07.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 158 / Tagesordnungspunkt 26

Volker UllrichCDU/CSU - Demokratie, Bürgerrechte und Zivilgesellschaft

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Grundgesetz beschreibt unsere Gesellschaft als eine offene Gesellschaft und einen Raum der Freiheit. Jedes Freiheitsgrundrecht bedarf zunächst keiner Rechtfertigung. Aber klar ist auch, dass aus Freiheit Verantwortung erwächst. Kein Mensch ist eine Insel, sondern wir haben die Verpflichtung und die Verantwortung für andere in einer Gesellschaft, die sich umeinander sorgt. Deswegen stehen Grundrechte auch in der Pflicht, gegeneinander abgewogen zu werden.

Das ist auch der Grund, weshalb diese große Herausforderung, das krisenhafte Szenario der Covid-19-Pandemie, dazu geführt hat, dass wir vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Schutzes des Lebens diese Grundrechtseinschränkungen beschließen und auch vollziehen mussten.

Aber klar ist auch, dass diese Einschränkungen immer im Lichte der Verhältnismäßigkeit betrachtet werden müssen. Dennoch verstört es, wenn die Gefährlichkeit dieses Virus gegen jede wissenschaftliche Vernunft geleugnet wird oder wenn es Stimmen gibt, die sagen, dieser Schutz sei in diesem Umfang nicht notwendig, weil die Personengruppe, die es vor allem betrifft, in ein paar Monaten ohnehin nicht mehr am Leben sei. Das ist eine Einlassung, die weder mit dem Grundgesetz noch mit unserem Menschenbild vereinbar ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der AfD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch muss sich jetzt der freiheitliche Rechtsstaat auf den Weg machen, diese Einschränkungen ins Verhältnis zu setzen zur Frage des Schutzniveaus, das wir weiterhin erhalten müssen. Deswegen ist es auch ein bisschen schwierig, im Augenblick von Lockerungen zu sprechen, die man irgendwie gewährleistet. Eigentlich ist es umgekehrt: Auch Lockerungen sind nach wie vor Grundrechtseinschränkungen, die vielleicht nicht mehr so intensiv sind wie die vor ein paar Tagen und Wochen. Aber auch die weniger intensiven Grundrechtseinschränkungen müssen vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit und der unmittelbaren Geltung der Freiheitsrechte begründet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich meine, dass die Begründung nach wie vor trägt, weil es immer noch Menschen gibt, die darauf hoffen und setzen, dass dieser Staat sie schützt, dass ihre Würde garantiert wird und dass der Staat sich darum kümmert, dass sie am Leben bleiben können und in ihrer gesundheitlichen Integrität nicht beschädigt werden. Chronisch Kranke, Menschen in Alten- und Pflegeheimen und in Krankenhäusern setzen darauf, dass dieser Staat auch ihre ganz persönlichen Grund- und Freiheitsrechte wahrnimmt.

Das macht die Situation so schwierig. Aber das ist auch die große Chance der Parlamente – die große Chance, aber auch die große Verpflichtung, die wir haben, nämlich dass wir über die rechtspolitische Dimension der Maßnahmen hier im Bundestag diskutieren und nirgendwo anders.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am besten auch im Rechtsausschuss!)

Deswegen ist es richtig, dass wir uns über Chancen und Risiken, über die Ausgestaltung, über datenschutzrechtliche Fragen, aber auch über die Praktikabilität einer möglichen Tracing-App tatsächlich intensiv Gedanken machen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir die Auswirkungen eines möglichen Immunitätsausweises nicht diese oder nächste Woche beraten, sondern diese Frage zunächst einmal an den Deutschen Ethikrat geben, um ein Gutachten einzuholen und uns zu fragen, ob diese Konstellation mit unserem Verständnis von Grundwerten tatsächlich vereinbar ist.

Aber klar ist auch, dass wir im Deutschen Bundestag immer deutlich machen sollten, dass hier nicht der Ort ist, Verschwörungstheorien zu verbreiten, beispielsweise zur Impfpflicht. Eine solche war nie in diesem Gesetzentwurf vorgesehen und war auch nicht mittelbar dadurch bedingt. Klar ist einfach: Wir müssen deutlich machen, dass im Deutschen Bundestag auf der Grundlage von sachlichen Informationen und auf der Grundlage unseres Grundgesetzes entschieden wird.

Diese Verantwortung haben übrigens nicht wir allein. Gerade weil der Infektionsschutz vornehmlich eine Sache der Länder ist, müssen auch die Länderparlamente ihren Teil dazu beitragen, dass die Balance zwischen exekutiver Verantwortung auf der einen Seite und demokratischer parlamentarischer Teilhabe und Kontrolle auf der anderen Seite auch gelebt wird. Wenn wir das in einem Rechtsrahmen hinbekommen, dann, glaube ich, kann dieses Land sehen, dass die Parlamente ihre Verantwortung wahrnehmen und dass durch die Verantwortung der Parlamente auch das Vertrauen der Bevölkerung steigt, dass diese Krise zu meistern ist – durch das Vertrauen in sich selbst, durch das Vertrauen in einen rechtsfähigen, handlungsfähigen Staat.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wort hat Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Personen

Dokumente

Automatisch erkannte Entitäten beta

Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7444769
Wahlperiode 19
Sitzung 158
Tagesordnungspunkt Demokratie, Bürgerrechte und Zivilgesellschaft
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine