Konstantin KuhleFDP - Epidemische Lage von nationaler Tragweite
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der sogenannten epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Natürlich ist das zunächst ein gesundheitspolitisches Thema, und deswegen ist es auch gut, dass aus Sicht der Gesundheitspolitiker hier darüber gesprochen wird.
Die Frage, ob wir diese epidemische Lage aufrechterhalten oder nicht, betrifft aber nicht nur die Gesundheitspolitik, sondern sie betrifft das gesamte Parlament; denn wir haben hier am 25. März, indem wir diese Lage festgestellt haben, entschieden, der Bundesregierung besondere Rechte zu geben. Und ein Parlament, das sich selbst ernst nimmt, ein Parlament, das die Gewaltenteilung ernst nimmt, muss regelmäßig überprüfen, ob die Voraussetzungen für diese Feststellung noch vorliegen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Enrico Komning [AfD])
Denn, meine Damen und Herren: Unter der Pandemie darf auch der Parlamentarismus nicht leiden. Wir waren uns hier im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit einig über die zentralen Voraussetzungen, unter denen es besondere Rechte für die Bundesregierung geben soll: Das ist erstens eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems, und das ist zweitens eine drohende Überforderung einzelner Länder.
Gucken wir uns an, wie es mit dem öffentlichen Gesundheitssystem aussieht. Es gibt einzelne Länder, die es ganz ähnlich gemacht haben wie der Bund und eine sogenannte epidemische Lage von landesweiter Tragweite eingeführt haben. Das Land Nordrhein-Westfalen hat das gemacht, und in Nordrhein-Westfalen läuft diese epidemische Lage von landesweiter Tragweite Mitte Juni aus. Sie ist übrigens – anders als im Bund – nicht auf ein Jahr befristet, sondern wird alle zwei Monate überprüft. Und der CDU-Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen hat am 8. Juni über die dpa gesagt, von einer Überforderung des öffentlichen Gesundheitssystems könne keine Rede sein. Ich will Ihnen was sagen: Angesichts dessen, dass ein Drittel aller Intensivbetten frei ist, hat der Mann recht.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen: Folgen Sie Herrn Laumann, und heben Sie die epidemische Lage von nationaler Tragweite auch auf Bundesebene auf!
Herr Kollege Kuhle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Henke?
Nein, ich würde gern im Zusammenhang vortragen.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit euren Zwischenfragen gewesen? – Karin Maag [CDU/CSU]: Ist das peinlich!)
Schauen wir uns an, wie es mit der zweiten Voraussetzung aussieht: mit der drohenden Überforderung einzelner Länder. Hier ist es so, dass gerade ein Land, das eine mitunter ganz andere Strategie verfolgt hat als Nordrhein-Westfalen, nämlich Bayern, einen Schritt zurückgeht bei den öffentlichen Beschränkungen, beim Katastrophenfall und bei den Sonderermächtigungen für die Staatsregierung. In Bayern ist gestern der Katastrophenfall ausgelaufen. Wem wollen Sie eigentlich was vormachen? Wenn einzelne Länder den Katastrophenfall beenden, wenn andere Länder die epidemische Lage beenden – auf Landesebene –, dann kann doch dieses Parlament nicht an einer epidemischen Lage von bundesweiter Tragweite festhalten. Das passt nicht zusammen, das ist widersprüchlich, und deswegen müssen wir gleichsam zu einer Aufhebung dieser Sonderrechte für die Regierung kommen.
(Beifall bei der FDP)
Ich will auch sagen, dass die einzelnen Beispiele, die hier genannt worden sind – Bremerhaven, Göttingen, Gütersloh –, überhaupt keine Argumente dagegen sind, die epidemische Lage aufzuheben; denn die Beschränkungen, die dort gemacht werden – Schulschließungen, Quarantäne –, sind alle richtig. Es ist absolut zutreffend, dass wir mit dieser Pandemie noch lange zu tun haben werden, und es ist absolut richtig, dass wir lokal gegen Ausbruchssituationen vorgehen müssen. Nur, das hat mit der epidemischen Lage überhaupt nichts zu tun. Hier geht es um die Parlamentsrechte, die gestärkt werden müssen, und die Parlamentsrechte dürfen in dieser Zeit nicht unter den Tisch fallen.
(Beifall bei der FDP)
Liebe Kollegin Klein-Schmeink, das muss ich wirklich sagen: Eine schönere Oppositionsrede als die, die Sie hier gerade gehalten haben, kann sich die Regierung nicht vorstellen.
(Beifall bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: So ist es!)
Das, was Sie hier vorgeführt haben, war der Gipfel der parlamentarischen Selbstentmachtung; da bleibt einem wirklich die Spucke weg.
(Beifall bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: Absolut! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)
Sie haben hier gerade gesagt – ich würde das gerne kurz darstellen –, es würde überhaupt keinen Unterschied machen, ob eine Rechtsetzung durch das Parlament oder durch den Minister erfolgt. Das haben Sie gerade so gesagt. Wenn das zutreffend ist, dann können wir uns die ganze Veranstaltung hier sparen.
(Beifall bei der FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie so nicht gesagt! Das stimmt doch gar nicht! – Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Deswegen: Es scheint ja so zu sein, dass die Grünen wirklich die treuesten Anhänger dieser Bundesregierung sind. Wir haben es doch miteinander, die Große Koalition mit der Opposition, eingerichtet,
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie die Rede noch mal nach!)
dass das Parlament darüber entscheidet, wann diese epidemische Lage endet, und dafür müssen wir auch entsprechende Kontrollbefugnisse haben. Dem sollten wir jetzt nachkommen.
Ich möchte mit einem Zitat von Ralph Brinkhaus und Rolf Mützenich aus dem „Spiegel“ Ende Mai schließen – ich zitiere –:
… unsere Rolle als Parlament verlangt auch, dass wir jetzt überprüfen, wie die Bundesregierung diese Kompetenzen genutzt hat.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir jeden Tag! – Karin Maag [CDU/CSU]: Das machen wir stets und ständig! Da brauchen wir die FDP nicht dazu!)
Und wo es nötig ist, werden wir diese Regelungskompetenzen wieder ins Parlament zurückverlagern.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür brauchen wir aber die FDP nicht!)
In diesem Sinne freuen wir uns über die Zustimmung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das waren schon mal die richtigen Fraktionsvorsitzenden, die zitiert wurden!)
Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Ich habe Sie gesehen, Frau Klein-Schmeink. Ich nehme an, da die Frage nicht zugelassen wurde, dass Sie eine Kurzintervention machen wollen. Ich habe jetzt zwei entsprechende Wünsche vorliegen, und dann ist auch Schluss mit den Kurzinterventionen.
Die erste Kurzintervention macht der Kollege Henke, CDU/CSU-Fraktion.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7452709 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Epidemische Lage von nationaler Tragweite |