Johannes VogelFDP - Soziale Maßnahmen in der COVID-19-Pandemie
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Krisenzeiten muss man zusammenhalten. Deshalb ist es gut, dass die weit überwiegende Zahl der Hilfsmaßnahmen in den letzten Wochen hier in großer Einigkeit verabschiedet wurde. In Krisenzeiten muss man aber auch seine finanziellen Mittel zusammenhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Deshalb haben wir schon in der letzten Sitzungswoche gesagt: Eine pauschale Erhöhung des Kurzarbeitergelds würde nur dazu führen, dass die finanziellen Mittel der Bundesagentur für Arbeit schmelzen wie Schnee in der Sonne, und das wäre der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Deshalb ist es richtig, dass Sie hier entgegen den ursprünglichen Plänen des Bundesarbeitsministers keine pauschale, sondern – auch auf unsere Anregung hin – eine differenzierte Erhöhung des Kurzarbeitergeldes vornehmen. Denn ich habe in der letzten Sitzungswoche ebenfalls gesagt: Mit Blick auf die besondere Natur dieser Krise gezielt da zu helfen, wo 100 Prozent Kurzarbeit und niedrige Löhne zusammenkommen, das ist unser aller Verantwortung in dieser Krise, und das ist der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Man muss aber auch sagen: Dann differenzieren Sie doch bitte wirklich zielgenau. Sie nehmen hier eine Differenzierung nach der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes vor, anstatt darauf zu schauen, wo die Menschen wenig Geld haben. In der Anhörung am Montag hat uns die Bundesagentur für Arbeit klar gesagt, man schaue sich sowieso jeden einzelnen Fall an; man müsse sowieso auf die Einkommensdaten jedes einzelnen und jeder einzelnen Betroffenen schauen. Es gibt also keinen Grund, dass Sie hier ohne jede Begründung nur die zweitbeste Lösung wählen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Das macht keinen Sinn, und deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten.
(Beifall bei der FDP)
Langsam wirklich skandalös ist allerdings, was diese Regierung weiterhin gar nicht tut, nämlich für faire Gleichbehandlung von Freelancern und Selbstständigen zu sorgen. Das geht langsam wirklich so nicht mehr weiter.
(Beifall bei der FDP)
Um das klar zu sagen, damit keine Missverständnisse entstehen: Es ist völlig richtig, dass nach den üblichen Regeln der Sozialversicherung natürlich auch nur denen Leistungen zur Verfügung stehen, die in die Sozialversicherung einzahlen. Das tun Selbstständige nicht. Aber es geht hier eben nicht um die üblichen Regeln, sondern Sie von der Koalition ändern aus guten Gründen die Regeln der Sozialversicherung in dieser Krise mit der folgenden wörtlichen Begründung: „um den Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu vermeiden“, also im Klartext, damit der Weg zum Jobcenter in dieser Krise vermieden wird. Gleichzeitig stellen Sie sich aber hin und sagen den Freelancern und Selbstständigen in diesem Land: Wenn sie zu wenig Geld zum Leben haben, dann sollen sie aufs Jobcenter gehen. – Das ist eine skandalöse Ungleichbehandlung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Das muss sich ändern; das kann so nicht bleiben.
(Beifall bei der FDP – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Du vergleichst Äpfel und Birnen!)
Seit Wochen rennen alle Landesregierungen – alle Landesregierungen! – der Bundesregierung die Tür ein und sagen: Lasst doch bitte zu, dass das Hilfspaket für Freelancer und Selbstständige auch für die Deckung der Ausgaben zum Lebensunterhalt verwendet wird. – Denn es ist eben das Wesen moderner Selbstständigkeit, dass heutzutage nicht mehr alle Selbstständigen Miete für ein Ladenlokal aufbringen müssen,
(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Exakt so ist es!)
sondern ihre Betriebskosten sie selbst sind, das, was sie im Kopf haben, ihre Lebenshaltungskosten. Sich hier stur zu stellen und Selbstständige als Erwerbstätige zweiter Klasse zu behandeln, geht so nicht weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
Ein letzter Satz dazu. Lieber Hubertus Heil, am 22. April habe ich dich ganz persönlich bzw. Sie, Herr Arbeitsminister, im Ausschuss für Arbeit und Soziales auf diese Ungleichbehandlung angesprochen. Ihre Antwort war: Ja, ich werde darüber das Gespräch mit dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesminister für Finanzen suchen. – Auf eine Antwort warten wir jetzt seit über drei Wochen. Langsam tickt aber die Uhr, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir keine Pleitewelle von selbstständigen Existenzen in diesem Land hinnehmen wollen – das sind Menschen, die wir für Innovation und Gründergeist in diesem Land dringend brauchen –, dann wird es Zeit, dass die Bundesregierung ihre Haltung hier anpasst –
Herr Kollege Vogel.
– und Selbstständige endlich nicht länger als Erwerbstätige zweiter Klasse behandelt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Die Uhr hat wirklich getickt. – Katja Kipping, Die Linke, ist die nächste Rednerin.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7445940 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Soziale Maßnahmen in der COVID-19-Pandemie |