Norbert MüllerDIE LINKE - Rechte von Kindern in der Corona-Krise
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir nehmen heute hier die Bevölkerungsgruppe in den Fokus, die in der Pandemie mehr als jede andere aus dem öffentlichen Raum gedrängt wurde. Für Kinder und Jugendliche wurden nahezu alle Räume, in denen sie sich außerhalb der eigenen Wohnung bewegen, versperrt: Kitas, Schulen, Spielplätze, Sportanlagen, Musikschulen, Jugendklubs usw. Heimkindern wurde sogar der Kontakt zu ihren Eltern untersagt. Das findet sich in zahlreichen Eindämmungsverordnungen. Und vor Supermärkten wurden Schilder aufgestellt, die Kindern das Betreten verboten. Diese Maßnahmen wurden in der Annahme verhängt, dass Kinder ein wesentlicher Träger der Pandemie seien. Dafür gibt es bis heute keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg.
Es stellt sich schon die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, wenn nach und nach alle möglichen Einrichtungen wieder öffnen können, nur Kinder mit ihren Interessen immer am Ende der Reihe stehen. Dabei geht es nicht nur um die massiven finanziellen Einschränkungen, die Familien gerade erleben, und es geht auch nicht nur um die massive Mehrbelastung durch Homeoffice, Kinderbetreuung und Homeschooling – es geht auch darum, dass die Leute es satt sind, dass ihre Kinder in der öffentlichen Debatte vorrangig als Infektionsgefahr und Seuchenherd betrachtet wurden und werden; sie haben es satt, welche Geringschätzung ihrer Sorgearbeit zu Hause entgegengebracht wird und dass sie völlig unfreiwillig in längst überwundene Familienbilder gedrängt werden, die der Vergangenheit angehören sollten,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Reichardt [AfD]: Ach so?)
und sie haben es satt, dass alle möglichen Interessen öffentlich gegeneinander abgewogen werden, nur die ihrer eigenen Kinder eben nicht ausreichen.
Ich finde, ein gutes Beispiel für diese Politik der Ignoranz ist der Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach von der SPD. Er hat vorgestern Abend im „rbb“-Fernsehen erklärt – ich zitiere –:
Wir sind in einer Situation, die ist … gerade mal 14 Tage länger als die Sommerferien … das ist alles noch kein Wahnsinnsausnahmezustand. Und ich würde mich freuen, wenn zum Teil die Eltern auch mal wieder ihre Kinder richtig kennengelernt haben.
Und das wird noch besser – zur Forderung eines Coronaelterngeldes –:
Ich hoffe … dass Sie [sich] … nicht …ein Kind angeschafft haben, weil wir es als Vater Staat für Sie attraktiv gemacht haben.
Das hat der Mann wirklich so gesagt. Wie kaputt muss man eigentlich sein, in Zeiten der Coronakrise so einen Blick auf die Familien zu haben!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wissen Sie, ich bin Bundestagsabgeordneter, meine Frau ist Lehrerin, wir haben im Unterschied zu Millionen Familien eben keine existenziellen Sorgen, aber wir haben auch wochenlang im Homeoffice gearbeitet, wie viele hier, parallel haben wir ein Kitakind betreut, dem seine Freunde und Großeltern ziemlich gefehlt haben, wir haben täglich fünf Stunden Schule für den größeren Bruder gegeben, ein Mittagessen gekocht usw. Und dann kommt jemand von der Regierung – in dem Fall der Landesregierung von Brandenburg – und sagt: Das war ja jetzt ein bisschen wie die großen Ferien im Sommer,
(Frank Pasemann [AfD]: Unglaublich!)
jetzt hat der Müller seine Kinder endlich mal wieder richtig kennengelernt. – Ich finde, diese arrogante Haltung Familien und den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen gegenüber bringt die Leute völlig zu Recht auf die Palme.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb brauchen wir jetzt eine andere Strategie. Familien und Kinder müssen in den Mittelpunkt. Gerade die Bundesregierung hat sich mit sehr vielem beschäftigt, ganz wichtig: ob Autohäuser öffnen können und wie viele Quadratmeter Verkaufsfläche ein Geschäft haben darf. Nein, jetzt wird es Zeit für einen Kindergipfel, bevor im Kanzleramt der nächste Autogipfel zusammentritt,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
einen Gipfel, auf dem die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen unter Pandemiebedingungen in den Fokus genommen wird und, ganz wichtig, wo Kinder und Jugendliche eben auch selbst wieder gehört werden.
Wir führen seit Jahren Debatten über Kinderrechte. Gerade die Pandemie zeigt, dass die Rechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen endlich ins Grundgesetz müssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Kollege Müller. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächster das Wort der Kollege Marcus Weinberg.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7446002 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Rechte von Kindern in der Corona-Krise |