Fabio Valeriano Lanfranco De MasiDIE LINKE - Vorsorgliche Kreditlinie des ESM
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Europa befindet sich in der tiefsten wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krise seit der großen Depression. Europa beweist sich eben nicht in Sonntagsreden oder durch das Schwingen von EU-Fähnchen, sondern Europa beweist sich in der Not.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Situation in Italien und Spanien war dramatisch. Ich empfinde es als eine große Katastrophe für Europa, dass wir, als Italien den Höhepunkt dieser Pandemie erlebte, keine Schutzmasken, kein medizinisches Gerät unmittelbar liefern konnten, auch weil wir selbst nicht in der Lage waren, uns zu helfen. Ich stelle für meine Fraktion fest: Die Privatisierung von Krankenhäusern und das Staatsversagen beim Katastrophenschutz – dieser Unsinn muss endlich der Vergangenheit angehören!
(Beifall bei der LINKEN)
Für Italien war diese Erfahrung traumatisch. Wir hatten eine Situation, dass das Militär Leichensäcke aus Bergamo abtransportieren musste, weil es nicht genug Platz auf den Friedhöfen gab. Die Mehrheit der Italiener spricht sich mittlerweile in einer Umfrage für einen EU-Austritt aus. China ist das beliebteste Land, Deutschland eines der unbeliebtesten. Ja, das ist doch eine Katastrophe historischen Ausmaßes.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das liegt an der Linken! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU)
Ich sage das auch als deutsch-italienischer Bundestagsabgeordneter, dessen Großvater in Erdlöchern übernachtet hat, damit Damen und Herren wie hier auf der rechten Seite des Hauses nie wieder an die Macht kommen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Er stand meinem deutschen Großvater im Krieg gegenüber. Solange ich hier einen Atemzug abgebe, ist es meine Verantwortung, dass wir eine solche Katastrophe in Europa nicht mehr erleben.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen will ich auch sagen, dass Sie hier Fake News verbreiten. Meine Fraktion ist sehr dafür, die Reichen – auch in Italien, auch die Ferreros oder die Agnellis – in die Pflicht zu nehmen. Aber es ist wohlfeil, hier in Deutschland Steuergerechtigkeit abzulehnen, Briefkästen in der Schweiz zu haben, wie im Fall Ihrer Fraktion, und gleichzeitig über die Besteuerung der Reichen zu schwätzen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Denn es ist doch so, dass dieser Vergleich mit dem Medianvermögen überhaupt nicht trägt. Meine Urgroßmutter in Italien hatte einen Ziegenstall; das war ihre Behausung. Auch das geht mit in das Vermögen der Italiener ein, weil in Italien mehr Menschen in den eigenen vier Wänden leben, weil es dort ein anderes System der Altersvorsorge gibt.
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Ich will hier auch noch einmal sagen: Es gibt in der öffentlichen Debatte über die Situation Europas einige Verwirrung. Italien hat einen Leistungsbilanzüberschuss. Italien hat seit 25 Jahren einen Primärüberschuss, einen Haushaltsüberschuss vor Zinsen. Aber sie kommen trotzdem aus den Schulden nicht raus; denn wenn man kürzt, bis man im Koma liegt und eine Depression herrscht, dann kann man den Schuldenstand nicht verringern. Daran sollte man sich auch in Deutschland erinnern. Wir kennen doch die Geschichte Europas; wir kennen die Geschichte von Versailles. Wir wissen, dass man Ausgaben nicht bis ins Koma kürzen kann, wenn man Schulden verringern möchte.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist richtig, dass es in Italien zum Beispiel Korruption und Vetternwirtschaft und vieles andere gibt. Aber man erreicht den Strukturwandel nicht, wenn man nicht mehr öffentliche Mittel investiert und einer verlorenen Generation wieder Hoffnung gibt.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage deswegen: Es ist gut, wenn nun auf Kürzungsauflagen beim ESM verzichtet wird, wenn es darum geht, das Gesundheitswesen zu verbessern. Aber das ist doch ein Tropfen auf den heißen Stein. Es geht um 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in einer Krise historischen Ausmaßes.
63-mal hat die EU-Kommission seit 2011 EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, bei den Gesundheitsausgaben zu kürzen. Das macht die Krise doch jetzt teurer und tödlicher als nötig; denn es ist doch für jeden, auch vor den Fernsehbildschirmen, ersichtlich: Wir können die Wirtschaft auch deswegen nicht mehr so schnell hochfahren, weil unser Gesundheitswesen sonst überlastet ist. Deswegen macht Kürzen bis in die Krise hinein die Krise teurer und tödlicher als nötig.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will von daher auch noch einmal sagen: Die Debatte, die wir hier in Deutschland über Coronabonds geführt haben, ist wirklich absurd. Würde die Europäische Zentralbank einen solchen Bond kaufen, gäbe es null Zins- oder Haftungsrisiko für Deutschland; denn eine Zentralbank kann nie in eigener Währung pleitegehen. Es gibt keinen Währungsraum in der Welt, in dem das denkbar wäre. Großbritannien – darauf bezieht sich die AfD ja immer gerne – finanziert ihre Regierung sogar direkt über die Zentralbank. Es ist zum Beispiel nicht denkbar, dass die US-Zentralbank eine US-Staatsanleihe nicht mehr akzeptiert. Solange wir dieses künstliche Insolvenzrisiko in der Euro-Zone haben, weil wir sagen: „Die Staaten dürfen sich kein Geld bei der EZB leihen, sondern nur bei den Banken“, so lange werden wir niemals aus diesem Krisenmodus herauskommen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich will auch noch ein paar Sätze zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sagen: Ja, Zentralbanken sind mächtige Institutionen; man muss sie eben auch durch Parlamente kontrollieren. Aber es ist ein Problem, wenn sich die Verfassungsrichter nur vom Bundesverband deutscher Banken und ein paar ordoliberalen Ökonomen beraten lassen.
(Dr. Florian Toncar [FDP]: Das ist doch Unsinn! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Jetzt reicht es aber! Das steht Ihnen nicht zu!)
Es geht nicht, dass man jahrelang die Unabhängigkeit der Zentralbank predigt wie die katholische Kirche die unbefleckte Empfängnis und dann bei jeder geldpolitischen Entscheidung einen Stuhlkreis gründen möchte. Man muss sich entscheiden, was man will. Ja, wir wollen die demokratische Kontrolle der Zentralbank. Aber was nicht geht, ist, hier jahrelang zu verhindern, dass die EZB ihren Job machen kann, und dann den Aufstand zu proben, verehrte Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Das hat doch kein Mensch gesagt! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Völlig daneben!)
Deswegen sage ich: Wer diesen Grundkonflikt lösen möchte, muss das Mandat der Europäischen Zentralbank in den Blick nehmen. Wenn man den Euro haben will, dann muss man sich entscheiden: Entweder wir haben in Europa eine gemeinsame Finanzpolitik oder wir verbieten der Zentralbank, Staatsfinanzierung zu betreiben. Wenn man aber beides nicht will – keine gemeinsame Finanzpolitik und keine monetäre Staatsfinanzierung –, dann muss man sich irgendwann vom Euro verabschieden
(Dr. Florian Toncar [FDP]: Das stimmt nicht!)
und dann muss man der deutschen Bevölkerung erklären, dass die Krise noch teurer wird und wir nicht mehr aus dieser Depression herauskommen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry [SPD])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für die namentliche Abstimmung ist vorbei. Ich stelle die Frage: Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, welches seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7445983 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Vorsorgliche Kreditlinie des ESM |