15.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 161 / Tagesordnungspunkt 28

Gabriele Hiller-OhmSPD - Arbeitszeit und Prämie in der Pflege

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme zum Thema zurück.

(Beifall des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU])

Meine Kollegin Heike Baehrens hat in ihrer Rede bereits sehr deutlich beschrieben, was wir in der Pflege schon alles verbessert haben. Vieles musste gegen heftige Widerstände durchgesetzt werden. Ich werde mich jetzt noch einmal auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege in dieser besonderen Ausnahmesituation konzentrieren.

Bisher, liebe Kolleginnen und Kollegen, mussten wir uns zum Glück noch nie den Herausforderungen einer weltweiten Pandemie stellen. In dieser Krise muss sich vor allem unser Gesundheitswesen beweisen. Haben wir genug Intensivbetten? Gibt es ausreichend Beatmungsgeräte? Was ist mit den Schutzausrüstungen? Und vor allem: Haben wir genug geschultes Personal in der Pflege, um Covid-19 die Stirn zu bieten? Die Pandemie zeigt sehr deutlich: Es reicht nicht. Deshalb müssen wir den Beschäftigten im Gesundheitswesen gerade jetzt, in der Coronakrise, viel abverlangen. Dabei dürfen wir die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz natürlich nicht aus den Augen verlieren; da gebe ich dem Antragsteller, der Linken, ausdrücklich recht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Vielen Dank!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines will ich hier klarstellen: Eine Verlängerung der täglichen Höchstarbeitszeit, die Verkürzung der Ruhezeit und die Möglichkeit, an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten, sind mit meinen Vorstellungen von Arbeitsschutz nicht zu vereinbaren. Anfang März habe ich hier an dieser Stelle betont, wie wichtig uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Einhaltung der Arbeitszeit ist. Das gilt natürlich auch weiterhin.

(Beifall bei der SPD)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben doch alle die Bilder aus Italien und New York vor Augen. Die Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz sollen die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge“ sowie der „Versorgung der Bevölkerung“ sicherstellen. So beschreibt es das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss in einer lebensbedrohenden Krise auch so sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insbesondere das Gesundheitswesen ist der wohl relevanteste Bereich in dieser Ausnahmesituation. Wie sonst sollen die vielen zusätzlichen Covid-19-Patientinnen und ‑Patienten versorgt werden? Hier galt es, Rechtssicherheit zu schaffen. Daher hat das Arbeitsministerium die Möglichkeit geschaffen, in absoluten Ausnahmefällen – und ich betone: in absoluten Ausnahmefällen – die Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden zu verlängern bzw. Ruhezeiten um bis zu zwei Stunden zu verkürzen. Tarifverträge oder die Mitbestimmungsrechte der Betriebs- oder Personalräte werden dabei aber nicht angegriffen. Das alles ist klar befristet und wird zurückgenommen; so steht es in der Verordnung. Die normalen Arbeitszeitregeln werden dann wieder gelten. Etwas anderes ist mit mir und meiner Fraktion auch nicht zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedaure sehr, dass wir dem Pflegepersonal diese zusätzlichen Belastungen zumuten müssen. Auch ich hätte mir gewünscht, dass gerade jetzt, unter den schweren Arbeitsbedingungen, mehr Personal und kürzere Arbeitszeiten möglich werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie anstrengend es ist, in voller Schutzausrüstung zu arbeiten. Mir als Brillenträgerin bereitet ja bereits mein kleiner Mundschutz Beschwerden. Natürlich sind kürzere Arbeitszeiten des Pflegepersonals auch für die Patientinnen und Patienten besser; das ist überhaupt gar keine Frage. Ausgeruhte Menschen machen weniger Fehler und arbeiten konzentrierter und motivierter. Das wissen wir, und deshalb gibt es ja auch das Arbeitszeitgesetz.

Aber ausgerechnet jetzt, mitten in der Coronakrise, Sechsstundenschichten zu fordern, ist an Populismus nicht zu überbieten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Frau Kollegin, wir haben es gerade noch mal erklärt!)

Wo, so frage ich Sie, sollen all die Pflegerinnen und Pfleger herkommen, die die zusätzlich anfallende Arbeitszeit auf einen Schlag übernehmen müssen? Und auch nach der Krise wird das nicht so schnell möglich sein; denn der Personalmangel ist doch das größte Problem in diesem Bereich.

Dieses Personal gewinnen wir vor allem, indem wir die Arbeitsbedingungen in der Pflege konsequent verbessern, und das tun wir auch. Andere Arbeitsbedingungen und Strukturen, mehr Personal und eine verbesserte Bezahlung, das sind die Punkte, die sich ein Großteil der Pflegerinnen und Pfleger wünscht. Das gilt übrigens auch für die ausgebildeten Pflegekräfte, die sich eine Rückkehr in ihren alten Beruf vorstellen können. Deshalb arbeiten wir intensiv daran, den Beruf der Pflegerin und des Pflegers attraktiver zu gestalten; meine Kollegin Heike Baehrens hat bereits darauf hingewiesen.

Mindestlöhne in der Pflege konnten wir als ersten Schritt durchsetzen. Unser Ziel bleibt es aber weiterhin, dass im Pflegebereich endlich ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag ausgehandelt wird.

(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD] und Emmi Zeulner [CDU/CSU])

Wohlfahrtsverbände, Caritas und auch das Rote Kreuz verhandeln bereits mit Verdi. Nun müssen sich endlich auch die privaten Pflegedienstleister bewegen; dann kommen wir einen Schritt weiter.

(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD] und Emmi Zeulner [CDU/CSU])

Ein flächendeckender Branchentarifvertrag würde nicht nur die Arbeitsbedingungen und die finanzielle Vergütung verbessern, sondern würde den Beruf für junge Menschen attraktiver machen. Auf diesem Weg können wir den aktuellen Fachkräftemangel abmildern. Hier sind unsere Positionen übrigens gar nicht so weit voneinander entfernt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken.

Unser Fokus muss also darauf liegen, die betriebliche Mitbestimmung zu stärken und starke Tarifverträge zu unterstützen. Darüber können wir dann auch kürzere Arbeitszeiten in der Pflege erreichen. Klatschen auf Balkonen verbessert keine Arbeitsbedingungen,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt!)

und Anträge, die fordern, was nicht umzusetzen ist, ebenfalls nicht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben wir auch nicht gemacht!)

Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist die erste Lesung! Ihr könnt euch ja noch eines Besseren belehren lassen!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hiller-Ohm. – Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7446403
Wahlperiode 19
Sitzung 161
Tagesordnungspunkt Arbeitszeit und Prämie in der Pflege
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