13.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 159 / Zusatzpunkt 1

Michael GerdesSPD - Aktuelle Stunde - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Coronapandemie hat vieles in unserem Alltag verändert, aber eben nicht alles. Manches kommt jetzt noch deutlicher zum Vorschein als sonst. Darunter fallen auch die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die an vielen Stellen mangelhaft sind, leider nicht erst seit gestern. Durch Corona kommen die Sauereien – im Sinne des Wortes – wieder ans Licht.

Schon länger kämpfen wir gegen fragwürdige Geschäftsmodelle mit Subunternehmen und Missachtung von Schutzstandards. Bereits im Juni 2017 – wir haben es vorhin schon gehört – haben wir im Bundestag das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft beschlossen. Hierbei ging es nicht nur um die konkrete und korrekte Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auch um die Bereitstellung von aus Hygienegründen oder Gründen der Arbeitssicherheit vorgeschriebener besonderer Arbeitskleidung und persönlicher Schutzausrüstung durch den Arbeitgeber. Doch wer der eigentliche Arbeitgeber ist, das wird durch windige Werkverträge verschleiert.

Wir kennen Berichte von unerlaubten Überstunden, fehlenden Pausen, unzureichender Hygiene, nicht eingehaltenem Mindestabstand, überfüllten Sammelunterkünften und schlechten Löhnen. Auch wenn es die Branchenvertreter abstreiten, für mich steht es außer Frage: Es hat auch mit Corona zu tun. Und dass ausgerechnet in den Schlachthöfen die Anzahl der Coronainfizierten so hochgegangen ist, ist Fakt und ist auch eine Folge von menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen, denen die Beschäftigten, zumeist Leiharbeiter aus Osteuropa, ausgesetzt sind. Bis zu 80 Prozent der Beschäftigten mancher Betriebe arbeiten über Werkverträge. Wir müssen uns also damit befassen, ob gegebenenfalls die Einführung einer Quote, also eines Höchstmaßes an Werkverträgen, sinnvoll wäre. Es gibt aber auch Forderungen, die Werkverträge im Kernbereich der Fleischindustrie komplett zu verbieten. Ich glaube, das ist auch einer Überlegung wert.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe sehr, dass wir mit Blick auf diese Corona-Hotspots keine Tragödie erleben und die Infizierten schnell gesunden und vor allem keine schweren Krankheitsverläufe durchleben müssen. Wir reden aber leider nicht von Einzelfällen. Betroffen sind Beschäftigte verschiedener Fleischbetriebe, und das in mehreren Bundesländern.

Was können wir besser machen? Die Berichte über die Zustände in den Fleischfabriken und die Zwänge, denen die Mitarbeiter ausgesetzt sind, widersprechen oftmals allen Regeln, die der Arbeits-, Gesundheits- und Infektionsschutz vorgibt. Teilweise – das haben wir hier gerade schon gehört, und ich stehe dazu – stoßen wir auf mafiöse Strukturen. Die Drahtzieher sitzen oftmals im osteuropäischen Ausland und sind für uns schwer haftbar zu machen.

(Zuruf des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE])

Minister Heil hat es bereits gesagt, und auch Vorredner haben darauf hingewiesen: Wir haben weniger ein Regelproblem, sondern vor allem ein Verantwortungsproblem. Um es klar zu sagen: Arbeitgeber sind mit oder ohne Coronagefahr dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass es eine Gefährdungsbeurteilung gibt, dass sie den Gesundheits- und Arbeitsschutz ihrer Mitarbeiter sicherstellen. Es gibt klar definierte Standards, technische Anweisungen und viele Hilfestellungen seitens der Berufsgenossenschaften, wie der Arbeitsschutz durchzuführen ist. In der Arbeitsstättenverordnung beispielsweise lässt sich sogar nachlesen, wie hoch die Anzahl der Quadratmeter pro Bewohner in den Unterkünften zu sein hat.

Nützt aber alles nichts, wenn Verantwortlichkeiten umgangen werden und niemand kontrolliert. Hier sehe ich leider ein Defizit vor allem bei den Ländern. Die Kontrollen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes müssen dringend hochgefahren werden. Auf Vertrauen und Selbstverpflichtung alleine können wir an dieser Stelle anscheinend nicht setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU])

Hier werden wir handeln und bestehende Gesetze anwenden, zum Teil auch erweitern müssen. Gute Arbeit und Fairness in den Großbetrieben der Fleischbranche sehen anders aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen überlegen, wie wir das Umgehen von Gesetzen und Standards durch Subunternehmen und Werkverträge verhindern und wie wir die Auftraggeber, sprich: die Betreiber der Schlachtbetriebe, stärker in die Verantwortung nehmen, und zwar, wenn es notwendig ist, auch mit höheren Strafen, die dann allerdings auch wehtun müssen.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD], Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU] und Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen auch mal darüber nachdenken – wir haben hier schon über die Notwendigkeit der Tarifbindung gesprochen –, ob wir das Betriebsverfassungsgesetz nicht an der einen oder anderen Stelle nachschärfen sollten, damit Betriebsräte in den Schlachtbetrieben beispielsweise nicht nur ein Informations-, sondern auch ein Mitbestimmungsrecht erhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Nicht nur die Gesundheit der ausländischen Beschäftigten in den Schlachthöfen steht auf dem Spiel; es geht auch um das Tierwohl, gesunde Ernährung, faire Arbeitsbedingungen und gute Lebensbedingungen.

Herzlichen Dank. Glück auf!

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Max Straubinger.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7445337
Wahlperiode 19
Sitzung 159
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie
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