Johannes SchrapsSPD - Europäische Grundwerteinitiative
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele Themen, die mit Beginn der Coronasituation in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich in den Hintergrund getreten sind. Alles, was nicht direkt mit Corona zu tun hatte, ist im Prinzip vollkommen von der Bildfläche verschwunden. Bei manchen Themen war das gar nicht so schlimm. Manch wichtiges Thema – wie die Grundrente oder auch die Situation der Geflüchteten auf den griechischen Inseln – muss sich erst mühsam in die öffentliche Debatte zurückkämpfen.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)
Es gibt aber auch Themen, die vorher schon wichtig waren und deren Bedeutung uns in den letzten Wochen – das ist auch bei einigen Vorrednern schon deutlich geworden – gerade mit Blick auf die Coronanotstandsmaßnahmen einiger nationaler Regierungen in Europa noch einmal besonders deutlich vor Augen geführt geworden ist. Dazu gehört ganz eindeutig das Thema Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union.
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die Grundlagen für alle staatlichen Handlungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das gilt in „normalen“ Zeiten, und das gilt – das haben die letzten Wochen gezeigt – in Krisenzeiten ganz besonders.
Die NGO Freedom House beschäftigt sich bereits seit den 1970er-Jahren mit dem Grad der Demokratieentwicklung und der Pressefreiheit in den Ländern der Erde und hat sich mit ihren jährlichen Berichten einen Namen gemacht. Freedom House hat in der vergangenen Woche ihren „Nations in Transit“-Bericht vorgelegt. Diesem Bericht zufolge ist Ungarn nicht mehr als Demokratie zu bezeichnen und Polen auf dem besten Weg dorthin. Und gleichzeitig betont der Bericht, dass die Institutionen der Europäischen Union nicht genug gegen diese Entwicklung tun.
Ehrlicherweise kommen beide Thesen für uns nicht wirklich überraschend. Und das ist das eigentlich Erschreckende daran. Denn sie drücken aus, was wir alle sehen und was mit den Coronanotstandsmaßnahmen nur noch deutlicher geworden ist. Schließlich haben die Regierungen in Budapest und Warschau in den vergangenen Jahren und Monaten zahlreiche Entscheidungen getroffen, die mit Rechtsstaatlichkeitskriterien aus unserer Sicht schwer vereinbar sind.
Auch die Diskussionen, wie wir nun damit umgehen sollen, werden schon seit vielen Jahren geführt – mit wenigen Ergebnissen. Denn politisch gibt es in der Europäischen Union immer wieder Stimmen, die eine konkrete Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Rechtsstaatlichkeit verhindern, trotz zahlreicher Vorschläge. Meist waren deshalb die Urteile des Europäischen Gerichtshofs der stärkste Gegenpol gegen die Aushöhlung rechtsstaatlicher Entwicklungen. Das muss dieser Tage ganz offensichtlich noch mal besonders erwähnt werden.
(Beifall bei der SPD)
Den richtigen politischen Pfad hat uns Europa-Staatsminister Michael Roth im vergangenen Jahr zusammen mit dem damaligen belgischen Außen- und Europaminister Didier Reynders aufgezeigt. Und Reynders ist ja nun auch als EU-Kommissar für diese Thematik zuständig. Das von den beiden vorgeschlagene Periodic Peer Review of the Rule of Law ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, weil es damit eine Intensivierung des Rechtsstaatsdialogs zwischen den EU-Mitgliedstaaten geben wird, mit gegenseitiger Überprüfung und gemeinsamen Definitionen. Dabei geht es nicht um Bestrafung oder Sanktionen; es geht um Diskussionen auf Augenhöhe und um die gemeinsame Suche nach Lösungen.
Doch nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, braucht es weitere Schritte, Schritte, mit denen wir nicht nur den Dialog, sondern endlich auch klare Regeln auf europäischer Ebene etablieren. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr – das ist schon angesprochen worden – sollten wir deshalb unbedingt für Fortschritte nutzen. Das können wir tun, indem wir beispielsweise dafür sorgen, dass die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien eindeutig im neuen mehrjährigen Finanzrahmen verankert wird.
(Beifall bei der SPD)
Es ist sehr zu begrüßen, dass sich unser Außenminister Heiko Maas hier gerade ganz deutlich dazu bekannt hat.
Die Bundesregierung mit der Kanzlerin an der Spitze muss sich aber bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene deutlich dafür einsetzen, dass mit dem nächsten europäischen Finanzrahmen ab 2021 EU-Mittel in substanziellem Maße einbehalten werden, wenn Mängel bei der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten vorliegen. So sieht das übrigens auch der Vorschlag des ehemaligen Haushaltskommissar Günther Oettinger vor.
Ob uns Corona für die Notwendigkeit dieser Maßnahmen endgültig die Augen geöffnet hat, das können wir während unserer deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr zeigen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7445958 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Europäische Grundwerteinitiative |