Georg NüßleinCDU/CSU - Schutz der Bevölkerung bei epidemischer Lage
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die Vorrednerin hat selbstverständlich recht mit der Feststellung, dass noch nicht alles überstanden ist, die Pandemie nicht überwunden ist. Wir sind mittendrin. Trotzdem, glaube ich, gibt es Anlass zur Freude, nämlich festzuhalten, dass wir das Thema aktuell besser im Griff haben, als alle von uns jemals gewagt haben zu hoffen. Auch das darf man an dieser Stelle festhalten.
Angesichts dessen ärgert es mich natürlich genauso wie Sie, Frau Klein-Schmeink, dass die Populisten von rechts wie von links jetzt kommen und lieber ganz was anderes diskutieren wollen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Oh Gott! Bullshit!)
– Seien Sie ruhig!
(Beifall des Abg. Dr. Wieland Schinnenburg [FDP])
Sie haben doch gerade hier versucht, uns Ihr linkes Spezialprogramm zu präsentieren, bis hin zur Verstaatlichung von Krankenhäusern, anstatt sich an das Thema zu halten, über das wir hier diskutieren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Herr Dr. Nüßlein, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Korte?
Ich befürchte, dass er weiter sein Programm darstellen will. Aber bitte!
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Du kannst ihm ja ein Snickers anbieten! Er ist ein bisschen außer sich!)
Herr Korte.
Unser gutes Programm will ich jetzt nicht ausführlich darstellen.
Nö, das würden Sie auch nicht dürfen.
Vielmehr will ich die Gelegenheit nutzen, genauer nachzufragen. Der Kollege Ullmann sprach mit Blick auf Großbritannien. In Zeiten der Pandemie kann man doch nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, dass die Privatisierung des Gesundheitssystems und die Kürzung von staatlichen Mitteln zu den unerträglichen Zuständen, unter denen Pflegekräfte arbeiten müssen, überhaupt erst geführt haben. Auf die Spitze getrieben wurde das Ganze in Großbritannien unter der grässlichen Margaret Thatcher und unter Tony Blair, als die staatlichen Mittel im Nationalen Gesundheitsservice kurz und klein gekürzt worden sind. Ist Ihre Auffassung allen Ernstes, dass wir weiterhin eine Marktlogik im Gesundheitssystem brauchen? Sind Sie nicht der Auffassung, dass gerade in diesen Zeiten der Markt aus dem Gesundheitssystem raus muss und dass wir eine top finanzierte staatliche Versorgung brauchen?
(Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wie zu DDR-Zeiten!)
Ich will keine privatisierten Krankenhäuser. In der Tat will ich ein top finanziertes staatliches Gesundheitssystem und kein staatliches Gesundheitssystem wie in Großbritannien, das wegen Leuten wie Ihnen, die den Neoliberalismus und den Markt anbieten, in dem Zustand ist, in dem es ist.
(Zurufe von der FDP)
– Ja, das ist die Situation. Deswegen frage ich nach. Das ist doch erlaubt.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Theurer [FDP]: So spricht Johnson, wie Sie!)
Vielen Dank, Herr Jan Korte. – Jetzt kommt Herr Nüßlein.
Lieber Herr Kollege, Sie haben ja gerade bei Ihren Ausführungen den eigenen Widerspruch selbst bemerkt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Nee, noch nicht!)
Sie fordern hier ein staatliches Krankenhauswesen, kritisieren gleichzeitig das staatliche Krankenhauswesen in Großbritannien, bei dem es eben nicht funktioniert.
(Zuruf von der LINKEN: Wo ist da der Widerspruch?)
Es funktioniert deshalb nicht, Herr Kollege, weil es staatlich ist, nicht weil es am Geld mangelt.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Es ist kurz und klein gespart worden!)
Ey, jetzt ist Herr Nüßlein dran.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Der von Ihnen gescholtene Markt wird dafür Sorge tragen, dass sich die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Pflegekräfte verbessern;
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Wie bei den Schutzmasken! Da hat das auch voll funktioniert!)
denn die marktliche Situation ist momentan doch die, dass momentan diejenigen Institutionen, die Pflegekräfte anwerben wollen – –
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu den Schutzmaßnahmen!)
– Jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden.
Jetzt mal ganz im Ernst. Bei aller Erregung, die ich nachvollziehen kann, weil es ein wirklich schwieriges Thema ist: Lassen Sie bitte denjenigen, der eine Frage gestellt bekommen hat, diese auch beantworten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Können wir das so machen? – Gut. Das ging jetzt an Herrn Dr. Kessler. – So, Herr Nüßlein, Sie sind dran. Und nebenbei: Die Antwort kann man auch ein bisschen kürzer halten.
Es ist angenehmer, wenn man in größerer Ruhe antworten kann.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Snickers!)
Ich sage jetzt etwas vorher – und Sie können mich daran messen –: Der Markt und die Problematik, dass wir zu wenig Pflegekräfte auf diesem Markt haben, werden dafür Sorge tragen, dass die Bezahlung besser wird, dass in der Konsequenz mehr Menschen diesen Beruf ergreifen werden und die Arbeitsbedingungen besser werden. Genau so wird es kommen. Das können Sie sich anschauen.
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Da warten wir doch schon ewig drauf!)
Nichts kann die Problematik besser lösen als der Markt; denn auch bei staatlichen Systemen, lieber Herr Kollege, sind die Mittel knapp. Wir werden in den nächsten Monaten vielfach über die Knappheit dieser Mittel nach der Krise reden und uns überlegen, wie man mit dieser Knappheit umgeht;
(Jan Korte [DIE LINKE]: Wo wir Geld herkriegen vielleicht!)
denn leider Gottes ist die Zeit vorbei, wo man sich alles leisten kann. Dass wir eine Steuerung in den Krankenhäusern brauchen und die Selbstkostenfinanzierung seinerzeit daran gescheitert ist, dass am Schluss die Mittel ausgegangen sind und der Arbeitsmarkt entsprechend belastet war, das wissen Sie doch selber.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist ein Mythos!)
Ich verstehe, dass Sie uns Ihr linkes Programm unterjubeln wollen, aber es ist nicht die Zeit und nicht die Stunde, über so etwas zu diskutieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
So, jetzt kommen wir wieder zu Ihrer Rede.
Genau. – Ich bleibe bei der Linken: Ich hätte mich gefreut, wenn Sie die Prämie für Pflegekräfte gewürdigt hätten. Ich halte es für ein wichtiges Signal, dass Anerkennung nicht nur Applaus, nicht nur mündliche Wertschätzung ist,
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Wir brauchen dauerhafte Wertschätzung der Pflegekräfte!)
sondern dass es auch darum geht, die Wertschätzung auch in materiellen Werten auszudrücken. Die Menschen haben die Prämie in Höhe von 1 000 Euro – ich hoffe, dass die Länder den Betrag auf 1 500 Euro aufstocken – verdient, weil die Besuchsverbote nicht nur die zu Pflegenden belasten. Die veränderte Situation, einspringen zu müssen, Menschen, die auf einem schwierigen, vielleicht auf dem letzten Weg sind, professionell begleiten zu müssen, sorgt für Anspannung. Das müssen wir anerkennen, auch finanziell. Ich hätte mich gefreut, wenn es entsprechend gewürdigt worden wäre.
Nun macht das, was ich gerade beschreibe, das folgende Dilemma deutlich. Wir haben auf der einen Seite hochvulnerable, ältere Menschen, die wir vor Corona schützen müssen, und auf der anderen Seite die Vereinsamung, die durch Isolierung entsteht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle unterstreichen, dass eine der wichtigsten Lockerungen, die dieser Tage von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin beschlossen wurden, die Lockerung des Besuchsverbots ist. Das ist ganz wichtig für die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen, aber auch, meine Damen und Herren, für die Pflegekräfte.
