18.06.2020 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 166 / Zusatzpunkt 5

Harald WeinbergDIE LINKE - Epidemische Lage von nationaler Tragweite

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich so – das merkt man jetzt auch an dieser Debatte –, dass es logischerweise immer eine Abwägung gibt zwischen den Grundrechtseingriffen auf der einen Seite und dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung in Deutschland auf der anderen Seite.

Diese Abwägung haben wir natürlich in unserer eigenen Fraktion auch immer wieder zu treffen gehabt, auch bei den beiden Coronagesetzen, die verabschiedet worden sind. Wir haben immer wieder sozusagen geguckt: Was ist notwendig, was ist nicht notwendig? Wie weit gehen diese Eingriffe? Ich erinnere an dieser Stelle nur noch mal daran: Wir haben beiden Coronagesetzen so nicht zugestimmt. Wir haben uns beim ersten enthalten, das zweite haben wir abgelehnt, wegen der Punkte, bei denen es um Grundrechtseingriffe ging. Beim ersten ging es im Wesentlichen um die Versammlungsfreiheit. Ich sage mal: So falsch haben wir da nicht gelegen; denn wir haben danach ja erlebt, dass es etliche Gerichtsurteile gab, durch die sozusagen über Gerichte die Versammlungsfreiheit und die Demonstrationsfreiheit wieder durchgesetzt worden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es ist in der Tat richtig: Wir haben auch die Auffassung geteilt, dass es in dieser ersten Phase der epidemischen Lage von nationaler Tragweite richtig und wichtig war, die Kurve flach zu halten, die Kurve flach zu machen, also besonders schnell und entschlossen zu reagieren. Das ist erst mal etwas, was wir sozusagen immer wieder dagegen abgewogen haben.

Die FDP-Fraktion – ich erinnere auch nur noch mal an dieser Stelle daran – hat dem ersten Coronagesetz seinerzeit zugestimmt;

(Christian Dürr [FDP]: Ja!)

das zweite hat sie abgelehnt. Was allerdings schon irritiert, auch mich irritiert, sind die Geschmeidigkeit und auch der nicht geringe Populismus, der mit der Positionsveränderung der FDP einhergeht und einherging.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darin war sie im Übrigen durchaus der AfD nicht unähnlich, die von der Äußerung „Die Regierung macht nicht genug und ist nicht entschlossen genug beim Schutz der Bevölkerung vor dem chinesischen Virus“, wie es damals von Frau Weidel und Herrn Chrupalla genannt wurde, weitergegangen ist zu der Aussage „Das greift alles zu sehr in die Grundrechte der Vermieter und Unternehmer ein“ von Herrn Meuthen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: „die Grundrechte von Vermietern und Unternehmern“, nicht „die Grundrechte der Bürger“!

(Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Sind das keine Bürger?)

Das sind ganz offensichtlich die wesentlichen Zielpersonen dieser Partei.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Das sind ihre Leute!)

Bei der FDP erlebten wir im März einen Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner, der meinte: Wenn die Regierung schon früher auf die FDP zugegangen wäre, hätte sie schon früher Unterstützung für drastische Maßnahmen bekommen, das öffentliche Leben in unserem Land herunterzufahren. – Später erlebten wir einen Wolfgang Kubicki, der meinte, dass die Menschen halt zu Hause bleiben sollten, wenn sie Angst vor dem Virus haben, und der dann auch noch das verschwörungstheoretische Narrativ bediente, als er mutmaßte, dass die Zahlen des Robert-Koch-Instituts den Eindruck vermittelten, politisch motiviert zu sein.

(Enrico Komning [AfD]: Da hat er recht!)

Wirklich die Krone aufgesetzt hat dem dann noch der Herr Kemmerich, der Interims- bzw. Paar-Tage-Ministerpräsident von Thüringen, als er zusammen mit der AfD und Verschwörungstheoretikern unter dem Motto „Für eine zügige Öffnung der Wirtschaft“ nicht nur demonstrierte, sondern auch als Hauptredner auftrat. Bettet man nun die hier vorliegende parlamentarische Initiative in diesen Kontext ein, dann bekommt das durchaus einen schalen Beigeschmack. Das will ich sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christian Dürr [FDP]: Was ist denn Ihre Position, Herr Weinberg? Haben Sie denn eine eigene Position?)

Aber ich will auch durchaus versuchen, der Initiative gerecht zu werden. Denn auch aus Sicht der Linken ist es vom Grundsatz her richtig, den Ausnahmezustand, der der Regierung weitreichende Sonderrechte einräumt und die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive relativiert, so bald als irgend möglich aufzuheben.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wenn ich Ihre Initiative richtig verstanden habe – ich denke, ich habe sie auch richtig verstanden –, ist es ja auch nicht so, dass Sie sagen: „Jetzt weg mit allen Verordnungen und Anordnungen“, sondern dass Sie halt sagen: Sie sollen erst einmal befristet gelten –

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Richtig!)

darauf hat Herr Henke schon hingewiesen –, und sie sollen in der Zeit dieser Frist dann in gesetzliche Maßnahmen übergeführt werden.

(Christian Dürr [FDP]: Sie haben es verstanden!)

Wenn man das so sieht, dann ist es durchaus so – das sichere ich Ihnen auch zu –, dass wir trotz dieses etwas merkwürdigen Spins, den ich eben dargestellt habe, Ihre Initiative im Ausschuss wohlwollend prüfen und kritisch begleiten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Christian Dürr [FDP]: Donnerschlag! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Wir entscheiden immer nach Sachthemen! Wir entscheiden immer sachlich! Das ist der Unterschied! – Weitere Zurufe von der FDP)

– Mehr ist nicht drin, das ist richtig, aber immerhin, das ist ja schon mal was. Und ich denke, im Gegensatz zu einigen Vorrednern habe ich den Aspekt, dass Sie im Prinzip nicht sagen: „Wir wollen jetzt einfach sozusagen alles abschaffen, was gemacht worden ist“, richtig verstanden.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Genau!)

Insofern glaube ich: Das ist zumindest schon mal ein wesentlicher konstruktiver Beitrag zu einer gemeinsamen vernünftigen Diskussion.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Weinberg. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Electoral Period 19
Session 166
Agenda Item Epidemische Lage von nationaler Tragweite
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