Christoph BernstielCDU/CSU - Grundrechte in der Corona-Krise
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste, wenige auf den Tribünen, viele vielleicht an den TV-Bildschirmen! Wir reden heute unter anderem über den Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Grundrechten wieder Geltung verschaffen – Keine Datensammlung durch eine Corona-App“. Ich muss schon sagen: Es macht mich ein wenig traurig, nein es bestürzt mich sogar, dass Sie ausgerechnet in einer Phase, in der wir einen beispiellosen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erleben, in der sich Menschen disziplinieren, genau so einen Antrag einbringen, der nur ein Ziel verfolgt, nämlich Angst zu schüren, Misstrauen zu säen und die Regierung zu diskreditieren.
(Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD])
– Ja, das Lachen wird Ihnen gleich vergehen; denn Ihr Redner Martin Reichardt hat in der Debatte zuvor noch gesagt, dass es schäbig wäre, Angst in der Bevölkerung zu schüren und diese zu benutzen, um irgendwelche Rechte einzuschränken. Genau das machen Sie jetzt mit Ihrem Antrag, indem Sie hier, wie es der Kollege Amthor, der heute schon häufig erwähnt wurde, gesagt hat, falsche Fakten verbreiten und einfach eine Stimmung erzeugen, die sich so nicht hält.
Aber wenn Sie von Problemen reden bzw. von einem Missbrauch, der durch diese App entstehen kann, dann ist das in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Denn Sie beziehen sich in Ihrem Antrag ausgerechnet auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke, die auf ähnliche Weise immer wieder unsere Sicherheitsorgane kritisiert und ihnen ohne jedes Augenmaß und pauschal einen Missbrauch jeglicher Kompetenzen unterstellt. Das machen Sie in Ihrem Antrag auch, und das lehne ich ab. Es zeigt aber erneut, wie nah sich doch die beiden Pole sind, was Sie hier immer wieder leugnen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Was für ein Bullshit! Nur Bullshit! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Guck mal auf die eigene rechte Flanke!)
Schauen wir uns doch einmal an, wie Datenmissbrauch mit einer solchen App tatsächlich funktionieren kann.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Nix kapiert! Kurz vor dem 8. Mai! Nix kapiert!)
Ausgerechnet bei Ihren populistischen Freunden in Polen können wir erstaunlicherweise sehr gut beobachten, wie eine solche App nicht verwendet werden sollte. Dort ist es nämlich so: Jeder, der sich mit dem Coronavirus infiziert hat, ist verpflichtet, diese App zu nutzen. Die Daten werden an die Polizei weitergegeben. Die Menschen müssen, wenn sie die Aufforderung bekommen, ein Selfie von sich an die Polizeibehörden posten. Tun sie dies nicht, so können sie festgenommen werden. Dieses Selfie muss im Umkreis von 100 Metern um ihren Wohnort aufgenommen worden sein, und die Daten werden bis zu sechs Jahre gespeichert.
Nicht viel besser sieht es in Russland aus. Dort gibt es ebenfalls eine App-Pflicht; die App hat ähnliche Funktionen. Hinzu kommt die Einrichtung von Checkpoints. Die Menschen müssen einen QR-Code auf ihrem Handy haben. Wenn dieser QR-Code nicht gültig ist, dürfen sie gewisse Bereiche der Stadt nicht betreten. Das alles ist noch gewürzt mit einer Prise Gesichtsüberwachung. So funktioniert das in autoritären Staaten. Über China – da kennen Sie sich wahrscheinlich bestens aus – brauchen wir hier gar nicht zu reden. Dass wir so etwas in Deutschland nicht wollen und dass das auch niemand geplant hat, das ist Konsens hier im gesamten Haus und mittlerweile bei allen angekommen, nur anscheinend bei Ihnen nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte an dieser Stelle aber auch Danke sagen; denn Sie geben uns jetzt die Gelegenheit, das Thema App hier ausführlich darzustellen und einige Fake News und Unwahrheiten, die verbreitet wurden, zu klären. Ich möchte etwas zu den Funktionen der App sagen. Worum geht es eigentlich? Es geht darum, Infektionsketten rekonstruieren und die Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus eindämmen zu können, indem frühzeitig Warnungen ausgesprochen werden. Das sind die zwei Kernfunktionen dieser App. Hinzu kommt noch, wenn das von den Nutzern gewünscht ist – das ist ja ein ganz entscheidendes Kriterium –, dass man mehr über das Virus selbst erfahren kann, zum Beispiel über die Verbreitungswege oder auch über die oft genannte Dunkelziffer.
In diesem Zusammenhang gab es verschiedene Ansätze, die bereits verfolgt wurden – Sie alle haben sicherlich den europäischen Ansatz verfolgt –, und es gibt Diskussionen – das ist gut, richtig und vollkommen normal in einem Rechtsstaat – über Fragen des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre. Was Sie, liebe AfD, als Versagen der Regierung kritisieren, dass es nicht gelungen ist, diese App schnellstmöglich auf den Weg zu bringen, das würde ich als qualitativ gutes Arbeiten und Vorgehen mit der gebotenen Sorgfalt beschreiben, um so eine wichtige App auf den Weg zu bringen.
(Zuruf der Abg. Joana Cotar [AfD])
Genau auf diesem Weg befinden wir uns gerade. Ein ganz wesentliches Kriterium ist das sogenannte Prinzip der doppelten Freiwilligkeit, das heißt, wenn diese App kommt, dann ist es für jeden freiwillig, sie zu installieren, und es ist auch freiwillig, eine Datenspende zu machen bzw. überhaupt eine Meldung in diese App einzugeben. Das ist ein ganz fundamentales Prinzip und unterscheidet diese App, den deutschen Ansatz von vielen anderen Ansätzen in der Welt und – leider, muss man sagen – in Europa.
Ich will aber auch darauf hinweisen, weil es einige Kritik in diesem Zusammenhang gibt, welche Probleme sich in diesem Zusammenhang aus dem Vergleich zwischen dem zentralen und dem dezentralen Ansatz ergeben. Ein maßgeblicher Punkt, den wir besprechen müssen, ist das Thema Fehlalarm. Stellen Sie sich mal vor, jemand nutzt diese App, ist mit dieser App unterwegs, die App registriert die Kontakte, natürlich anonymisiert, und dann macht er sich einen Spaß und löst Fehlalarm aus. Dann kriegen im schlimmsten Fall in einer Großstadt wie Berlin mehrere Tausend Menschen die Meldung: Achtung, Coronainfizierung in Ihrem Umfeld! Bitte begeben Sie sich zum Arzt, oder gehen Sie gleich in Quarantäne. – Das gilt es natürlich zu vermeiden. Für diesen Prozess brauchen wir dringend eine Schnittstelle, die überprüft, ob derjenige, der den Alarm auslöst, tatsächlich infiziert ist. Die gute Nachricht ist: Da kann man viel machen, mit anonymisierten PIN-Codes, mit Blockchain. Alles ist möglich. Aber dieses Problem dürfen wir nicht aus den Augen verlieren; wir dürfen nicht einfach sagen: Nur der dezentrale Ansatz löst alle Probleme.
Dann noch mal zu der Frage der Freiwilligkeit. Hier wird ja häufig infrage gestellt, dass das mit der Freiwilligkeit funktionieren könnte, die Deutschen würden das überhaupt nicht wollen. Da gibt es Gott sei Dank einige Erkenntnisse. Und zwar gibt es ja bereits die Datenspende-App des Robert Koch-Instituts, zugegeben am Anfang mit einigen Startschwierigkeiten. Es gab immerhin 400 000 Deutsche, die freiwillig an dieser Datenspende teilgenommen haben, die Fitnessdaten gespendet haben, sogar unter Angabe ihrer Postleitzahl.
Etwa zur gleichen Zeit hat der Bayerische Rundfunk Anfang April eine Umfrage durchgeführt; diese ist für Sie äußerst interessant, liebe Kollegen von der AfD.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Warum eigentlich „liebe“?)
Und zwar wurden dort 10 000 Teilnehmer gefragt, wie sie es denn halten würden, ob sie überhaupt eine solche App benutzen würden, ja oder nein. 56 Prozent gaben an, dass sie diese App nutzen würden.
Die Umfrage geht noch ein bisschen tiefer und beleuchtet, welche Anhänger welcher Partei einer Nutzung dieser App zustimmen bzw. ein hohes Vertrauen sehen. Überraschend: Die höchste Zustimmung geben die Unionswähler mit 71 Prozent. Auch die Grünen – sonst eigentlich immer sehr kritisch bei solchen Fragen – stimmten mit 62 Prozent zu; 59 Prozent sind es bei der SPD. Bei der AfD sind es erstaunlicherweise – das ist der mit Abstand niedrigste Wert – nur 27 Prozent. Nur 27 Prozent der AfD-Wähler stimmen einer Verwendung dieser App zu. Das spiegelt sich auch in Ihrem Antrag wieder.
Wenn Sie fordern, diese App nicht einzusetzen, dann sind Sie es, die den nächsten Shutdown provozieren.
(Zurufe von der AfD: Ach!)
Wir brauchen diese App, um lokal präzise eingrenzen zu können, wo sich Infektionsketten ausbreiten. Wir brauchen diese App auch, um auf den nächsten Virus, der sicherlich kommen wird, vorbereitet zu sein. Und wir brauchen diese App, um die Verhältnismäßigkeit auch in Zukunft gewährleisten zu können und präzise eingreifen zu können. Wenn Sie die Einführung dieser App ablehnen, dann lehnen Sie auch all diese sinnvollen Maßnahmen ab. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Zum Schluss möchte ich noch sagen: Wir haben das Grundgesetz schon verteidigt – gegen rechts und links –, da hat es Ihre Partei noch gar nicht gegeben. Wir brauchen von Ihnen keine Belehrung. Und machen Sie sich keine Sorgen: Wir werden das Grundgesetz auch in Zukunft verteidigen, wenn Sie hoffentlich nicht mehr hier in diesem Haus sitzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Oh Mann ey!)
Vielen Dank, Christoph Bernstiel. – Die nächste Rednerin für die AfD-Fraktion: Joana Cotar.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7444264 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Grundrechte in der Corona-Krise |