Beim Thema Lockerung ist für mich entscheidend, dass wir vorsichtig, aber zielorientiert vorangehen. Es darf nicht sein, dass die Therapie und deren Nebenwirkungen am Ende schlimmer sind als die Krankheit selbst. Das darf nicht sein. Ich weiß, dass manche auf der rechten Seite des Hauses meinen, das sei schon so. Ich weise darauf hin, dass wir als Politik eine Gesamtverantwortung wahrnehmen, die übrigens größer ist als die enge Perspektive der Virologen. Ich weise auch darauf hin, dass ich sehr wohl wahrnehme, dass draußen in der Bevölkerung die Stimmung allmählich kippt und es wichtig ist, denen, die wirtschaftlich in einer schwierigen Situation sind, Perspektiven zu bieten. Insofern freue ich mich, dass das gestern in einer sehr guten Art und Weise, wenn auch in der gebotenen Vorsicht, gelungen ist.
Nun haben wir hier vielfach über etwas Bemerkenswertes diskutiert, nämlich über den Immunitätsnachweis. Darüber steht allerdings nichts im Gesetz.
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Das stand mal drin!)
Es ist komisch, dass man über etwas diskutiert, das nicht mehr im Gesetz steht. Ich sage Ihnen auch: Das ist eine Diskussion, die wir ganz anders hätten führen müssen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was machen wir in Zukunft an der Grenze oder im Altenheim? Wie dokumentieren wir, wenn wir irgendwo einreisen wollen, dass wir keine Viren tragen? Für so etwas werden wir einen Nachweis brauchen. Diesen Nachweis gibt es übrigens. Wenn Sie sich Ihren Impfpass anschauen, werden Sie überrascht feststellen, dass nicht nur die Impfungen eingetragen sind – die Coronaimpfung gibt es übrigens noch gar nicht –, sondern dass auch Antikörpertests darin vermerkt werden können.
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Das gibt es doch noch gar nicht!)
Wenn die Wissenschaft die Grundlage dafür liefert, dass sie sagt: „Wer Antikörper trägt, ist für einen bestimmten Zeitraum immun“, wird sich derjenige anders bewegen können in Europa und über Europa hinaus als derjenige, der das nicht dokumentieren kann und für diesen Zweck einen aktuellen Test mitführen wird. Das ist die Realität an dieser Stelle.
(Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Da brauchen wir keine staatliche Regelung!)
– Dafür brauchen wir keinen Staat; das mag sein.
Die Diskussion, die wir geführt haben, hat mich insbesondere deshalb geärgert, weil man gesehen hat, wie das jetzt wieder läuft. Die Impfgegner, die Verschwörungstheoretiker und diejenigen, die ein bisschen politisches Kapital aus der Geschichte schlagen wollen, tun sich zusammen und behaupten allen Ernstes, wir würden eine Impfpflicht verordnen. Als ob jemand eine Impfpflicht verordnen würde, wenn es noch gar keinen Impfstoff gibt. Das ist widersinnig.
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Sie unterschätzen auf der einen Seite die Intelligenz der Regierung. Auf der anderen Seite spielen Sie, ganz offen gesagt, mit der Dummheit bestimmter Leute, die auf solche Geschichten hereinfallen. Dass das funktioniert, macht mich ärgerlich und erfüllt mich auch mit Sorge; denn die gleiche Argumentation erleben wir auch bei der Tracing-App. Man muss festhalten: Das ist ein auf Freiwilligkeit beruhendes, intelligentes System, mit dem man nur für sich selber nachvollziehen kann, ob man in engem Kontakt mit jemand war, der Corona hat. Genau diese Idee, die eigentlich ideal ist – die man übrigens nicht verpflichtend machen kann, weil man keinen verpflichten kann, sich ein Smartphone in die Tasche zu stecken –, diese Idee wird von Ihnen verunglimpft, weil Ihnen das alles egal ist, weil es Ihnen nicht auf das Ergebnis ankommt, sondern nur auf Ideologie, was Sie uns vorhin vorgehalten haben; sonst kommt es Ihnen auf gar nichts an. Schämen Sie sich an dieser Stelle!
(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Hohle Nuss!)
Danke schön, Dr. Nüßlein. – Nächste Rednerin in dieser lebhaften Debatte ist für die SPD-Fraktion Hilde Mattheis.
(Beifall bei der SPD)
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Electoral Period | 19 |
Session | 158 |
Agenda Item | Schutz der Bevölkerung bei epidemischer Lage |