Konstantin KuhleFDP - Europäische Grundwerteinitiative
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am gestrigen Tag ist in Ungarn ein Mitglied der liberalen Oppositionspartei Momentum verhaftet worden.
(Zuruf von der AfD: So ist es! Ja!)
Die Rechtsgrundlage für diese Verhaftung war eines der neuen Coronagesetze der Regierung Orban, mit denen angeblich gegen Fake News gekämpft werden soll. Tatsächlich hatte das Mitglied der liberalen Oppositionspartei Momentum nichts anderes getan, als eine gesundheitspolitische Maßnahme der Regierung zu kritisieren.
Das zeigt, dass dieses Gesetz in Ungarn sich in eine ganz bedrohliche Tendenz einreiht, die wir in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon seit einiger Zeit beobachten können. Ob die Justizreform in Polen, die Wahlrechtsreform in Polen, die Beschneidung der Oppositionsrechte in Ungarn, die Beschneidung der Pressefreiheit in Ungarn – es droht, dass in der Coronakrise diese Tendenz noch zunimmt. Deswegen ist es richtig, dass wir hier im Deutschen Bundestag mit dieser Debatte ein Zeichen setzen für eine europäische Grundwerteinitiative und auch für einen Rettungsschirm, der nicht nur die Wirtschaft umfasst, sondern auch den Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Aber warum muss sich eigentlich das Parlament eines Mitgliedstaates mit den Entscheidungen der Parlamente anderer Mitgliedstaaten auseinandersetzen? Ist es nicht das souveräne Recht des polnischen und des ungarischen Parlaments, zu entscheiden, was es möchte, und entsprechende Gesetze auf den Weg zu bringen? Haben wir in der Coronakrise nichts Wichtigeres zu tun, als uns mit Polen und Ungarn zu beschäftigen? Natürlich sind auch andere Fragen von Relevanz. Aber wer so argumentiert, der verkennt völlig, dass die Europäische Union eine Rechts- und Wertegemeinschaft ist und dass Verträge innerhalb der Europäischen Union abgeschlossen worden sind, mit denen Demokratie und Rechtsstaat für alle Bürgerinnen und Bürger gelten. Wenn die Grundrechte von polnischen und ungarischen Bürgerinnen und Bürgern beschnitten werden, dann werden nicht nur deren Grundrechte beschnitten, sondern dann werden gleichermaßen die Grundrechte europäischer Bürgerinnen und Bürger beschnitten.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen müssen wir hier darüber sprechen, dass das auch eine Frage der Grundwerte unserer gemeinsamen Europäischen Union ist. Denn der Rechtsstaat umfasst als eine gemeinsame Vereinbarung die Werte der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Werte der Grundrechtecharta – darauf haben wir uns verständigt –, er umfasst den Wert Demokratie. Das heißt gerade mit Blick auf Viktor Orban und Herrn Kaczynski, dass aus einer Minderheit in Polen und in Ungarn auch wieder eine Mehrheit werden kann. Wer das verhindern will, der verübt einen Anschlag auf die europäische Demokratie. Deswegen müssen wir uns auch an die Seite der mutigen Zivilgesellschaft in Polen und in Ungarn stellen, die ihrerseits ein Zeichen setzen gegen diese Tendenzen des Autoritarismus mitten in der Europäischen Union.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Petry [SPD]: Sehen das in der FDP alle so?)
Meine Damen und Herren, sowohl der Antrag der Grünen als auch der Antrag der Freien Demokraten enthalten einige ganz konkrete Vorschläge, über die wir hier miteinander diskutieren wollen. Ich will Ihnen drei Vorschläge ganz besonders ans Herz legen.
Als Allererstes wäre es ein großer Segen, wenn die Unionsfraktionen und die CDU in Europa sich endlich dafür einsetzen würden, ihren Parteifreund Viktor Orban endlich aus der EVP zu schmeißen. Es ist längst überfällig,
(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dass ein solcher Schritt erfolgt. Es ist überhaupt nicht zu verstehen, dass dieser Typ immer noch von Ihnen als Parteifreund akzeptiert wird. Es gibt ja konservative Regierungschefs und Parteichefs, die das längst auf den Weg bringen. Ich habe hier die Unterschrift von Frau Kramp-Karrenbauer vermisst und hoffe, dass diejenigen, die sich jetzt um den CDU-Parteivorsitz bewerben, auch mal sagen, wo sie stehen.
Meine Damen und Herren, wir sollten als zweiten Schritt darüber diskutieren, wie wir die bestehenden Verfahren, die es gibt – Vorabentscheidungen, die jetzt in der Frage der polnischen Justizreform eine besondere Rolle gespielt haben, Fragen des Vertragsverletzungsverfahrens, Fragen des Artikel-7-Verfahrens –, effizienter gestalten können. Gerade mit Blick auf die Vertragsverletzungsverfahren schlagen wir vor, dass man das zu systemischen Vertragsverletzungsverfahren bündeln kann, um den dahinterliegenden Wertungen auf die Spur zu kommen.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist schon genannt worden. Wir wollen als dritten Schritt, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft einen besonderen Fokus auf das Thema EU-Rechtsstaatlichkeit legt und sich dafür einsetzt, dass im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens eine Kopplung an den Rechtsstaat stattfindet. Wer europäische Werte mit Füßen tritt, der darf nicht auch noch mit europäischen finanziellen Mitteln nach Hause gehen. Deswegen muss das ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache darauf aufmerksam, dass die Urnen zur namentlichen Abstimmung noch geöffnet sind. Wir haben noch vier Minuten Zeit für die Abstimmung. Ich bitte um ein Zeichen, falls sich eine Kollegin oder ein Kollege gehindert sieht, an der Abstimmung teilzunehmen; dann könnten wir die Zeit noch einmal verlängern.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Vielleicht für die beiden Redner! -Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Für die Redner wäre es praktisch!)
– Okay. – Also, dann bitte ich um ein Zeichen der Rednerinnen und Redner, ob sie schon abgestimmt haben, und bitte, das nach ihrem Beitrag unverzüglich vorzunehmen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7445952 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Europäische Grundwerteinitiative |