Carl-Julius CronenbergFDP - Aktuelle Stunde - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir Coronainfektionsgeschehnisse von der Ostsee bis zum Schwarzwald, als ob wir nicht schon genug Probleme in der Fleischindustrie gehabt hätten. Da, wo viel Mist ist, kommt meistens noch mehr Mist dazu. Das hat oft damit zu tun, dass die, die den Mist nicht haben wollen, wegschauen und die, die den Mist verzapfen, genau das spüren. Schwache Rechtsdurchsetzung oder gar stillschweigende Akzeptanz führt zu Zuständen wie jetzt in der Fleischindustrie. Ja, diese Zustände sind unhaltbar.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Aber denen, die sich jetzt laut empören, sage ich auch: Sie haben es seit Jahren gewusst. – So hat die Einführung der Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge aus dem Jahr 2017 wenig Verbesserung gebracht, und wenn, dann eher für die Sozialversicherungsträger als für die Beschäftigten.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, dass wir uns nicht nur en détail mit den einzelnen Ausprägungen des Skandals befassen – es ist angesprochen worden: mangelnde Hygiene, Verstöße gegen Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregelungen sowie
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser nicht regieren als falsch regieren, was?)
gegen den Mindestlohn, missbräuchliche Lohnkürzungen usw. usf. –, sondern eben auch akzeptieren, dass der Staat offensichtlich nur unzureichend oder überhaupt nicht in der Lage ist, dieser Zustände mit den gegebenen Instrumenten Herr zu werden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Um es deutlich zu sagen: Wir haben kein Rechtssetzungsproblem, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein Rechtsdurchsetzungsproblem.
(Beifall bei der FDP)
Es ist richtig, dass wir uns hier und heute mit den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie befassen. Falsch wäre es, jetzt nur nach neuen Gesetzen und Verboten zu rufen.
Die Pressestatements der vergangenen Tage lassen allerdings anderes befürchten. Für die einen ist allein der Werkvertragsunternehmer schuld. Also weg mit Werkverträgen! Für die anderen sind die Löhne zu niedrig. Also hoch mit dem Mindestlohn!
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Für die Nächsten ist die mangelnde Kontrolle schuld. Also her mit 5 000 neuen Stellen beim Zoll! Für wen die Ausländer schuld sein werden, muss ich, glaube ich, niemandem verraten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, alle diese pauschalen Forderungen werden nicht dadurch richtiger, dass sie lauter oder öfter vorgetragen werden. Vielmehr geht es jetzt darum, zielgenaue Lösungsvorschläge in die Debatte einzubringen. So hat bereits im November 2019, also lange vor Corona, auf Initiative des schleswig-holsteinischen Sozialministers Heiner Garg von der FDP der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, bestehende Regelungslücken zu schließen. Diese Punkte rufe ich gerne in Erinnerung, lieber Minister Heil:
Erstens. Erweitern Sie den Geltungsbereich für den betrieblichen Arbeitsschutz auf alle Beschäftigten in den Schlacht- und Zerlegungsbetrieben, also auch auf die Werkvertragsnehmer!
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Zweitens. Sorgen Sie dafür, dass privat angemietete Unterkünfte für Beschäftigte den Anforderungen der Arbeitsstättenrichtlinie unterworfen werden! Das können Sie herbeiführen.
(Beifall bei der FDP)
Drittens. Führen Sie eine verpflichtende digitale Zeiterfassung in der Fleischindustrie ein! Einfacher geht es gar nicht. Nehmen Sie § 6 GSA Fleisch, fügen Sie das Wort „digital“ vor „aufzuzeichnen“ ein, und fertig ist die Laube!
(Beifall bei der FDP)
Ohne Kontrollen wird es trotzdem nicht gehen. Bevor Sie aber Gott und die Welt in Bewegung setzen: Bringen Sie Ordnung in das Zuständigkeitswirrwarr! Arbeitsschutz ist Ländersache, für privat gemietete Unterkünfte sind die kommunalen Ordnungsämter zuständig, um die Arbeitssicherheit kümmert sich die Berufsgenossenschaft, und zu guter Letzt achtet der Zoll mit seiner Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Einhaltung des Mindestlohns.
(Beifall des Abg. Michael Theurer [FDP])
Mit Verlaub: Mit den aktuellen Strukturen werden Ihnen die schwarzen Schafe in der Branche immer einen Schritt voraus sein. Gerade der Föderalismus, lieber Kollege Schummer, braucht ein koordiniertes Vorgehen.
Bilden Sie also eine Taskforce Fleisch! Lassen Sie sich die Daten der Werkvertragsunternehmer und ihrer Beschäftigten übermitteln! Nutzen Sie Künstliche-Intelligenz-Systeme zur Analyse von Daten, um Missbrauchsmuster zu erkennen! So schaffen Sie eine wirksame Kontrolle.
(Beifall bei der FDP)
Die Branche steht – auch das sei gesagt – unter einem enormen Preis- und Kostendruck. Ich muss sagen: Es geht leider oft nur um Arbeitskosten pro Schnitzel. Viele Endverbraucher – nach meinem persönlichen Geschmack sogar zu viele – sind sehr, sehr preissensibel.
Von einer vollständigen Verlagerung von Schlachtung und Weiterverarbeitung ins Ausland – Sie haben es angesprochen – rate ich allerdings auch ab. Das liegt weder im Interesse der landwirtschaftlichen Betriebe, noch wird es dem Verbraucherinteresse an Angebotsvielfalt gerecht.
Wir stehen zu fairem Wettbewerb zum Vorteil der Verbraucher. Deshalb plädieren wir für Augenmaß und Konsequenz statt Vorgehen mit der Brechstange.
Alle Beschäftigten in der Fleischbranche – ohne Ausnahme – haben Anspruch auf faire Löhne und Arbeitsbedingungen. Genauso haben die anständigen Betriebe – auch das ist angesprochen worden – und das Fleischerhandwerk Anspruch darauf, dass Recht und Gesetz uneingeschränkt für alle gelten. Es darf nicht sein, dass am Ende die Ehrlichen die Dummen sind.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Jutta Krellmann.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7445330 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 159 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie |