsämter. Sie leisten gerade zusammen mit den Ordnungsämtern herausragende Arbeit, so zum Beispiel durch Kooperation mit ambulanten Ärzten und den Krankenhäusern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes arbeiten hervorragend, aber am Anschlag. Deshalb ist der Ansatz des Bundesgesundheitsministers, hier zu helfen, richtig und wichtig.

Meine Damen und Herren, Daten sind nicht nur die Währung von morgen, sondern die Entscheidungsgrundlage von heute. Das Fax, das 1843 erfunden wurde, hat jetzt ausgedient. Die finanzielle Unterstützung von je 150 000 Euro für IT vom Gesundheitsministerium ist daher gut angelegtes Geld.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das Fax wurde doch nicht 1843 erfunden!)

Richtig und wichtig ist auch die personelle Aufstockung der Gesundheitsämter.

(Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie sind beim falschen Tagesordnungspunkt!)

Fünferteams je 20 000 Einwohner sind wichtig, um Infektionsketten zu verfolgen. Bund und Länder unterstützen hier zu Recht; denn vor Ort gibt es schon keine Personalreserve mehr.

Ich komme über die Personalkosten zum Geld. Die Sorgenfalten der Kämmerer sehen schon aus wie Ackerfurchen im Frühjahr:

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt!)

Steuerausfälle auf allen Ebenen, Mindereinnahmen im Kernhaushalt und bei städtischen Einrichtungen. Das BMF sieht im Augenblick rund 17 Milliarden Euro Mehrbelastung auf der kommunalen Seite. Jetzt muss zunächst Liquidität her, damit die Zahlungsfähigkeit kurzfristig gegeben ist. Immerhin halten die Kommunen das gesellschaftliche Leben aufrecht. Leider sind nicht alle der dafür zuständigen Länder dazu bereit. Mein Appell an die Länder: Lassen Sie Ihre Kommunen jetzt nicht im Regen stehen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann, meine Damen und Herren, hört es mit Rettungsschirmen schon auf. Was wir dann brauchen, ist die Einhaltung der Verfassung. Dort ist nämlich der Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung niedergelegt. Jedes Land ist verpflichtet, seinen Kommunen die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen – nicht mehr und nicht weniger ist der kommunale Anspruch. Das ist eine Daueraufgabe und nicht nur Krisenaufgabe. Das heißt: Keine Kredite für Kommunen, sondern echte Mittel. Aber auch der Bund darf nicht die kalte Schulter zeigen.

(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])

Das beziehe ich ausschließlich auf die erhöhten KdU-Kosten. Das geht meines Erachtens am besten über eine reformierte Umsatzsteuerverteilung.

Fassen wir zusammen: Erstens. Die Kommunen zeigen in der Krise wieder einmal ihre Leistungsfähigkeit: „Auf uns ist Verlass.“ Zweitens. Die Länder müssen nun dafür sorgen, dass sie auch finanziell handlungsfähig bleiben. Drittens. Nach der Krise stehen die Kommunen für die Unterstützung bei Konjunkturimpulsen bereit, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen gegeben sind. Das bedarf – darauf möchte ich noch mal hinweisen – besonnener Lösungen und keines Aktionismus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Haase. – Da einige Mitglieder der Fraktion Die Linke der Auffassung waren, dass das Faxgerät nicht 1843 erfunden wurde, sondern später, Herr Kollege Dehm, muss ich Sie eines Besseren belehren. Der schottische Uhrmacher Alexander Bain hat 1843 einen Apparat entwickelt, der als Vorläufer des heutigen Faxgerätes gilt. Insofern lag der Kollege der Union richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Was Sie alles wissen!)

Als nächster Redner hat der Kollege Kay Gottschalk von der AfD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7441990
Wahlperiode 19
Sitzung 156
Tagesordnungspunkt Schutz für Kommunen in der Corona-Krise
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