Christian DürrFDP - Aktuelle Stunde - Verfassungsgerichtsurteil zu EZB-Anleihekäufen
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will das eine vorweg sagen: Ich begrüße dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ausdrücklich. Das Urteil ist übrigens, anders als die Bundesregierung in den letzten anderthalb Tagen den Eindruck erweckt hat, nicht vom Himmel gefallen. Es steht sozusagen in einer Linie mit früheren Entscheidungen des Verfassungsgerichtes. Und das sage ich gerade in Richtung der Kollegen der Union, aber auch der SPD: Dass eine rechte Partei wie die AfD dieses Urteil jetzt missbraucht, um die Wirtschafts- und Währungsunion und in Wahrheit die Europäische Union infrage zu stellen, sollte uns als Demokraten doch nicht verunsichern, meine Damen und Herren. Wir sollten dieses Urteil als Bundestag annehmen und seine Umsetzung hier entsprechend veranlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Urteil ist ausdrücklich ein proeuropäisches Urteil; denn das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass unklare Haftungsfragen am Ende des Tages auch gefährlich für die europäischen Verträge sind. Sie sind übrigens politisch ein Spaltpilz für Europa; deswegen müssen sie ausgeräumt werden, wenn dort Unsicherheiten bestehen. – Das Bundesverfassungsgericht hat dem eine klare Absage erteilt. Die Verträge Europas sind aus meiner Sicht durch dieses Urteil gestärkt und nicht geschwächt. Es ist ein proeuropäisches Urteil aus Karlsruhe, liebe Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Zwei Lehren sind aus meiner Sicht aus diesem Urteil zu ziehen. Die erste ist: Der Deutsche Bundestag muss seine Kontrollrechte wahrnehmen, und zwar gerade, um die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank dauerhaft zu gewährleisten.
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
Der Euro ist damals mit dem Versprechen eingeführt worden, dass es keine Vergemeinschaftung von Schulden geben darf und dass es keine unrechtmäßige Staatsfinanzierung über die Zentralbank geben darf, meine Damen und Herren. Herr Jung hat ja gerade den Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union angesprochen, das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Das Verfassungsgericht hat nicht gesagt, dass das nicht gegeben ist, sondern dass man es nicht beurteilen kann, weil die Verhältnismäßigkeit nicht geprüft worden ist. Genau diese Prüfung ist der Job des Deutschen Bundestages. Deswegen wird meine Fraktion in der kommenden Sitzungswoche einen Antrag einbringen, um einen Unterausschuss des Haushaltsausschusses einzurichten, der genau diese Aufgabe übernimmt. Das Verfassungsgericht hat uns als Organ Bundestag jetzt Hausaufgaben ins Stammbuch geschrieben. Deswegen: Nicht die Köpfe in den Sand stecken, sondern diese Hausaufgaben erledigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Die zweite Lehre aus diesem Urteil ist: Die Bundesregierung muss Konsequenzen ziehen. Die Bundesregierung muss einen Prozess zur Präzisierung des Mandats der EZB anstoßen. Es rächt sich doch jetzt in Wahrheit, dass Sie unsere Initiativen, Frau Staatssekretärin Hagedorn, zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, zur Präzisierung des Mandats der Europäischen Zentralbank, abgetan haben und stattdessen als Bundesregierung die letzten drei Jahre den Kopf in den Sand gesteckt haben.
(Beifall des Abg. Michael Theurer [FDP])
Die Europäische Zentralbank ist unabhängig. Das ist keine Frage; daran kann kein Zweifel bestehen. Nicht die Politik fällt die geldpolitischen Entscheidungen, sondern die unabhängige Zentralbank. Aber die Politik bestimmt das Mandat der Europäischen Zentralbank, und dieser Aufgabe müssen sich die Staaten der Euro-Zone, muss sich auch die Bundesregierung annehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb will ich das in aller Klarheit in Richtung der Regierungsparteien von Union und SPD sagen: Es muss doch eine proeuropäische Position der Mitte geben, die sich klar von denjenigen abgrenzt, die billigend in Kauf nehmen, dass in der europäischen Familie Zwietracht gesät wird, indem sie nach wie vor die komplette Vergemeinschaftung der Schulden fordern – auf der linken Seite des Hauses –,
(Beifall bei der FDP)
eine proeuropäische Position der Mitte, die sich auch ganz klar von denjenigen abgrenzt, die stumpfen Nationalismus nach Europa tragen wollen und in Wahrheit das ganze europäische Projekt kaputtmachen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Das ist die Position der Mitte, auch die Position Deutschlands; das muss sie jedenfalls sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nach dieser Krise Wachstumsimpulse. Wir brauchen nach dieser Krise europäischen Zusammenhalt, auch in finanziellen Fragen. Daran kann gar kein Zweifel bestehen. Aber wir müssen auch gerade als Lehre aus dieser Krise ziehen, dass Haftung und Risiko nicht auseinanderfallen dürfen, meine Damen und Herren. Und diesen Auftrag müssen wir als Bundestag annehmen – deswegen der Vorschlag eines Unterausschusses, damit wir das auch institutionalisieren und dem Bundesverfassungsgericht signalisieren können, dass wir dieses Urteil annehmen, und deshalb der Hinweis an die Bundesregierung: Hören Sie endlich auf, zu schlafen, nehmen Sie das Urteil an, gehen Sie auf die europäischen Partner zu, sprechen Sie mit ihnen über eine Präzisierung des Mandats der Europäischen Zentralbank. – Dann kann dieses Urteil Europa und die Euro-Zone stärken. Denn das gemeinsame Ziel nach der Coronakrise muss eine gestärkte Zentralbank, die ein klares Mandat hat, und eine insbesondere wirtschaftlich gestärkte Europäische Union sein.
All denjenigen, die jetzt Wachstumsverzicht üben wollen, all denjenigen, die jetzt die Wirtschaft komplett kaputtreden wollen, muss nach der Krise eine Absage erteilt werden. Starke Zentralbank, starke Wirtschaft – das ist die Antwort nach Corona, und das sollten die Bundesregierung und die Mehrheitsfraktionen im Bundestag endlich annehmen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Christian Dürr. – Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Carsten Schneider.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7444491 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Verfassungsgerichtsurteil zu EZB-Anleihekäufen |