Olaf Scholz - Corona-Steuerhilfegesetz
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind mitten in einer Situation, die uns alle sehr beschäftigt. Wir diskutieren jeden Tag die gesundheitlichen Folgen, die aufgrund der Covid-19-Herausforderung auf uns zukommen, aber eben auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen.
Von Anfang an haben wir mit einem sehr großen und sehr umfangreichen Programm dafür Sorge getragen, dass Wirtschaft und Arbeitsplätze geschützt werden, dass man gut durch diese Situation kommen kann. Wir haben einen Schutzschirm aufgebaut, der sehr gut funktioniert, der Einkommen gesichert hat. Wir haben viele, viele Dinge unternommen, aber wir wissen, dass das nicht das Letzte ist, was jetzt ansteht, sondern dass wir weitermachen müssen.
Deshalb ist es auch am Tag nach der gestrigen Veröffentlichung der Steuerschätzung ganz besonders wichtig, dass wir uns fest vorgenommen haben: Wenn die meisten Entscheidungen, die mit dem Lockdown verbunden sind, auslaufen und die Lockerungen ausgeweitet werden, dann muss es auch mit der Konjunktur wieder aufwärts gehen, und wir brauchen ein Konjunkturprogramm.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Was wir aber auch brauchen, sind ganz konkrete und zahlreiche Hilfen für die verschiedenen Branchen und Bereiche, die Unterstützung brauchen. Das wird in diesem Konjunkturprogramm noch eine Rolle spielen. Da geht es dann um die Kunst, um die Kultur. Da geht es aber zum Beispiel auch um diejenigen, die Veranstaltungen machen. Da geht es um Schausteller. Da geht es ganz sicher um diejenigen, die Gastronomie oder Hotels betreiben.
Deshalb ist es ein wichtiger erster Schritt, dass wir jetzt eine ganz wichtige Verbesserung für diese Branche, die mit am meisten unter den Auswirkungen des Lockdown zu leiden hatte, auf den Weg bringen und sagen: Wir wollen ermöglichen, dass mit einer auf ein Jahr befristeten Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen ein Weg gefunden wird, wie Geld, das verloren gegangen ist, dann, wenn es wieder losgeht, zurückverdient werden kann.
Deshalb passt der Gesetzentwurf auch ganz genau in die Zeit, die wir jetzt haben. Wir haben exakt das gemacht, was man tun kann, damit es jetzt losgehen kann und damit dann diese Phase für Mehreinnahmen genutzt werden kann, für bessere Ausstattung in den einzelnen Unternehmen, damit alle gewissermaßen den Mut und die Kraft finden, um das gut voranzubringen.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?
Ach ja.
(Heiterkeit)
Das verlängert auch Ihre Redezeit.
Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich bin in der FDP-Fraktion für das Thema Tourismus, also auch für das Thema Gastronomie, zuständig; darauf sind Sie ja gerade eingegangen.
Ich habe zwei Fragen zu diesem Thema. Sie haben angesprochen, dass die Mehrwertsteuerreduzierung sich nur auf Speisen bezieht, nicht auf Getränke. Da würde ich gerne noch mal nachfragen, was denn der eigentliche Grund dafür ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass der Bundesvorsitzende der SPD, Herr Walter-Borjans, an diesem Sonntag in der „Bild“-Zeitung etwas, wie ich finde, sehr Kluges gesagt hat – ausnahmsweise.
(Marianne Schieder [SPD]: Na, na, na!)
Ich würde gerne zitieren, wenn mir der Präsident das gestattet. Er sagte in der „Bild“-Zeitung:
In meiner Heimat Köln gibt es an jeder Ecke eine Kneipe. Die leben vor allem vom Bierausschank und haben nichts davon, wenn sie für ihre Frikadellen eine Steuersenkung bekommen ... Was haben die von einer Umsatzsteuersenkung, wenn die gar keinen Umsatz machen, erst recht nicht mit Speisen.
Deswegen würde ich gerne nachfragen: Nehmen Sie diesen sehr klugen Hinweis – erste Frage – jetzt im Gesetzgebungsverfahren auf, also die Umsatzsteuersenkung auch auf Getränke auszuweiten?
