Rainer SpieringSPD - Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich würde dem Gesetz noch einen anderen Namen geben wollen: Gesetz zum Schutz von Jugendlichen, Kindern und Verbrauchern gegen Produkte, die gesundheitsschädigend sind. – Das macht die Sache vielleicht einfacher.
(Beifall bei der SPD)
Bevor ich aber auf die Tabakaußenwerbung zu sprechen komme, möchte ich Sie noch ein bisschen mitnehmen. Wir haben uns mit der ganzen Frage sehr intensiv auseinandergesetzt. Eine Zigarette ist schon, chemisch gesehen, ein spannend Ding. Wir verbrennen im Hochtemperaturbereich ein Produkt, von dem wir nicht alles genau kennen. Die Wissenschaft sagt: Es sind in der Zigarette 5 300 Substanzen enthalten, davon nachweislich 90 krebserregend. Dazu kommt dann Nikotin als starkes Nervengift.
Wer sich ein bisschen mit Chemie auseinandergesetzt hat, kennt das Boudouard-Gleichgewicht. Trotz des Boudouard-Gleichgewichts wissen wir selbst bis heute nicht genau, was im Hochofen im molekularen Bereich passiert. Genau so einen Prozess gönnen wir uns bei der Zigarette, und dann bewerben wir das auch noch. Ich finde das spektakulär. Ich finde es auch spektakulär, dass es dieses Land hinbekommen hat, als einziger Staat der Europäischen Union die EU-Richtlinie zur Tabakaußenwerbung zu ignorieren. Damit machen wir heute Schluss.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
So ein Produkt gehört nicht für Kinder und Jugendliche beworben. Ich bin froh, dass das Hohe Haus heute zu dieser Entscheidung kommt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Nun ist der Weg dahin lang gewesen; der Kollege Thies hat das schon charmant beschrieben. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Matthias Miersch und Gitta Connemann sehr bedanken. Gitta, zu dir noch eine besondere Bemerkung: Ich finde, du hast in den letzten sechs Jahren tapfer gestritten. Aber es ist dir über viele Jahre nicht gelungen, die marktradikalen Kräfte der Union zu bändigen. Dass es dann heute mithilfe anderer geklappt hat, finde ich toll.
(Beifall bei der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Der erste Teil hätte gereicht!)
Wenn man den heutigen Tag Revue passieren lässt – der ehemalige Bundesminister Schmidt hat mich eben darauf angesprochen –, dann ist das auch ein Lehrstück, wie in Deutschland Lobbyismus funktioniert. Dazu lassen Sie mich etwas sagen: Ein relativ kleiner Industriezweig mit einer unglaublichen Ertragskraft bekommt es im Gegensatz zu anderen karikativen Einrichtungen mit allen Mitteln hin, ein Land sechs Jahre lang unter Druck zu setzen. Wir alle, die mit denen zu tun gehabt haben, wissen, welche Mittel die Tabaklobby einsetzt und mit welchen Mitteln sie Kommunen pressiert hat, zum Beispiel mit Werbeverträgen. Ich glaube, das sollte uns ein Lehrstück sein, wie wir mit Lobbyismus grundsätzlich umgehen müssen. Diese Form des Lobbyismus der Tabakindustrie gehört abgelehnt.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Da gehören immer zwei dazu!)
Ich will grundsätzlich sagen – das ist mir wichtig –: Ich finde Lobbyismus wichtig. Ich möchte mit den Gewerkschaften reden können. Ich möchte mit den Kirchen reden können. Ich möchte mit dem Bauernverband reden können. Aber ich möchte es nicht unter dem Eindruck machen, dass ich pressiert werde und zum Beispiel mit Arbeitsplatzverlusten gedroht wird. Ich könnte das alles noch ertragen, wenn es nicht um ein Produkt ginge, das uns gesundheitlich massiv schädigt. Der Kollege Thies hat eben darauf hingewiesen, wie viele Menschen in jedem Jahr in diesem Land infolge des Rauchens versterben und wie hoch die Kosten für das Gesundheitssystem sind. Wir leisten es uns, durch eine kleine Industrie die Gesundheit einer ganzen Nation aufs Spiel zu setzen. Das werden wir heute beenden.
(Beifall bei der SPD)
Es muss doch gelten: Allgemeinwohl, in diesem Fall Gesundheit, geht vor Interessenlagen weniger industriell Mächtiger. Auch wenn es sechs Jahre gedauert hat, auch wenn die marktradikalen Kräfte in der CDU gegengehalten haben
(Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
– das müsst ihr schon ertragen können –, zeigt sich doch, wenn wir heute dieses Signal setzen, dass die gesellschaftliche Leistung am Ende des Tages überwiegt. Ich finde, darüber können wir uns angesichts der Entscheidung heute sehr freuen.
Was ist in Zukunft zu tun? Wir reden heute über die Tabakaußenwerbung, aber es geht auch um die Inhalte. Wir haben mit der Union vereinbart, etwas Wichtigeres zu tun, nämlich uns den Inhalts- und Zusatzstoffen zuzuwenden. Wir werden gemeinsam einen Entschließungsantrag einbringen, mit dem wir die wissenschaftlichen Einrichtungen des Bundes auffordern, die Inhaltsstoffe sowohl im Tabakbereich als auch im wenig erforschten Bereich der Verdampfer genau, konsequent und andauernd unter die Lupe zu nehmen. Das können und werden wir als Entschließungsantrag formulieren; aber die Aufgabe hat dann die Regierung zu erfüllen. Wir haben beschlossen, den Entschließungsantrag gemeinsam durch den Bundestag zu bringen. An dieser Stelle kann ich nur Kästner zitieren: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!
(Grigorios Aggelidis [FDP]: Das steht in der Bibel!)
Dann wird man Sie, Frau Ministerin, daran messen müssen, ob Sie in der Lage sind, diesen Auftrag des Parlamentes umzusetzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir im Dienste der Gesundheit der Menschen in diesem Land und vor allen Dingen der Jugendlichen und Kinder dazu kämen, diesen Entschließungsantrag einzubringen und dann durch die Ministerin umsetzen zu lassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist aber ein müder Applaus!)
Ich möchte zum Ende kommen.
(Beifall bei der FDP)
– Was seid ihr Spielverderber!
(Heiterkeit bei der FDP – René Röspel [SPD]: Noch eine Zwischenfrage!)
Dem Kollegen Thies sage ich noch einmal Dank für die Erklärung. Für uns fängt die Arbeit an dem Entschließungsantrag jetzt an. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass in Zukunft die Gefahr durch Zigaretten deutlich geringer wird.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei der SPD)
Das Wort hat Dr. Gero Hocker für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP – Niema Movassat [DIE LINKE]: Jetzt kommt der verlängerte Arm der Tabakindustrie!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7448914 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 164 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes |