Fabio Valeriano Lanfranco De MasiDIE LINKE - Aktuelle Stunde - Verfassungsgerichtsurteil zu EZB-Anleihekäufen
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Verfassungsgericht hat kürzlich über Anleihekäufe der Zentralbank entschieden. Das Urteil hat eine juristische Seite – die Kontrolle der EZB durch die Parlamente – und beinhaltet die Frage, für was der Europäische Gerichtshof in Europa eigentlich zuständig ist. Es hat auch eine ökonomische Seite: die Effekte der Geldpolitik auf die Wirtschaft.
Die Linke begrüßt, wenn die Zentralbank von Parlamenten kontrolliert und über die Geldpolitik demokratisch in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wir fordern seit Jahren, dass die EZB auch für Wachstum und Beschäftigung Verantwortung übernimmt.
(Beifall bei der LINKEN)
Selbstverständlich darf man auch den Europäischen Gerichtshof ausbremsen, zum Beispiel, wenn dieser in den sozialen Schutz von Beschäftigten eingreift. Aber widersprüchlich ist es doch etwas: Jahrelang haben Regierungen in Deutschland die Unabhängigkeit der Zentralbank verteidigt wie die katholische Kirche die unbefleckte Empfängnis. Und nun, da der „Bild“-Zeitung die Geldpolitik nicht schmeckt, wollen einige in Deutschland zu jeder Entscheidung der EZB einen Stuhlkreis gründen. Man muss sich daher entscheiden, was man will.
(Beifall bei der LINKEN)
Deutsche Regierungen predigten immer, die EZB solle sich nur auf die Kontrolle der Inflation beschränken und Wachstum oder Beschäftigung ignorieren. Jetzt heißt es, die EZB sollte die Effekte auf die Wirtschaft mitdenken. Ja, guten Morgen! Das ist der Job einer Zentralbank.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Es gibt keinen krasseren Hammer in der Wirtschaft als den Zins. Mit einer Zinserhöhung bringen Sie jede Finanzblase zum Platzen, wenn Sie die Zinsen nur hoch genug schrauben. Sie machen aber auch den Rest der Wirtschaft platt, weil bei hohen Zinsen niemand mehr investiert. Es ist im Grunde wie ein Flächenbombardement, wenn Sie einen Bankräuber festnehmen wollen. Das Verfassungsgericht hat zwar die unzureichende Prüfung von Anleihekäufen bemängelt, aber nicht, dass die EZB ihre Zinspolitik nicht hinreichend rechtfertigt. Ökonomisch macht das Urteil daher wenig Sinn.
Man soll Geldpolitik kritisieren. Das tun wir auch. Es ist falsch, dass die EZB zu Ländern wie Italien gesagt hat: Ihr müsst eure Investitionen runterfahren – auch in Krankenhäuser, was sich jetzt in der Coronakrise bitter rächt –, sonst drehen wir euch den Euro ab. – Es ist ein Problem, wenn das billige Geld der EZB auf den Finanzmärkten zum Beispiel in Immobilienblasen landet statt in der realen Wirtschaft, weil in Europa zu wenig öffentlich investiert wird;
(Beifall bei der LINKEN)
das ist, wie einen Patienten künstlich zu beatmen, aber ihm Blut abzunehmen. Aber auch das hat seine Ursachen nicht in Frankfurt bei der Europäischen Zentralbank, sondern auf der deutschen Regierungsbank, wo man jahrelang schwarze Nullen predigte.
(Beifall bei der LINKEN)
Die EZB ist die einzige Institution, die in Euros nie pleitegehen kann; denn sie kann den Euro per Knopfdruck schaffen. Das war ja der Grund, warum Mario Draghis „whatever it takes“ so billig war. Er musste gar nichts machen. Die Ankündigung, die Drohung hat gereicht. Deswegen gäbe es für Deutschland auch null Zins- oder Haftungsrisiko, würde die EZB Coronabonds kaufen. Das ist eine völlig absurde Phantomdebatte.
Die britische Zentralbank – die AfD feiert die britische Regierung ja öfter – finanziert in der Coronakrise die Staatsausgaben sogar direkt. Das ist überhaupt kein Problem; denn es droht angesichts von ungenutzten Fabrikhallen und Massenarbeitslosigkeit keine Inflation. Nur in der Euro-Zone schafft man immer wieder ein künstliches Pleiterisiko für Staaten, weil die EZB nur Banken, aber keine Staaten finanzieren darf. Deswegen muss die EZB einen Umweg gehen. Sie leiht Banken Geld, und Staaten dürfen sich dann wieder das Geld der EZB von den Banken leihen. Geld für die Banken ist offenbar gutes Geld, aber Geld für den Staat ist schlechtes Geld. Das ist reine Ideologie. Man will, dass Regierungen weiter unter Kontrolle der Finanzmärkte stehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer nicht will, dass die EZB Staaten finanziert, der darf sich einer gemeinsamen Finanzpolitik in Europa nicht mehr länger verweigern.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wer auch das nicht will, muss sich früher oder später vom Euro verabschieden. Dann werden Länder wie Italien abwerten, und dort werden weniger deutsche Autos gekauft. Aber den Euro behalten, nicht in den Wiederaufbau Europas investieren und die EZB kastrieren, das funktioniert nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Christian Petry [SPD] und Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es wäre an der Zeit, den Streit nicht länger über Gerichte zu führen. Es ist an der Zeit, dass auch die Bundesregierung endlich erwachsen wird und anstatt zu spielen „wie Flasche leer“ und Europa vor die Wand zu fahren, endlich Verantwortung für das europäische Projekt zu übernehmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege De Masi. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Franziska Brantner.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7444493 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Verfassungsgerichtsurteil zu EZB-Anleihekäufen |