Zweite Frage. Sie begrenzen das Ganze ja auf ein Jahr; das wird sicherlich finanzielle Gründe haben. Wenn man aber von dieser Maßnahme inhaltlich überzeugt ist, dann müsste man sie doch eigentlich länger laufen lassen, vor allem wenn man weiß, dass viele Gastronomiebetriebe in den nächsten Monaten aufgrund der Situation gar nicht oder aufgrund der Abstandsregelung nur in einem begrenzten Umfang aufmachen werden. Deswegen meine Frage: Wieso begrenzen Sie das, und warum haben Sie sich zumindest nicht an den fünf Jahren bei KfW-Krediten orientiert? Das hätte zumindest einen gewissen Sinn gemacht.
Schönen Dank für Ihre vielen Fragen.
(Dr. Marcel Klinge [FDP]: Es waren zwei!)
Ganz besonders eines möchte ich an dieser Stelle sagen: Schönen Dank für das gute Lob für meinen Parteivorsitzenden.
(Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das ist eine Seltenheit!)
Sie haben völlig recht: Er sagt immer kluge Dinge.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Ich wünschte mir ein wenig, dass Sie diesen Satz öfter wiederholen und auch bei anderen Gelegenheiten benutzen;
(Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sagen Sie doch mal inhaltlich was dazu!)
denn das würde dazu beitragen, dass die Perspektive für ein soziales Miteinander in Deutschland größer wird. Das ist unsere eigentliche Anstrengung.
(Beifall bei der SPD)
Norbert Walter-Borjans und ich haben mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD und der Parteivorsitzenden zusammengesessen und mit unseren Koalitionspartnern darüber verhandelt, was wir machen können, um der Gastronomie ganz konkret zu helfen. Wir haben abgewogen, was wirtschaftlich möglich ist, was finanziell möglich ist, was jetzt in dieser Situation konkret hilft. Damit sind fast alle Ihre Fragen beantwortet.
(Lachen bei der FDP – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie lassen mich ratlos zurück, Herr Minister!)
Wir haben nämlich gesagt: Es muss jetzt helfen: Es geht um jetzt und nicht um irgendwann. Es geht darum, dass das etwas ist, das man richtig errechnen kann und das dann auch einen Beitrag für die Gastwirte leistet.
Ich will gerne noch einen Satz hinzufügen, der aus meiner Sicht von großer Bedeutung ist: Wir haben keineswegs vor, es dabei bewenden zu lassen, sondern wenn wir uns jetzt an das Konjunkturprogramm machen, dann werden wir sehr konkret für diese Branche, aber auch andere Branchen diskutieren, wie man das, was jetzt in der genau erkannten Situation notwendig ist, auch umsetzen kann. Dabei geht es darum, dass man das immer zur richtigen Zeit macht, wie sich das für Konjunkturprogramme gehört, dass man es zeitlich befristet macht, wie es sich Konjunkturprogramme gehört, und dass man es so zielgerichtet macht, dass wir nicht das Geld mit der Gießkanne verteilen, sondern dass es genau da hilft, wo es gebraucht wird. Dieses Prinzip werden wir auch weiter bewahren.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb noch mal: Das, was wir hier auf den Weg bringen, ist eine Maßnahme unter vielen, vielen anderen, die dazu beitragen, dass alle in dieser wirtschaftlich schwierigen Situation zurechtkommen können und dass nicht diejenigen, die für ihre schwierige Lage nichts können, alleingelassen werden. Das soll auch die Schlussbemerkung sein, die ich hier gerne machen möchte.
Wir haben richtige, notwendige Entscheidungen hier miteinander getroffen. Ich habe es zum Beispiel auch bei den Entscheidungen, die wir hier mit großer Mehrheit gefunden haben, um zum Beispiel eine Ausnahme von der Schuldenregel zu vereinbaren und einen großen Nachtragshaushalt auf den Weg zu bringen, sehr gut gefunden, dass alle ein Gefühl für den Ernst der Situation hatten. Denn dass wir vielen vieles zumuten, das ist doch offensichtlich: den Familien zum Beispiel, die jetzt mit der Betreuung der Kinder und ihren beruflichen Herausforderungen und dem Homeoffice dastehen, den Älteren, die vielleicht allein sind im Pflegeheim und ihre Verwandten nicht sehen können, die sie gern besuchen wollen, aber auch Männern und Frauen, die sich ein Geschäft aufgebaut haben und jetzt sehen, wie die wirtschaftlichen Herausforderungen sie vor beinahe unlösbare Probleme stellen. Es ist unsere Aufgabe, dass wir sie dabei nicht alleinlassen, und das ist exakt das, was wir mit diesem Gesetzentwurf tun.
