Katrin Helling-PlahrFDP - Virtuelle Gerichtsverhandlungen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anfang März sorgte ein Richter aus meiner Heimatstadt noch bundesweit für Aufsehen, als er anordnete, dass er nur noch mit Schutzmaske verhandle, und selbst beschaffte Masken an die Beteiligten ausgab. Seitdem ist die Welt eine andere geworden. Masken gehören zu unserem Alltag. Und noch etwas anderes ist nicht nur für uns Abgeordnete zum Alltag geworden: Es vergeht kein Tag ohne Videokonferenzen. Sie bieten eine großartige Möglichkeit des Austauschs in Zeiten, in denen es besser ist, wenn sich möglichst wenige Leute persönlich begegnen. Aber sie vereinfachen Gespräche auch sonst, zum Beispiel mit Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht so gut aus dem Haus gehen können oder über weite Distanzen.
Unsere Gerichte sind leider noch nicht wirklich in dieser neuen Welt angekommen. Parteien, Zeugen, Anwälte reisen stundenlang durch die Republik, um vielleicht nur ein paar Minuten vor Gericht auszusagen oder zu verhandeln. Termine werden immer wieder verschoben, bis auch alle Zeit haben für solche zeitaufwendigen Anreisen. Gerade in Zeiten von Corona bleibt die Akte im Zweifel auf dem Schreibtisch liegen und liegen und liegen. Oder es wird dann doch irgendwann bei entsprechendem Ansteckungsrisiko verhandelt. Das müsste nicht sein. Denn die Digitalisierung bietet gerade für Zivilprozesse tolle Chancen, mit weniger Ansteckungsrisiko, aber auch zügiger, effektiver und transparenter zu verhandeln. Damit Videoschalten im Zivilprozess auch im Jahr 2020 nicht weiterhin Rarität und Zukunftsmusik bleiben, müssen wir zwei Dinge ändern.
Erstens. Die seit immerhin 18 Jahren im Zivilprozess bestehende theoretische Möglichkeit der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung braucht ein Update! Noch steht es allein im Ermessen des Gerichts, ob im Wege der Videokonferenz verhandelt werden kann. Das ist für das Zivilrecht schon völlig unpassend. Anders als im Strafverfahren sind es im Zivilprozess immer die Parteien, die den Ton angeben dürfen. Die Dispositionsmaxime ist der wichtigste Verfahrensgrundsatz im Zivilprozess. Deshalb schlagen wir vor, dass eine Partei beginnend mit der Güteverhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung zugeschaltet werden muss, wenn sie dies beantragt. Die andere Partei kann ebenfalls per Videokonferenz teilnehmen. Es bleibt ihr aber auch unbenommen, wenn sie dies möchte, trotzdem vor Ort in den Gerichtssaal zu gehen.
Zweitens. Prozessuale Möglichkeiten zu schaffen, ist schön und gut, wenn die tatsächliche Umsetzung dann an der oft schlicht fehlenden technischen Ausstattung vor Ort scheitert.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Daher wollen wir, dass Bund und Länder im Zuge eines Digitalpakts das nachholen, was man bereits vor Jahren hätte angehen sollen – nämlich die Gerichte endlich modern auszustatten.
(Beifall bei der FDP)
Und wenn wir die Säle so ausstatten, dann ergibt es Sinn, über einen weiteren Punkt nachzudenken, nämlich über den der Öffentlichkeit. Nur ganz selten im Zivilprozess besteht diese aus einem oder zwei interessierten Bürgern oder einer Schulklasse – die gehen nämlich lieber zu den Strafsachen. Sie dient aber der Kontrolle und der Transparenz der durch die Gerichte handelnden Staatsgewalt. Daher ist es Zeit, Öffentlichkeit nicht nur als Saalöffentlichkeit zu verstehen, sondern von unseren verfassungsrechtlich gegebenen Spielräumen Gebrauch zu machen und bei Zustimmung der Parteien zusätzlich zur Saalöffentlichkeit eine begrenzte, registrierte Livestream-Öffentlichkeit zuzulassen. Denn auch wer virtuell verhandelt, muss dennoch real kontrolliert werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Katrin Helling-Plahr. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Volker Ullrich.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7446300 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Virtuelle Gerichtsverhandlungen |