Volker UllrichCDU/CSU - Virtuelle Gerichtsverhandlungen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP schlägt vor, sogenannte virtuelle Gerichtsverhandlungen im Zivilrecht zu ermöglichen. Wer den Antrag liest, der fühlt sich ein wenig erinnert an den Wahlslogan der FDP: Digital first. Bedenken second.
(Beifall bei der FDP)
Oder anders ausgedrückt: Digitales fordern und dann erst nachdenken.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es wäre vielleicht besser, wenn Sie erst mal nachdenken, bevor Sie einen Antrag stellen; denn das, was hier in Ihrem Antrag verarbeitet ist, hält weder rechtsstaatlichen Standards stand, noch ist es irgendwie praktisch tauglich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Thomae [FDP]: Weit hinter der Zeit zurück!)
Ich will Ihnen kurz sagen, weshalb.
Nach § 128a ZPO kann nach Ermessen des Gerichts eine Zeugeneinvernahme oder auch eine Anhörung per Bild- oder Videoübertragung stattfinden. Was Sie aber fordern, ist ein völliger Paradigmenwechsel. Sie wollen nämlich, dass, wenn dies eine Partei bereits beantragt, dann automatisch diese Sitzung als Videoübertragung stattfinden muss, und das ist, ehrlich gesagt, mit Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz nicht vereinbar,
(Stephan Thomae [FDP]: Problemlos!)
weil nämlich nach der Rechtswegegarantie des Grundgesetzes jeder den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht hat. Das heißt, die Verhandlung muss am Gericht stattfinden. Wir können es nicht in einen virtuellen Raum verlagern, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE] – Stephan Thomae [FDP]: Nicht mal semantisch passt das!)
Zudem haben Sie ein Folgeproblem gar nicht bedacht. Es gibt vor den Amtsgerichten keinen Anwaltszwang, sodass es jedem Bürger unbenommen ist, auch selbst vor Gericht zu erscheinen und seine Rechte wahrzunehmen.
(Katrin Helling-Plahr [FDP]: Das kann er doch!)
Damit werden Sie, wenn Sie auf Antrag einer Partei ein Videoverfahren zulassen, letztlich die Menschen benachteiligen und juristisch ein Stück weit ins Abseits drängen, die das typischerweise gar nicht können und wollen: Ältere, Rentner, Menschen, die Schwierigkeiten damit haben. Aber der Zugang zum Gericht ist für jeden da,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
nicht nur für diejenigen, die ein Webcam-Equipment haben.
(Stephan Thomae [FDP]: Die müssen das ja nicht!)
Und dann fordern Sie unabhängig von dieser Frage, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz, auch ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht, durch einen Livestream im Internet ersetzt werden kann.
(Stephan Thomae [FDP]: Ergänzt werden, nicht ersetzt werden!)
Damit ändern Sie völlig den Charakter von Gerichtsverhandlungen.
Die Sitzungsöffentlichkeit ist deswegen ein wichtiges Instrumentum, weil es jedem Bürger unbenommen bleibt, jederzeit zum Gericht zu gehen
(Stephan Thomae [FDP]: Die Saalöffentlichkeit besteht ja fort, sie wird nur ergänzt!)
und sich von der Ordnungsmäßigkeit der Verhandlungen zu überzeugen. Aber wenn Sie es ins Internet übertragen, dann haben Sie möglicherweise das Phänomen – das riskieren Sie vollen Bewusstseins –, dass die Verhandlung mitgeschnitten wird, dass Bilder aufgenommen werden, und so machen Sie aus der Sitzung ein Medienspektakel. Das wird auch dem rechtsstaatlichen Anspruch an einen ordentlichen Zivilprozess nicht gerecht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Volker Münz [AfD] und Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])
Der Flaschenhals besteht darin, dass wir die Akten digitalisieren müssen, damit die Akten schneller laufen. Wir sorgen mit dem Pakt für den Rechtsstaat dafür, dass die Justiz besser ausgerüstet wird und die Verfahren beschleunigt werden. Wo Sie also noch formulieren, haben wir bereits gehandelt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Thomae [FDP]: Das wäre das erste Mal!)
Um es abschließend zu sagen: Auch der Begriff „virtuelle Gerichtsverhandlung“ ist übrigens ein Fehlgriff. Nach dem Duden heißt virtuell „nicht echt“, also nur echt erscheinend.
(Heiterkeit bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Thomae [FDP]: Da haben Sie eine alte Ausgabe!)
Wir wollen aber keine nicht echten Gerichtsverhandlungen, sondern wir wollen wirkliche Gerichtsverhandlungen haben, und wir bleiben dabei. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank, Dr. Volker Ullrich. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jens Maier.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7446301 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 160 |
Tagesordnungspunkt | Virtuelle Gerichtsverhandlungen |