Ralf KapschackSPD - Mindestrente
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Der Sozialstaat beweist sich nicht nur in guten Zeiten. Wenn es knackt und knirscht, wird deutlich, ob der Sozialstaat funktioniert. In der Krise wird deutlich, ob die Demokratie funktioniert oder nicht, ob sich die Menschen auf den Staat verlassen können, ob er ihnen hilft, wenn sie Hilfe brauchen. Wir haben in den vergangenen Wochen Entscheidungen getroffen, die zeigen: Die Menschen können sich auf den Sozialstaat verlassen; und das ist gut so.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der Sozialstaat funktioniert – nicht fehlerlos. Wie auch? Aber er zeigt in dieser einzigartigen Krise, wozu er fähig ist.
In diesen Zeiten wird aber auch klar, wer es wirklich ernst meint mit der Solidarität, wer auf Zusammenhalt setzt und nicht auf Spaltung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht auch hier in diesem Hohen Haus Paketboten, Pflegekräfte und die Kassiererinnen im Einzelhandel für ihren Einsatz in der Coronakrise sehr gelobt werden, und das völlig zu Recht. Nur: Lob alleine reicht nicht.
(Beifall bei der SPD)
Wertschätzung hat auch etwas mit konkretem Handeln zu tun. Deshalb finde ich es nicht nur verlogen, sondern ein verheerendes Signal, wenn ernsthaft darüber nachgedacht wird, den Mindestlohn abzusenken. Das geht gar nicht.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist ein Schlag ins Gesicht vieler Tausend Frauen und Männer, die jeden Tag versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und das in oft extrem anstrengenden Jobs und bei niedrigen Löhnen.
Niedrige Löhne bedeuten in der Regel auch niedrige Renten. Wer jetzt einer Senkung des Mindestlohns das Wort redet, der nimmt rasant wachsende Altersarmut in Kauf. Das kommt für uns überhaupt nicht infrage.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ganz im Gegenteil: Wir wollen, dass der Mindestlohn so rasch wie möglich erhöht wird auf 12 Euro.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das würde das Problem der Altersarmut nicht lösen, aber verringern.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Kein Vertrauen in die Arbeitnehmer und Gewerkschaften! – Gegenruf der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Ja, zu Recht!)
Ein funktionierender Arbeitsmarkt, gute Tarifverträge und ordentliche Löhne sind der Schlüssel für eine ausreichende Altersversorgung.
Man könnte auch darüber nachdenken – ich sage das mal ganz offen –, dass Arbeitgeber, die nur den Mindestlohn zahlen, den Rentenbeitrag auf einen Mindestbeitrag für eine armutsfeste Rente aufstocken müssten. Das würde zielgenau jene Arbeitgeber sozusagen in Haftung nehmen, die unzureichende Löhne zahlen, und das würde die Solidargemeinschaft entlasten.
(Beifall bei der SPD)
Nun gibt es ja auch hier einige – das werden wir gleich auch hören –, die sagen: Altersarmut ist ja gar kein Problem. 3 Prozent der über 65-Jährigen sind in der Grundsicherung. Worüber redet ihr? Warum die Aufregung?
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ja nur Existenzminimum!)
Zum einen, weil die Zahl seit Jahren steigt, zum anderen, weil ein großer Teil derjenigen, die Anspruch auf Grundsicherung haben, diese nicht in Anspruch nehmen – aus Scham, aus Unwissenheit und aus der Befürchtung, dass ihre Kinder vom Sozialamt zur Kasse gebeten werden.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Richtig! – Dr. Matthias Bartke [SPD]: So ist es!)
Und – der Zwischenruf war richtig – die Grundsicherung deckt lediglich das Existenzminimum ab. Armut beginnt in diesem Land ganz woanders.
Aber es geht nicht nur darum, Altersarmut zu vermeiden; es geht vor allem darum, sicherzustellen, dass Frauen und Männer, die lange gearbeitet haben, eine ordentliche Rente bekommen.
(Beifall bei der SPD)
Dazu gibt es in diesem Haus unterschiedliche Ideen. Einig sind wir uns da mit den Grünen und Linken, dass die gesetzliche Rente das Fundament für eine gute Altersversorgung bleiben muss.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Einig sind wir uns auch – bei allen Unterschieden im Detail –, dass es eine gesetzliche Rentenversicherung geben soll, in die alle einzahlen,
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zum Beispiel auch Selbstständige, Abgeordnete und auch Beamte.
