Andreas SchwarzSPD - Aktuelle Stunde - Verfassungsgerichtsurteil zu EZB-Anleihekäufen
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vorgestern hat das Bundesverfassungsgericht über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Staatsanleiheprogramm der EZB geurteilt. Um es vorwegzunehmen: Die ganze Aufregung und vor allen Dingen die Freude der EZB-Gegner sind für mich nach diesem Urteil in keinster Weise nachvollziehbar und verständlich.
Es galt bei dieser Verfassungsbeschwerde, zu prüfen, ob der Anleihekauf mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es ging um nicht mehr und auch um nicht weniger. Sehen wir es doch positiv: Das Urteil zeigt: Unser Bundesverfassungsgericht versteckt sich nicht hinter dem Europäischen Gerichtshof. Das ist das eine. Und das große Zeichen an das Land und auch an Europa ist: Es geht um mehr Demokratie, und es geht um mehr Transparenz. Das ist gut so, und das ist auch die Riesenchance, die wir mit diesem Urteil haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU] und Christian Dürr [FDP])
Doch was ist passiert? Entscheidungsgegenstand war das im Jahr 2015 aufgelegte Programm der EZB, Staatsanleihen aufzukaufen. Hintergrund für dieses milliardenschwere Programm war der begründete Wille der EZB, das Wachstum in der Europäischen Gemeinschaft anzukurbeln und zu stabilisieren, eine mögliche drohende Deflation zu bekämpfen und damit letztendlich den Euro zu stabilisieren. Gar nichts zu tun, wäre damals mit Sicherheit keine Handlungsoption gewesen.
Meine Damen und Herren, man kann den Kauf von Staatsanleihen kritisch sehen. Ja, es gibt Risiken. Aber es war mutig; denn die Finanz- und Wirtschaftspolitik wurde belebt. Deutschland hat sicherlich zum einen ein elementares Interesse an einem stabilen Euro, aber zum anderen natürlich auch daran, dass es den Nachbarn um uns herum gut geht; 60 Prozent unserer Exporte gehen ja ins europäische Ausland.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich gebe zu: Das Urteil hat mich durchaus überrascht, aber in keinster Weise schockiert.
Was ist das Besondere an diesem Urteil? Zum ersten Mal hat das höchste deutsche Gericht eine Entscheidung des EuGH kritisiert. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, schauen wir uns das doch einfach mal im Detail an. Was ist das Problem? Im Prinzip ist das Problem ein Versäumnis – es geht hier also mitnichten um den Untergang des Abendlandes –: Bundesregierung und Bundestag haben es versäumt, die Beschlüsse der EZB zur Einführung und zur Durchführung des Staatsanleiheprogramms ordentlich zu prüfen und darauf zu achten, dass deren Maßnahmen verhältnismäßig sind.
Ausdrücklich – ich betone das hier sehr deutlich und verrate mit Sicherheit auch kein Geheimnis – hat das Gericht auch noch ein paar Dinge abseits des gerade Genannten festgestellt: Erstens. Es gibt keinen Verstoß der EZB gegen das Verbot der sogenannten monetären Staatsfinanzierung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zweitens. Es gibt keine Verletzung der haushaltspolitischen Verantwortung dieses Hohen Hauses.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ist es! Genau!)
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, hätten Sie zwar gerne festgestellt gewusst, aber das ist natürlich nicht passiert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das, was die EZB betreibt, ist also ganz eindeutig keine unerlaubte Wirtschaftspolitik – Wirtschaftspolitik ist sicherlich Sache der einzelnen Mitgliedstaaten –, sondern es ist erlaubte Geldpolitik.
Meine Damen und Herren, wie geht es jetzt weiter? Die EZB hat drei Monate Zeit, die geforderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit vorzunehmen und zu veröffentlichen. Und eins ist klar – machen wir uns doch nichts vor –: Der Bundestag, aber auch die Bundesregierung werden diese Prüfung dann genauestens unter die Lupe nehmen und analysieren. Ich bin mir sicher, dass es der EZB gelingt, diese Verhältnismäßigkeit zufriedenstellend zu begründen und die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.
Wer, wie ich das vor allen Dingen aus einigen Medien gehört habe, meint, hier wieder eine weitere Krise der EU-Institutionen zu erkennen, der irrt und wird sich wundern; Krisen beginnen in der Regel meistens im Kopf. Die Entscheidung rüttelt auf keinen Fall an den Grundprinzipien der Europäischen Währungsunion.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz zu den Auswirkungen dieses Urteils auf die Coronanotprogramme der EZB sagen – wir wollen ja keine Legendenbildung –: Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass die Coronahilfen nicht Gegenstand der Entscheidung seien.
Sehen wir dieses Urteil als große Chance für Europa, für unseren Bundestag, für die Demokratie insgesamt und letztendlich auch für den Euro. Dass wir hier alle zusammenarbeiten, unsere Ideale und unsere Ziele verfolgen und Europa insgesamt stärken, das ist die Herausforderung dieses Urteils.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Dr. Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7444500 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 158 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Verfassungsgerichtsurteil zu EZB-Anleihekäufen |