15.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 161 / Tagesordnungspunkt 27

Ulrike Schielke-ZiesingAfD - Grundrentengesetz

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Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Bürger! Lange haben wir Abgeordnete auf diesen Moment gewartet. Wir debattieren doch heute tatsächlich den Gesetzentwurf zur Grundrente. 14 Monate wurde sehr viel Energie in die Bewerbung der Grundrente investiert, mindestens ebenso viel Energie, um den Koalitionspartner endlich zu überzeugen. In der Vorlage heißt es, dass die Grundrente die Lebensleistung honorieren und vor Altersarmut schützen soll.

An dieser Stelle ist es angebracht, zu fragen, warum Versicherte, die mindestens 33 Jahre lang gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt haben, letztendlich eine so niedrige Rente erhalten, die nun bezuschusst werden muss. Wie kommt so etwas zustande?

Entscheidend für die erschreckend niedrigen Renten sind doch die Reformen der letzten Jahre, beispielsweise 1998 die Einführung des demografischen Faktors und allen voran 2001 die Schröder-Riester-Reform. Erinnert sei auch daran, dass sich erst mit einer SPD-geführten Regierung der Niedriglohnsektor in Deutschland so ausweiten konnte. Die Koalitionsparteien haben die geringen Renten zu verantworten und feiern sich jetzt dafür, dass sie durch die Grundrente ein wenig an den Zahlbeträgen schrauben. Großartig!

Seit Monaten weisen Experten von der Bertelsmann-Stiftung bis hin zu den Arbeitgeberverbänden, von der Deutschen Rentenversicherung bis hin zur OECD auf gravierende Fehlstellen hin. Die Grundrente ist nicht zielgenau. Sie ist sozial ungerecht, viel zu teuer und dabei weitgehend wirkungslos.

(Beifall bei der AfD)

Jeder weiß, dass diejenigen, die besonders auf Hilfe angewiesen sind, selten die vorgeschriebenen Versicherungsjahre erreichen. Die Grundrente ist verfassungsrechtlich bedenklich wegen der Missachtung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes. Außerdem wird das Äquivalenzprinzip nicht eingehalten.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, und?)

Wie erklären Sie, Herr Heil, dass Versicherte die gleiche Beitragssumme einzahlen, aber nicht die gleiche Leistung von der Rentenversicherung erhalten? Herr Heil, damit schaffen Sie doch neue Ungerechtigkeiten innerhalb der Versichertengemeinschaft.

(Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die gibt es im Rentenrecht schon lange! Dagegen hat noch nie jemand etwas gesagt!)

Organisatorisch ist die Grundrente für die Rentenversicherung in dem Zeitrahmen nicht umsetzbar. Hierbei fehlt das nötige IT-System zur Einkommensabfrage bei den Finanzämtern. Es fehlt vor allem an Personal. Millionen von Akten müssen händisch geprüft werden. Die Rentenversicherung benötigt rund 3 400 zusätzliche Angestellte, um die Prüfung der Bestandsrenten zu bewältigen. Für den laufenden Betrieb, insbesondere wegen der regelmäßigen Einkommensprüfung, müssen über 1 600 Angestellte für die Grundrente abgestellt werden. Wo wollen Sie diese neuen Angestellten hernehmen? Die Rentenversicherung hat bereits signalisiert, dass ein Beginn der Grundrente zum 1. Januar 2021 technisch nicht umsetzbar sein wird – und das war noch vor Corona.

Um zielgenau den wirklich armen Rentnern zu helfen, ist eine Freibetragslösung für die Rente bei der Anrechnung auf die Grundsicherung im Alter der bessere Ansatz.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht das dünne Ding von gestern, bitte!)

Seit Februar 2019 liegt Ihnen dafür unser Antrag zur Umsetzung vor, den wir gestern hier abschließend im Plenum behandelt haben. Der Umsetzungsaufwand wäre weitaus geringer und der Nutzen gleich oder sogar noch größer als bei der Grundrente.

(Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Definitiv nicht!)

Ferner wäre diese Option verfassungskonform und wahrt noch das Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung.

(Kerstin Tack [SPD]: Das ist das Prinzip Hoffnung! Solange man selber dran glaubt! – Da ist sogar der Gesetzentwurf der Koalition besser!)

Herr Minister Heil, es ist äußerst lobenswert, dass Sie unseren Vorschlag teilweise mit in Ihren Gesetzentwurf aufgenommen haben.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Peinlich!)

