07.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 158 / Tagesordnungspunkt 15

Konstantin KuhleFDP - Grundrechte in der Corona-Krise

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte gestern ein Telefonat mit einem Herrn aus Niedersachsen,

(Stephan Brandner [AfD]: Ich auch!)

der mit seiner Familie in Stade ein Reisebüro betreibt. Für die Reisebüros ist das momentan keine leichte Zeit: Die Einnahmen brechen weg, es gibt keine Perspektive für den Sommer. Deswegen haben sich die Betreiber dieses Reisebüros mit anderen zusammengetan, um eine Demonstration zu organisieren. Sie wollen eine richtig große Versammlung machen, um auf ihre Sorgen und Nöte aufmerksam zu machen. Er hat sich an mich gewendet und gefragt: Dürfen wir das überhaupt? Ist es überhaupt gestattet, in einer solchen Zeit – Corona, der Staat ergreift starke, harte Maßnahmen – eine Versammlung zu machen?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir bricht das das Herz. Denn wir brauchen auch in diesen Zeiten Bürgerinnen und Bürger, die ihre Grundrechte nutzen, die auf ihre Sorgen und Nöte aufmerksam machen und auch die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit für sich nutzen. Deswegen ist es gut, dass wir hier über die Versammlungsfreiheit miteinander diskutieren.

(Beifall bei der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Dank AfD! Guter Antrag, ne?)

Ich wundere mich ein bisschen, meine Damen und Herren, darüber, dass es in der Debatte über die Versammlungsfreiheit, über die Coronamaßnahmen so etwas wie autoritäre Reflexe gibt. Da wird sich mitunter darüber aufgeregt, dass Lockerungsdiskussionen geführt werden. Da werden diejenigen diffamiert, die sich für Öffnungen einsetzen.

(Stephan Brandner [AfD]: Das war die CDU, die diffamiert hat!)

Aber ich will Ihnen eines sagen: Es ist ganz wichtig, dass wir die Debatte über Öffnungen und über Lockerungen hier im Parlament führen. Es gehört zu einer freiheitlichen Demokratie dazu, dass Wissenschaftler sich auch in der Öffentlichkeit widersprechen können. Es gehört dazu, dass Medien unterschiedliche Thesen austesten können, dass man dort miteinander diskutiert. Denn ich will Ihnen eines sagen: Wenn diese Diskussion nicht im Parlament, nicht in der freien Presse, wenn diese Diskussion nicht in der Wissenschaft stattfindet, dann findet sie in irgendwelchen obskuren Telegram-Gruppen von C-Promis statt,

(Stephan Brandner [AfD]: CDU-Fraktion!)

beklatscht von den Rechtspopulisten der AfD. Deswegen müssen wir hier über Grundrechte und über die Versammlungsfreiheit diskutieren und dürfen das nicht denen am rechten Rand überlassen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern hat, meine Damen und Herren, hier vor dem Gebäude eine Demonstration stattgefunden, bei der am Ende ein Kamerateam der ARD angegriffen worden ist. Ich will dazu zwei Bemerkungen machen.

Erstens. Die Versammlungsfreiheit gilt immer nur für friedliche Versammlungen.

(Stephan Brandner [AfD]: Die gilt zurzeit gar nicht!)

Die Menschen können sich versammeln, ohne Waffen und friedlich. Aber wer unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit dieses Grundrecht missbraucht, um Journalisten anzugreifen, der muss mit einer harten Gegenreaktion des Staates rechnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen gilt meine zweite Bemerkung, gilt mein Dank den Polizistinnen und Polizisten, die weiß Gott keinen einfachen Job gestern hatten, dort die Pressefreiheit hochzuhalten und gleichzeitig übrigens auch ein Zeichen an die friedlichen Demonstrantinnen und friedlichen Demonstranten zu senden.

(Stephan Brandner [AfD]: Auch die friedlichen wurden weggetrieben da gestern! Waren Sie da draußen?)

Vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst bei der Polizei, dass sie gegen diese Truppe unsere Grundrechte hochhalten. Die haben es wirklich nicht leicht.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, dass wir angesichts der massiven Einschränkungen der Grundrechte, die es momentan in der Bundesrepublik gibt, hier darüber reden müssen, wie wir strukturell, wie wir institutionell unsere Grundrechte wieder mehr in den Vordergrund rücken können. Dafür machen wir als Freie Demokraten im Wesentlichen drei Vorschläge.

Erstens sollte es immer um materielle Kriterien und nicht um formelle Kriterien gehen. Es ist egal, ob da 20, 30 oder 50 Menschen demonstrieren. Wenn die Hygiene und die Abstandsregeln eingehalten werden, dann ist der Versammlungsfreiheit der Vorrang einzuräumen.

(Beifall bei der FDP)

Israel zeigt das übrigens. Dort haben 2 000 Menschen in einer Demokratie gegen die Regierung demonstriert, unter Einhaltung der Abstandsregeln, und das ist möglich.

(Stephan Brandner [AfD]: In Deutschland geht das nicht!)

Also: In einer Demokratie gibt es auch in Coronazeiten Versammlungsfreiheit. Deswegen muss das Ganze an materiellen Kriterien ausgerichtet werden.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens sollten wir uns, meine Damen und Herren, darüber unterhalten, wie wir die Diskussion über Grundrechtsbeschränkungen weg von der Exekutive hin zur Legislative bewegen. Es ist in Ordnung, dass der Staat in so kurzer Zeit auch pragmatisch als Exekutive tätig wird, aber je länger diese Maßnahmen dauern, umso mehr müssen die Debatten darüber im Parlament geführt werden – übrigens nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in den Landtagen; Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes gibt darauf einen wichtigen Hinweis. Wenn die Länder auf der Grundlage des Bundesrechts Rechtsverordnungen erlassen können, dann kann das auch im Wege von Gesetzen erfolgen. Deswegen sollten wir hier die Länder auffordern, den Gesetzesweg zu wählen und sich nicht alleine auf Rechtsverordnungen zu beschränken.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist genau mein Antrag!)

Zu guter Letzt, meine Damen und Herren, sollten wir uns auch dafür einsetzen, dass es eine Freiheitskommission beim Deutschen Bundestag gibt, in der nicht nur die virologische Sichtweise, sondern auch die psychologische, die soziologische, die juristische Sichtweise zur Geltung kommt. So können wir etwas für die Versammlungsfreiheit in Deutschland erreichen, mit Ihrem Antrag nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Mahmut Özdemir, SPD.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7444258
Wahlperiode 19
Sitzung 158
Tagesordnungspunkt Grundrechte in der Corona-Krise
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