28.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 163 / Zusatzpunkt 7

Christian PetrySPD - Aktuelle Stunde – Finanzierungalternativen des europäischen Wiederaufbaufonds

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser Rede, die auch ein Faschist im Dritten Reich hätte halten können – –

(Widerspruch bei der AfD)

Wenn man nämlich vom Versailler Vertrag als Dolchstoß redet und das mit der EU vergleicht,

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Unverschämtheit!)

ist das im Jargon nicht besser.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Unverschämtheit! Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der AfD)

– Und es wird auch durch Ihr Gebrülle nicht besser.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können uns entscheiden: Sind wir für ein Europa der Solidarität, sind wir für ein Europa der Stabilität, oder sind wir für ein wirtschaftliches Europa, sind wir dafür, oder lassen wir unsere Nachbarinnen und Nachbarn alleine? Wir haben die Entscheidung, wir haben die Entscheidungsfreiheit, und das ist gut so. Unsere Interessen sind in europäische Interessen eingebettet – das ist mehrfach genannt worden –, nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, auch im gesellschaftspolitischen Sinne. Die liberalen Demokratien, die Freiheitsrechte, nicht nur die 60 Prozent Binnenmarktanteil sind das, was Europa für uns ausmacht. Dies ist eine große Leistung. Darauf können wir stolz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Die EU hat ambitionierte Programme vorgelegt. 450 Milliarden haben wir mit dem ESM bereits verabschiedet, dem IPE und SURE. Wir haben nun ein Recovery Programme Next Generation EU vor, 500 Milliarden Euro Anleihen, durchfinanziert, rückzahlbar von 2028 bis 2058, entweder über den EU-Haushalt direkt, jedenfalls über den EU-Haushalt, aber möglicherweise auch mit neuen Eigenmitteln, über die wir in der Zukunft sehr seriös diskutieren können.

Hier ist schon viel darüber gesprochen worden, ob dies eigene Abgaben sind, ob das durch Emissionshandel oder durch Steuern geschieht. Bezüglich Steuern kann man durchaus überlegen, ob es möglich ist, internationale wirtschaftliche Tätigkeit immer nur national zu besteuern, oder ob dies eben der Steuervermeidung Tür und Tor öffnet; „Double Irish with a Dutch Sandwich“ ist bekannt. Auch hier ist es eine dankbare Aufgabe, seriös darüber reden zu können, wie wir das regeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man dies alles mit dem mehrjährigen Finanzrahmen zusammenrechnet, dann sind wir bei sehr ambitionierten Summen. Das geht in die Billionen. Der mehrjährige Finanzrahmen über sieben Jahre sieht 1,1 Billionen vor, 750 Milliarden und 450 Milliarden im ersten Programm. Wir sind bei 2,4 Billionen Euro in den nächsten sieben Jahren. Schwerpunktmäßig sollen diese Mittel in den nächsten drei Jahren verausgabt werden, seriös finanziert über den mehrjährigen Finanzrahmen, nicht durch Aufstockungen, sondern in diesem Rahmen. Darauf, dass hier dieses positive Signal, dieses ambitionierte Ziel gesetzt wurde, können wir stolz sein, darauf, dass hier die entsprechenden Aufbauleistungen nach der Krise oder bereits während der Krise beginnend geleistet werden können. Ich finde, das ist eine großartige Chance für Europa.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lieber Ecki Rehberg – wo ist er; da hinten –, leider wird sich durch die drohende Senkung des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr, rechnerisch gesehen, der prozentuale Anteil, wenn es bei den 35 Milliarden bleibt, sowieso erhöhen. Dafür können wir nichts, das ist so, das wird sich ausgleichen. Das ist immer die Schwierigkeit, wenn man nur in Prozentanteilen von etwas rechnet, was mal größer und mal kleiner werden kann. Insoweit sind wir da auf dem Weg.

Ich glaube, das ist wichtig. Denn der Aufruf für Europa, klimaneutral gestaltet mit dem Green Deal, sozial verantwortlich gestaltet mit der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, mit den sozialen Standards wie europäischer Mindestlohn, Arbeitslosenrückversicherung, Kurzarbeitergeld, den sozialen Standards insgesamt, mit einer ordentlichen Gesundheitsvorsorge, mit einer Abstimmung auch für den Krisenfall untereinander – das haben wir ja in der Krise gelernt –, das digitale Europa, die Führerschaft in diesem Punkt wieder zu übernehmen, starke Akteure im Handel, im Welthandel bei gleichzeitiger offener liberaler Demokratie – das ist das, was Europa ausmacht.

Alle anderen Systeme, Systeme, die über den Wirtschaften stehen, die in der Welt groß sind, haben nicht diese Offenheit und die Freiheit, die wir uns erarbeitet und erkämpft haben, die teilweise unsere Vorväter erkämpft haben oder die auch unter dramatischen Ereignissen entstanden sind. Das gilt es zu verteidigen. Es ist ein Aufruf für Europa. Das Signal ist gesetzt. Wir haben unsere Vorschläge dazu gemacht.

Ich glaube, wir tun gut daran, hier mitzumachen. Es wird in den Bundestag kommen, übrigens nicht mit einer Zweidrittelmehrheit, sondern mit einer einfachen Mehrheit. Wer am Montag in der Anhörung war, die im Europaausschuss stattgefunden hat, wird dies auch mitgenommen haben. Es ist aber auch in den Dokumenten nachzulesen. In diesem Sinne sind wir für Deutschland in einem vereinten Europa integriert. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.

Glück auf!

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Petry, zu Ihrer Eingangsbemerkung: Wir sollten wirklich überlegen, ob wir so die Reden hier im Deutschen Bundestag beginnen wollen. Der Kollege Gottschalk fühlt sich von dieser Eingangsbemerkung, die Sie gemacht haben, beleidigt und möchte eine persönliche Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung abgeben. Ich weise darauf hin, dass das ohne Möglichkeit der Erwiderung ist. – Herr Kollege Gottschalk.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7448301
Wahlperiode 19
Sitzung 163
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde – Finanzierungalternativen des europäischen Wiederaufbaufonds
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