29.05.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 164 / Tagesordnungspunkt 23

Carl-Julius CronenbergFDP - Europäische Arbeitnehmerentsendung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Corona löst, wie viele Krisen, Abschottungsreflexe aus. Was aber zum Schutz der Gesundheit geboten erscheint, ist zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen sicher falsch. Grenzüberschreitende Solidarität leidet genauso wie Personenfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Hubertus Heil, dürfen wir uns bei der Umsetzung der Entsenderichtlinie weder von der Pandemie noch von aktuellen Skandalen leiten lassen,

(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)

sondern sollten allein der festen Überzeugung folgen, dass gerade jetzt die europäische Antwort auf Corona lauten muss: Binnenmarkt stärken.

(Beifall bei der FDP)

Entsenderichtlinie und Dienstleistungsfreiheit sind zwei Seiten derselben Medaille. So wie die letztere nicht zum Unterlaufen von Lohn- und Sozialstandards missbraucht werden darf – Kollege Schummer ist darauf eingegangen –, darf die Entsenderichtlinie nicht Markt und Wettbewerb ausbremsen. Die reformierte Richtlinie tut das leider an vielen Stellen; wir haben das schon 2018 kritisiert. Aber jetzt sattelt die Bundesregierung bei der Umsetzung noch auf. Stand da nicht etwas von Eins-zu-eins-Umsetzung bei Bürokratieabbau im Koalitionsvertrag? Das können Sie ja noch mal nachschauen.

Statt Eins-zu-eins-Umsetzung wieder mal Gold-Plating:

Erstens. Die Richtlinie lässt Ausnahmen bei Erstmontagen von bis zu acht Tagen zu; das wird im Gesetzentwurf auf einmal im Jahr acht Tage beschränkt. Das nenne ich noch nicht Ausbeutung.

Zweitens. Dienstreisen ohne Dienstleistungsbezug sind von der Richtlinie ausgenommen. Im Gesetzentwurf wird das auf 30 Tage pro Jahr beschränkt. Warum? Sie bauen hier unter dem Deckmäntelchen des Arbeitnehmerschutzes tatsächlich protektionistische Schlagbäume.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist gefährlich!)

Das ist unnötig und schädlich.

(Beifall bei der FDP)

Fairer Wettbewerb ist Voraussetzung für verbraucherfreundliche Preise und Innovationen und somit für Wohlstand und Wachstum. Deshalb müssen Sozialschutz und Freiheitsschutz immer im Gleichgewicht bleiben.

Denken Sie auch an das europäische Projekt. Lieber Axel Schäfer – ich weiß nicht, ob er da ist –, ihr könnt euch doch nicht allen Ernstes wünschen, dass Arbeitnehmer aus Polen, Ungarn, Rumänien jetzt in Deutschland ihren Job verlieren und zu Hause weniger oder gar nichts mehr verdienen. Lokale Löhne sind eben niedriger als Entsendelöhne.

(Beifall bei der FDP)

Das stört die erfreuliche Aufwärtskonvergenz der letzten Jahre empfindlich – gerade in Osteuropa.

Deutschland ist größtes Zielland für entsandte Beschäftigte und zweitgrößter Entsender. Deshalb hat unser Umgang mit Entsendung Signalwirkung in ganz Europa. Täuschen Sie sich nicht! So wie wir unsere Nachbarn behandeln, so werden sie auch uns behandeln.

(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

Es geht nicht nur um osteuropäische Niedriglöhner. Es geht auch um qualifizierte Fachkräfte aus Italien, Frankreich, Deutschland oder woher auch immer. Es geht um unseren Mittelstand und seine Millionen Beschäftigten, die gern und viel in die EU exportieren. Ohne unternehmensnahe Dienstleistungen keine Exporte von Maschinen und Anlagen! Der Maschinenbau und das grenznahe Handwerk stehen doch auch bei Ihnen auf der Matte und beschweren sich zu Recht über Bürokratie und Protektionismus beim Thema Entsendung. Lieber Carsten Linnemann – er ist auch nicht da –, das können Sie sich doch nicht ernsthaft wünschen. Holen Sie die deutschen Fachkräfte und Handwerker aus dem toten Winkel Ihrer Politik!

(Beifall bei der FDP)

Drei Kernanliegen aus dem Antrag der FDP:

Erstens. Verzichten Sie auf Gold-Plating, und bleiben Sie strikt bei der Eins-zu-eins-Umsetzung der Entsenderichtlinie!

Zweitens. Die A1-Bescheinigung ist ein bürokratisches Ärgernis sondergleichen. Bauen Sie eine einfache App, legen Sie einen KI-Algorithmus darüber, der in alle EU-Sprachen übersetzt, und setzen Sie sich in Brüssel endlich für eine unbürokratische Reform der A1-Bescheinigung mit einheitlicher Auslegung ein!

(Beifall bei der FDP)

Drittens. Machen Sie die Europäische Arbeitsbehörde zur zentralen Anlaufstelle in Sachen Arbeitnehmerentsendung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Ratspräsidentschaft steht vor der Tür. Das darf keine reine Coronaveranstaltung werden. Nutzen Sie die Gelegenheit für eine entschlossene Reformpräsidentschaft! Setzen Sie das Entsendethema mit auf die Agenda! Es geht darum, unseren gemeinsamen europäischen Binnenmarkt zu stärken. Europa wird es Ihnen danken.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt hat das Wort der Kollege Pascal Meiser, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7448803
Wahlperiode 19
Sitzung 164
Tagesordnungspunkt Europäische Arbeitnehmerentsendung
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