07.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 158 / Tagesordnungspunkt 15

Philipp AmthorCDU/CSU - Grundrechte in der Corona-Krise

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben es mit den wohl intensivsten Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte des Grundgesetzes zu tun, und es ist richtig und es ist legitim, dass man sie hinterfragt, dass man sie gegebenenfalls auch kritisiert, und es ist richtig, dass wir das hier im Parlament tun.

Das Parlament ist genau der richtige Ort dieser Debatte. Das Parlament muss aber vor allem auch der Ort einer anständigen Diskussion über die Verfassung und eines vernünftigen Umgangstons sein, und den haben Sie völlig verfehlt, Frau Kollegin von Storch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der AfD entlarvt sich doch schon dem Titel nach: „Grundrechten trotz Corona wieder Geltung verschaffen“. Das insinuiert doch quasi schon, die Grundrechte würden nicht gelten. Sie reden hier von einer Aussetzung der Grundrechte, von einem Seuchenregiment, und ich sage Ihnen: Von diesem Wording, von dieser Logik ist es nicht mehr weit zu den Verschwörungstheorien, die dieser Tage eine große Gefahr für unser Land sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Angesichts dessen, was Sie hier vorgeführt haben, muss man sagen: In einigen Jahren können Parlamentshistoriker nachforschen, ob an Ihrer Universität damals tatsächlich Staatsrecht gegeben wurde oder nicht. Anwesend waren Sie scheinbar nicht, Frau von Storch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen sagen: Ja, man kann die Freiheitsbeschränkungen gerne kritisieren. Aber man kann beim besten Willen nicht behaupten, die Grundrechte seien außer Kraft;

(Stephan Brandner [AfD]: Artikel 2 Absatz 2, Artikel 8!)

denn die vergangenen Wochen haben doch gezeigt, dass auch in den Zeiten der Krise gerade nicht das Recht des vermeintlich Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gilt. Es gab rechtmäßige Maßnahmen, und es gab auch unrechtmäßige Maßnahmen.

(Stephan Brandner [AfD]: Artikel 12, Artikel 14!)

Es gab Mut, und es gab auch Übermut. Aber die Grundrechte sind ihrer Bedeutung als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat gerecht geworden.

(Stephan Brandner [AfD]: Artikel 3, Artikel 2!)

Ich weiß nicht, was Ihr Rechtsverständnis von der AfD ist; aber unsere Bundesregierung und uns als Parlament muss man nicht extra auffordern, sich an die Grundrechte zu halten,

(Stephan Brandner [AfD]: Scheinbar doch! Jeden Tag!)

sondern die Grundrechtsbindung gilt kraft Artikels 1 Absatz 3 für uns automatisch. Da sollten Sie lieber sich hinterfragen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die vergangenen Wochen haben auch bestätigt, dass die Grundrechte staatlichem Handeln konsequent Grenzen ziehen. Gerichte hin bis zum Bundesverfassungsgericht haben Maßnahmen bestätigt, aber Maßnahmen eben auch aufgehoben: Reisebeschränkungen, Ausgangsbeschränkungen, Demonstrationsverbote.

(Stephan Brandner [AfD]: Das gab es gar nicht genug!)

Um das aufzuheben, braucht es nicht die AfD und auch nicht Ihren Antrag. Der beschränkt sich allein auf ein Rekapitulieren der Rechtsprechung und bringt keinen Mehrwert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich will trotzdem sagen: Ich kann die AfD ja ein bisschen verstehen, warum Sie hier diesen Zirkus aufführen.

(Zuruf von der AfD: Zirkus? – Stephan Brandner [AfD]: Sind Sie jetzt der Direktor?)

Corona macht es Ihnen ja auch wirklich nicht leicht. Sie verhalten sich da ja ein bisschen wie das Fähnchen im Wind. Erst gab es die Verschwörungstheorie: Die Regierung ignoriert das Virus, die Maßnahmen kommen zu spät.

(Stephan Brandner [AfD]: Hat sie ja auch! – Weiterer Zuruf von der AfD: Genau!)

Dann waren Ihnen die Maßnahmen zu hart.

Jetzt gibt es neue Verschwörungstheorien. Manche von Ihnen finden die klasse, manche nicht, und das Problem ist offensichtlich: Auf einmal fühlen Sie sich vielleicht so ein bisschen wie wir. Jetzt haben Sie auf einmal rechts neben sich Fake-News-Truppen, die sich auch aus Ihrem Instrumentenkasten bedienen. Das tut mir ja ein bisschen leid für Sie.

(Heiterkeit des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])

Außerdem haben Sie noch das Problem der Ursache für Corona. Merkel ist nicht schuld, die Flüchtlinge sind nicht schuld.

(Heiterkeit der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Es ist halt eine schwierige Lage. Da muss man sagen: Dieses Problem ist für Sie einfach eine Nummer zu groß, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Herr Amthor, was erzählen Sie für einen Unsinn!)

Gerade weil das so ist, sollten wir im Parlament die Zeit auch nicht nutzen, uns mit Ihrer Propaganda zu beschäftigen, sondern lieber mit der sinnvollen Frage, wie man jetzt als Gesetzgeber und auch als Parlament sinnvoll über Grundrechte und die Verfassung diskutieren sollte. Denn ich habe es gesagt: Wir haben es mit den intensivsten Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte unseres Landes zu tun, und wir müssen zur Kenntnis nehmen,

(Stephan Brandner [AfD]: Verschwörungstheoretiker!)

dass diese Freiheitsbeschränkungen eben an vielen Stellen auch mit mich teilweise überraschender, gigantischer Zustimmung zustande gekommen sind,

(Stephan Brandner [AfD]: Ach nee!)

Freiheitseinschränkungen mit donnerndem Applaus.

(Stephan Brandner [AfD]: Ihr Manuskript ist schlecht!)

Manche haben dabei eben dann auch gesagt, die Gesundheit sei so etwas wie das neue Supergrundrecht. Manche Staatsrechtslehrer haben deshalb davor gewarnt, dass wir uns von einem freiheitlichen Rechtsstaat zu einem hysterischen Hygienestaat bewegen könnten.

(Stephan Brandner [AfD]: Staatsrechtler Amthor!)

Natürlich kann man sagen: Diese Warnungen sind übertrieben.

(Stephan Brandner [AfD]: Ist das nicht eine Verschwörungstheorie?)

Natürlich hat mancher gesagt: In der Zeit dieser wirtschaftlichen Krise über Grundrechte, über Verfassung zu reden, das ist doch ein bisschen abgehoben, das ist theoretisch. – Ich sage aber: Die Frage der Grundrechtsbindung ist keine theoretische Frage; sie ist eine eminent entscheidende lebenspraktische Frage. Sie betrifft die Gewerbefreiheit, die Religionsfreiheit, die Reisefreiheit.

(Zuruf von der AfD: Alles, was Sie unterbunden haben!)

Deswegen ist es richtig, dass wir widersprechen, wenn jemand sagt: Das ist die Diskussion nicht wert, jetzt ist die Zeit des Handelns, jetzt ist die Stunde der Exekutive. – Da kann ich nur sagen: Das mag richtig sein. Aber richtig ist auch: Ja, es ist die Zeit des Handelns; und Politiker, die aus Angst vor dem Handeln nicht handeln, haben ihren Job verfehlt.

(Stephan Brandner [AfD]: Wie haben denn Sie gehandelt, Herr Abgeordneter?)

Und ja, es ist auch richtig, zu sagen: Es ist die Stunde der Exekutive. – Aber es ist eben auch die Stunde des Parlaments und vor allem zu jeder Zeit die Stunde der Verfassung. Das ist der Geist, den wir als selbstbewusste Parlamentarier zeigen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist die Frage der Grundrechtsbindung eben kein Schönwetterthema.

(Stephan Brandner [AfD]: Ein AfD-Thema!)

Vielmehr müssen wir wissen: Je länger diese Freiheitsbeschränkungen andauern, desto begründungsbedürftiger werden sie.

(Stephan Brandner [AfD]: Wo ist denn Ihr Antrag dazu? Ich habe keinen CDU-Antrag dazu gesehen!)

Deswegen ist es richtig, dass wir uns auf den Weg zu Lockerungen machen. Das Grundgesetz zwingt uns vor allem zu einem: zu permanenten Abwägungen. Ich kann nur davor warnen, das Denken der AfD zu übernehmen: Schwarz oder weiß, null oder eins.

(Stephan Brandner [AfD]: Null oder eins?)

So funktioniert die Verfassung nicht. Es geht nicht um Gesundheit oder Wirtschaft, Gesundheit oder Religionsfreiheit. Es geht immer um Gesundheit und Wirtschaft, Gesundheit und Religionsfreiheit, Gesundheit und andere Grundrechte.

(Stephan Brandner [AfD]: Höhere Mathematik jetzt hier?)

Genau darauf müssen wir setzen. Diese Abwägung müssen wir hier einfordern, das müssen wir begleiten, das erfordert Feinjustieren, Austarieren. Und das ist, meine Damen und Herren, nichts für die verfassungsrechtlichen Grobmotoriker der AfD. Ich kann nur sagen: Diese Grundrechtsabwägung ist eine Operation am offenen Herzen, und Sie haben auch in Ihrer Zeit im Deutschen Bundestag Ihr OP-Besteck für das Verfassungsrecht noch immer nicht gefunden.

(Stephan Brandner [AfD]: Oh! Herr Amthor! Ihre blöden Bilder!)

Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Konstantin Kuhle [FDP] begibt sich zum Rednerpult – Stephan Brandner [AfD]: Uns bleibt nichts erspart heute! Jetzt kommt Amthor II!)

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Konstantin Kuhle, FDP.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7444257
Wahlperiode 19
Sitzung 158
Tagesordnungspunkt Grundrechte in der Corona-Krise
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