Nur leider schränken Sie hier den Kreis der Berechtigten ein, indem Sie als Zugangsvoraussetzung 35 Versicherungsjahre definieren.

(Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Alle anderen Rentner, auch die Erwerbsunfähigkeitsrentner, fallen wieder durch den Rost, und das ist nicht gerecht.

(Beifall bei der AfD)

Kommen wir zu den Kosten der Grundrente. Wie man aktuell liest, wurde Herr Heil seitens der CDU daran erinnert, dass es keine zweite und dritte Lesung zur Grundrente geben wird, wenn die Finanzierung nicht geregelt ist, und das ist auch gut so. Der Finanzierungsbedarf wird im Jahr 2021 mit rund 1,3 Milliarden Euro angegeben. Positiv ist, dass klar geregelt wird, dass diese Kosten nicht von der Versichertengemeinschaft getragen werden, sondern aus Steuermitteln gezahlt werden sollen. Aber woher sollen diese Steuermittel kommen? Schon vor Corona stand die Finanzierung auf sehr wackeligen Füßen. Minister Scholz wollte eine Finanztransaktionsteuer, die anderen EU-Länder nicht.

Wie sieht es jetzt in der Coronakrise aus? Um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Krise abzufedern, haben wir als Parlament gerade einen Nachtragshaushalt in Höhe von rund 156 Milliarden Euro beschlossen. Die Bundesanstalt für Arbeit wird mit ihren Rücklagen nicht auskommen. Es ist sicher, dass ein weiterer Nachtragshaushalt kommen wird. Die Einnahmen des Staates werden in den nächsten Jahren weitaus geringer ausfallen als geplant. Allein dem Bund werden in diesem Jahr Steuereinnahmen in Höhe von rund 40 Milliarden Euro fehlen.

Auch in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung werden Einnahmen wegbrechen, die dann vom Bund bezuschusst werden müssen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das jetzt?)

Wie soll denn bitte die Grundrente finanziert werden? Trotzdem setzen Sie, Herr Heil, alles daran, diese Grundrente durchzusetzen. Hier fragt man sich dann schon, warum Sie Ihre Prioritäten gerade so setzen.

(Dagmar Ziegler [SPD]: Wir haben noch mehr gemacht!)

Kann es etwa damit zu tun haben, dass im nächsten Jahr die Bundestagswahlen stattfinden und die Gruppe der Rentner eine nicht zu unterschätzende Wählergruppe ist?

(Beifall bei der AfD – Kerstin Tack [SPD]: Banaler geht es nicht! Ein bisschen geht es hier auch noch um die Menschen!)

Kurz vor Wahlen Wahlgeschenke zu verteilen, das machen alle Arbeitsminister gerne. In diesem Falle wird es für die Wähler jedoch eine Riesenenttäuschung werden, wenn sich die Grundrente im Portemonnaie nicht wirklich bemerkbar macht.

(Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD])

Gestern verkündete Minister Scholz das größte Steuerloch aller Zeiten. Bis 2024 soll sich die Summe der Steuerausfälle auf unfassbare 315,9 Milliarden Euro summieren, davon rund 171 Milliarden Euro beim Bund. Trotzdem soll laut Scholz kein einziges Projekt gekippt werden. Wo der Steuerzahlerbund mahnte, alle Staatsausgaben zu überprüfen, sagt Minister Scholz wörtlich: „Wir können uns das, was wir uns vorgenommen haben, weiter leisten.“ – Natürlich bezog er sich dabei auch auf die Grundrente. Es ist eigentlich nur noch unfassbar, wie hier Haushaltspolitik gemacht wird

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Heißt das, Sie wollen nichts machen? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie erst gestern den Antrag eingebracht, wenn Sie gar nichts machen wollen? Keinerlei Empathie!)

und wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinandergehen.

Bei der SPD sind Hopfen und Malz verloren. Ich möchte hier aber an die Vernunft der Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion appellieren. Stoppen Sie diese irrsinnige Grundrente! Lassen Sie hier keine weitere, zweite Lesung im Bundestag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Dagmar Ziegler [SPD]: Das war gar nichts! – Ulli Nissen [SPD]: Wie freue ich mich auf Hermann Gröhe!)

Das Wort hat der Kollege Hermann Gröhe für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Rützel [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7446378
Wahlperiode 19
Sitzung 161
Tagesordnungspunkt Grundrentengesetz
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