28.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 163 / Tagesordnungspunkt 11

Metin HakverdiSPD - Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Staatsanleihekaufprogramm der EZB kann man durchaus als historisch bezeichnen. Wir werden gezwungen, uns zu entscheiden. Es zwingt uns, uns zu bekennen, wie wir die Weichen für Europa politisch stellen wollen. Sich wegducken, darauf hoffen und vertrauen, dass die europäischen Institutionen die Kohlen schon aus dem Feuer holen werden, reicht nicht mehr. Anstelle der Schelte kann man sich heute auch bei der Europäischen Zentralbank bedanken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Danke! Danke dafür, dass sie in der Finanzkrise gehandelt hat, als die Mitgliedstaaten der EU zögerten. Danke dafür, dass sie Verantwortung übernommen hat.

Deshalb ist es wichtig und richtig, die Unabhängigkeit dieser Institution in diesen Tagen zu verteidigen. Deshalb werden wir einen klugen Weg finden müssen, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden, ohne die Glaubwürdigkeit der EZB zu unterminieren.

Bevor man weitere Konsequenzen aus dem Urteil zieht, so wie das heute die AfD tut, lohnt eine vertiefte Befassung mit dem Urteil. Das Bundesverfassungsgericht hat das Anleihekaufprogramm der EZB nicht für verfassungswidrig erklärt. Das Staatsanleihekaufprogramm ist nicht als monetäre Staatsfinanzierung eingestuft worden. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich erklärt, dass Staatsanleiheankäufe der EZB mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Damit ist der intensiv in der deutschen Öffentlichkeit geführte Streit höchstrichterlich entschieden worden. Und damit ist allen Gegnern des Euro und der EZB die argumentative Grundlage entzogen worden.

(Beifall bei der SPD)

Wachen Sie auf bei der AfD! Die Zeiten, in denen Sie das Bundesverfassungsgericht für Ihren Nationalismus vereinnahmen konnten, sind vorbei. Der vermeintliche Erfolg Ihres geschassten ehemaligen Vorsitzenden ist bloß ein Pyrrhussieg. In Wahrheit haben Sie verloren. Das ist die Konsequenz aus diesem Urteil.

Dass man an anderer Stelle über dieses Urteil wird streiten müssen, vor allem, weil es massiv in das Kompetenzgefüge der Europäischen Union eingreift und damit die Europäische Union destabilisieren könnte, ist ein anderes Thema.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronakrise zwingt uns dazu, der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts ins Auge zu sehen. Die Krise verlangt nach gemeinsamen Antworten und nach europäischer Solidarität. Das 21. Jahrhundert verlangt nach einer neuen Europapolitik. Die Welt um uns herum hat sich verändert, nicht nur wegen dieser Krise. China hat sich verändert, die USA haben sich verändert, aber auch Russland, Indien und Brasilien. Die bereits bekannten Herausforderungen des Klimawandels und der Migration kommen hinzu. Wir können nicht bei altem Denken, bei alten Strategien und Konzepten stehen bleiben. Wir müssen auf der Höhe der Zeit Strategien für die Herausforderungen dieses Jahrhunderts entwickeln. Mit alten Rezepten werden wir weder unser Land noch die Europäische Union in eine prosperierende Zukunft führen.

Es stimmt, dass wir im 21. Jahrhundert gemeinsam als Europäische Union bestehen können. Es stimmt, dass wir als Europäerinnen und Europäer unsere Kräfte bündeln müssen, wenn wir unser Schicksal selbst bestimmen wollen. Wir müssen gemeinsam für ein souveränes Europa kämpfen. Erst die Souveränität Europas gewährleistet die Souveränität unseres Landes.

Die Coronakrise ist beispiellos in der Geschichte der Europäischen Union. Was wir jetzt brauchen, sind Durchbrüche auf europäischer Ebene. Diese sind nun in greifbarer Nähe. Die deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Coronakrise und der Vorschlag der EU-Kommission von gestern könnten wegweisend sein. Nur mit gemeinsamen Ausgaben können wir dafür sorgen, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union heil aus dieser Krise herausfinden. Das bedeutet, dass die Staaten, die die Coronakrise nicht so schwer getroffen hat, den Staaten helfen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen werden.

(Beifall bei der SPD)

Es ist eine Jahrhundertkrise, und wir werden Italien und Spanien auch finanziell beistehen müssen. Ich danke Olaf Scholz für diese Initiative. Realismus und Vision zusammenzubringen und dabei die europäischen Partner mitzunehmen, das verdient unseren höchsten Respekt.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Was ist mit Ihren Parteivorsitzenden?)

Ich danke auch der Kanzlerin Angela Merkel; denn nur sie konnte die Fiskalkonservativen in den Reihen der CDU/CSU davon überzeugen, ihren Widerstand aufzugeben.

(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Na, na! Überheben Sie sich mal nicht!)

Das kann aber nur ein erster Schritt zu einer zukünftigen EU sein. Bei diesem ersten Schritt dürfen wir es nicht belassen und auf die nächste Krise warten. Wir müssen jetzt weiterdenken und weiter Richtung Fiskalunion handeln. Wer über gemeinsame europäische Ausgaben spricht, sollte sich auch Gedanken über echte eigene Einnahmen machen;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

auch hier hat der Finanzminister recht. Diese könnten sich aus einer Finanztransaktionsteuer

(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Grandios gescheitert!)

oder aus dem europaweiten Emissionshandel für Luft- und Seeverkehr speisen.

Europäische Solidarität bedeutet auch, dass es in Europa gerecht zugeht. So müssen wir verhindern, dass Menschen in den einzelnen Mitgliedstaaten gegeneinander ausgespielt werden. Damit es in Europa gerecht zugeht, brauchen wir einheitliche Standards in der Steuerpolitik und eine Mindestbesteuerung für Unternehmen. Damit diese Reformen gelingen können, brauchen wir auch in steuerpolitischen Fragen endlich Mehrheitsentscheidungen.

Kolleginnen und Kollegen, es ist die richtige Zeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

(Otto Fricke [FDP]: Was hat das mit den Anleihekäufen zu tun?)

Wir können gemeinsam die Weichen für ein souveränes Europa stellen, oder wir können mit Nationalismus und Egoismus unser Land in die geopolitische Bedeutungslosigkeit manövrieren. Der Fiskalkonservatismus in Deutschland muss sich entscheiden: Europäisiert er sich, damit wir die großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam in Europa bewältigen können, oder geht er zu einem Fiskalnationalismus à la AfD über? Entscheiden Sie sich! Für die SPD steht die Entscheidung bereits fest: Wir entscheiden uns für Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Otto Fricke für die Fraktion der FDP.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7448254
Wahlperiode 19
Sitzung 163
Tagesordnungspunkt Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank
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