In ihrem Antrag schlägt Die Linke unter anderem vor, das Rentenniveau bei der gesetzlichen Rente deutlich zu erhöhen. Bei aller persönlichen Sympathie für diese Forderung
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt übertreibst du aber!)
– wart’s mal ab –: Das Rentenniveau ist ein Indikator, der oft missverstanden wird und allein relativ wenig aussagt. Das Rentenniveau ist ja nicht, wie viele meinen, der Prozentsatz des letzten Einkommens, sondern das Verhältnis von Durchschnittseinkommen zur Standardrente, also eine statistische Größe, und die hat unter Umständen kuriose Auswirkungen. Wir werden nämlich im nächsten Jahr erleben, dass das Rentenniveau steigt, weil die Löhne wahrscheinlich nicht so stark steigen wie die Renten in diesem Jahr. Das führt dazu, dass das Rentenniveau steigt, ohne dass sich an der materiellen Situation der Rentnerinnen und Rentner irgendetwas geändert hat. Das zeigt: Das Niveau ist ein Hinweis, aber allein wenig aussagekräftig.
Trotzdem ist es nicht in Ordnung, dass man auch als Durchschnittsverdiener immer länger arbeiten muss, um einen Rentenanspruch zu erwerben, der oberhalb der Grundsicherung liegt. Deshalb war es richtig, den Sinkflug des Niveaus zu stoppen und für die nächsten Jahre zu garantieren, dass das Niveau nicht unter 48 Prozent sinkt. Das hat die SPD durchgesetzt.
(Beifall bei der SPD)
Wie kriegt man es hin, dass Menschen im Alter eine Rente bekommen, die einigermaßen reicht, die anerkennt, wenn eine Frau oder ein Mann lange gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben? Die Linke schlägt unter anderem eine Mindestrente vor
(Beifall bei der LINKEN)
– nicht zu früh klatschen –,
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Wir finden die auch nur gut!)
die unabhängig von Beitragszahlungen an die Rentenversicherung bei 1 050 Euro liegen soll.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Genau! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist keine Rente mehr!)
Das lehnen zum Beispiel der Sozialverband VdK und der DGB ab.
(Daniela Kolbe [SPD]: Aus guten Gründen!)
Ein armutsfestes Existenzminimum ohne Vorleistung, das sei Sache der Grundsicherung und nicht der Rente, schreibt der DBG in seiner Stellungnahme. Da ist was dran.
(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Recht hat er!)
Die Grünen fordern eine Garantierente, die nach 30 Versicherungsjahren auf den Gegenwert von 30 Entgeltpunkten aufgestockt wird. Darüber kann man sich unterhalten, auch wenn es da aus unserer Sicht noch eine Reihe von Details zu klären gibt. Vielleicht haben wir in den nächsten Jahren ja mal Gelegenheit, einen gemeinsamen Vorschlag zu entwickeln.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: In der Opposition!)
Die aktuelle Mehrheit in diesem Haus hat sich für das Modell der Grundrente entschieden, die jetzt auf dem Tisch liegt. Sie ist komplizierter geworden, als es aus unserer Sicht sein müsste; aber es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Mit ihr werden langes Arbeiten, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen anerkannt. Wer 33 Jahre Grundrentenzeiten nachweisen kann, wird eine höhere Rente bekommen. Klar: Man kann über Details immer streiten. Aber es ist nach zwei vergeblichen Versuchen in den vergangenen Wahlperioden jetzt zum ersten Mal so weit, dass ein entscheidungsreifer Vorschlag hier im Parlament liegt.
Die Menschen warten darauf, dass jetzt Ernst gemacht wird – gerade die, die jeden Tag mit ihrem Einsatz unter schwierigsten Bedingungen den Laden am Laufen halten: die Paketboten, die Kassiererinnen im Einzelhandel und die Pflegekräfte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])
Sie haben völlig zu Recht kein Verständnis für taktische Verzögerung und für das Argument, für die Grundrente sei gerade kein Geld da. Die Grundrente ist kein Luxus. Im Gegenteil: Sie steht für Gerechtigkeit und Solidarität. Der Sozialstaat beweist sich nicht nur in Schönwetterzeiten. Gerade jetzt zeigt sich, wer es ernst meint mit der Solidarität in der Gesellschaft und wer auf Zusammenhalt und nicht auf Spaltung setzt.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion der AfD die Kollegin Ulrike Schielke-Ziesing.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7448273 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 163 |
Tagesordnungspunkt | Mindestrente |