(Beifall bei der SPD)
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Motschmann, CDU/CSU-Fraktion?
Ja.
Frau Kollegin Motschmann, der Minister gestattet das. Ich auch.
Herr Minister, vielen Dank, dass Sie auch die Kultur erwähnt haben und übrigens auch die Schausteller; früher hießen die „Gaukler“ und „Komödianten“ und gehörten zum Kulturbereich. Ich würde Sie gerne fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, dass die Gruppe der Künstlerinnen und Künstler – übrigens auch die Schausteller – am härtesten betroffen ist. Sie waren die ersten, die rausgingen, und sind die letzten, die – vielleicht – auf die großen Bühnen zurückkehren. Ist es möglich – was ich total positiv finde, und da möchte ich Sie sehr unterstützen; ich kann selten einen SPD-Minister so loben –, dass Sie auch für die Kultur ein Konjunkturprogramm planen? Können Sie da schon Konkreteres sagen?
Schönen Dank für diese Frage. – Die Antwort ist: könnte ich. Ich will aber dazusagen, dass wir uns schon etwas vorgenommen haben miteinander, nämlich all die verschiedenen guten Vorschläge jetzt so zusammenzufassen, dass sie Teil eines Konjunkturprogramms werden. Das wollen wir, wie Sie wissen, Anfang Juni im Kabinett beschließen und dann mit dem Deutschen Bundestag und mit den Ländern sorgfältig diskutieren.
Eins ist ganz klar: Die Gruppen, die Sie jetzt benannt haben und die in der Tat ganz besonders zu kämpfen haben, müssen unbedingt dazugehören. Ich weiß, was für großartige Leistungen die Männer und Frauen zustande bringen, die als Schausteller in Deutschland unterwegs sind und irgendwie dazu beitragen, dass eine sehr alte kulturelle Erfahrung, die wir in Deutschland haben, auch in Zukunft noch funktioniert. Ich möchte unbedingt, dass alle diese Schaustellerinnen und Schausteller, wenn es wieder losgeht, noch dabei sind und dass sie das, was ihre Familien seit vielen, vielen Generationen machen, auch weitermachen können. Deshalb muss und wird das Teil des Programms sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das gilt auch für die Künstlerinnen und Künstler und – das will ich dazusagen – die Kultureinrichtungen. Da, glaube ich, werden wir noch viele, viele ganz konkrete Überlegungen anstellen müssen, und zwar nicht nur dazu, wie wir jetzt möglich machen, dass man wirtschaftlich durch diese Situation kommt, sondern auch dazu, wie Kreativität und kulturelles Engagement fortgesetzt werden können, selbst wenn große Versammlungen und große Zusammenkünfte, die ja nun mal Teil der kulturellen Lebenspraxis sind, die wir miteinander haben, noch nicht möglich sein werden.
Das wird nicht nur – aber eben auch – zum Beispiel verbunden sein müssen mit einem Digitalisierungsschub, der vielleicht anders ist als das, was wir heute schon kennen. Es wird aber auch damit verbunden sein, dass wir möglich machen, dass noch was geschaffen werden kann trotz der Tatsache, dass die Spielorte nicht so genutzt werden können, wie das bisher der Fall war. Das, glaube ich, ist unsere gemeinsame Herausforderung, und wir sollten daraus etwas machen, was nicht nur eine Pflichterfüllung von uns allen hier ist, sondern was ein bisschen mehr ist. Denn wir alle wissen, dass Kunst und Kultur für unsere Identität, für unser Zusammenleben, für die Art und Weise, wie wir die Gesellschaft betrachten, von allergrößter Bedeutung sind und dafür, dass wir uns zurechtfinden in der Welt, wichtig sind. Wir müssen sicherstellen, dass die, die das machen, das auch in Zukunft gut weitermachen können.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich wollte gerade darauf hinweisen: Frau Motschmann, solange Sie stehen bleiben, hat der Minister das Gefühl, er beantwortet noch eine Frage.
(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Deshalb bin ich doch stehen geblieben!)
Dann verdreifacht sich die Redezeit. Aber er war dann mit der Beantwortung auch fertig.
Der nächste Redner ist der Kollege Kay Gottschalk, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7446413 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 161 |
Tagesordnungspunkt | Corona-Steuerhilfegesetz |