Susanne MittagSPD - Polizeibeauftragte/r des Bundes
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren und Kollegen! So. Jetzt wollen wir mal klarstellen, dass die Polizei nicht so denkt wie der Vorredner; denn ich bin auch Polizeibeamtin.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Josef Oster [CDU/CSU] und Konstantin Kuhle [FDP])
Jetzt werden wir mal ganz gepflegt mit angewandtem Realismus weitermachen.
Wir alle haben die Bilder aus den USA gesehen, und wir waren entsetzt – durchgängig – über das Ausmaß und die Auswirkungen von Polizeigewalt. Und obgleich die Verhältnisse in den USA sich historisch und strukturell deutlich von den Verhältnissen in der Bundesrepublik unterscheiden, haben die Bilder des Todes von George Floyd und der Demonstrationen zu einer erneuten und auch berechtigten Diskussion hierzulande geführt.
Auch wir haben ein Rassismusproblem; das ist gar kein Geheimnis. Auch hierzulande werden Menschen immer noch aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft und manche auch einfach nur wegen ihres Namens schlecht behandelt. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, dem wir uns stellen müssen – im täglichen Leben, in der Wirtschaft, in Verbänden und natürlich auch im öffentlichen Dienst –, und ich unterstütze die Diskussionen um Verbesserungen aus ganzem Herzen.
(Beifall bei der SPD)
Dass ein gesellschaftliches Problem vor der Polizei und auch vor der Justiz nicht haltmacht, ist weder neu noch unerkannt. Nicht zuletzt die Ermittlungen in den Mordfällen des NSU haben uns schon vor Jahren gezeigt, dass einseitige Denkschablonen zu erschütternd falschen Ermittlungsergebnissen führen. Daher hat sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan.
Immer mehr Bundesländer haben Polizeibeauftragte eingeführt, auch wenn sie nicht immer so bezeichnet werden. Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Brandenburg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, zuletzt Berlin und seit Jahren auch Niedersachsen, sie alle haben Polizeibeauftragte, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sie sind unterschiedlich besetzt und strukturiert. In Bremen zum Beispiel gibt es einen Beauftragten für den gesamten öffentlichen Dienst.
All diese geschaffenen Ämter haben zum Ziel, verlässliche Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger zu sein – und dazu gehören übrigens auch Polizisten –, die sich ungerecht behandelt fühlen und auch teilweise ungerecht behandelt wurden. Die Beschwerdestellen sind auch am richtigen Ort: in den Ländern bei den Länderpolizeien und beim Bund bei der Bundespolizei. Zusätzlich – das wurde schon erwähnt – wird beim Verfassungsschutz des Bundes unter anderem eine Zentralstelle eingerichtet für Ermittlungen derartiger Fälle im öffentlichen Dienst; die sind ja nun von der Polizei weit genug entfernt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: In den vergangenen Jahren wurden in Bund und Ländern bereits Maßnahmen getroffen, und es wird auch weiter reagiert. Das Einzige, was sich zu meiner Verblüffung nicht verändert hat, ist der Gesetzentwurf, der hier von Bündnis 90/Die Grünen vorliegt – erneut in unveränderter Fassung, wenn man von zwei Umformulierungen absieht. Aber da helfen auch nicht die diversen Ergänzungsanträge, die noch dazugekommen sind.
Wenn man Ihre Anträge liest – und wir wollen ja auch mal mit dem Antrag umgehen –, speziell den neu hinzugekommenen Antrag „Verfassungsfeindliche Tendenzen in der Polizei erkennen und entschlossen angehen“, so erwecken Sie den Eindruck, dass Bund und Länder erst auf die Thematik hingewiesen werden müssen. Ignoriert werden dabei alle bereits getätigten Maßnahmen in diesem Bereich, wie die Überprüfung der Sinnhaftigkeit und Effizienz der getätigten Maßnahmen, die Arbeit im Bereich Prävention sowie in der Aus- und Weiterbildung.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Empirische Zahlen, die gibt es doch gar nicht!)
So viele engagierte Menschen arbeiten bereits an den Verbesserungen, und das fällt dabei völlig hinten runter. Vielleicht sollte sich der eine oder andere Verfasser mal beispielhaft in Niedersachsen erkundigen – das hat ja neulich schon mal gut geklappt –, was in diesem Bereich schon fortlaufend gemacht wird. Dieses Thema wird sicher auch – das ist schon erwähnt worden – in den laufenden Innenministerkonferenzen erörtert werden.
Aber ein Aspekt in diesem Antrag ist sehr interessant; allerdings ist das zumindest teilweise schon in Arbeit. Sie fordern darin im Grunde eine stärkere Hell- und Dunkelfeldforschung. Sie möchten über die Polizeistatistiken hinaus mehr über das Ausmaß gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtsextremistische Einstellungen erfahren. Dieser Forschungsansatz – Hell-/Dunkelfeld – ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir auch schon debattiert und forciert haben im Periodischen Sicherheitsbericht
(Konstantin Kuhle [FDP]: Wann kommt der denn?)
– erst mal die Nerven bewahren, nicht? –, der Anfang 2021 erscheinen wird.
Ein Forschungsauftrag, wie Sie ihn fordern, würde zunächst mal klären, in welchem Umfang verfassungsfeindliche Tendenzen bestehen. Da würde ich allerdings auch noch ein bisschen weitergehen und den gesamten öffentlichen Dienst einbeziehen; da gibt es ja Vernetzungen.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man gerne machen!)
Also: Nicht nur die Polizei in den Blick nehmen, wie im Antrag vorgeschlagen, sondern auch die Justiz, Verwaltung und – nicht zu unterschätzen – den Bildungsbereich. Denn leider werden auch in diesen zentralen Bereichen immer wieder Menschen mit verfassungsfeindlicher Gesinnung auffällig.
Bislang gibt es dazu nur begrenzt realistische Einschätzungen. Meines Erachtens emotionalisieren die einen die Rassismusdebatte sehr, andere ignorieren oder instrumentalisieren sie. Eine Faktenlage würde allen Beteiligten in der Debatte helfen.
Was die Forschung angeht, ist es aktuell so, dass die südlichen Bundesländer und auch der Bundesinnenminister sie allein für die Polizei ablehnen. Es ist höchste Zeit, diesen Widerstand aufzugeben; denn das Ausmaß an Verfassungsfeindlichkeit und Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst zu erforschen, ist ein ganz wichtiger Schritt. Das Spektrum zu erweitern, hilft vielleicht dabei, dass dieses Projekt durchgesetzt werden kann. Wenn wir mehr darüber wissen, können Bund und Länder gezielter mit Prävention, Aus- und Fortbildung und Organisationsanpassung strukturell reagieren. Stattdessen müssen wir uns mit wiederkehrenden Anträgen zu möglichen Fehlentwicklungen befassen, und das ist sehr schade.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen eine Anhörung im Ausschuss!)
Das bringt mich zurück zur Forderung der Grünen. Sie fordern einen Bundespolizeibeauftragten, der für die Bundespolizei, das BKA und den Zoll sowie für die Polizei des Deutschen Bundestages zuständig und unabhängig sein soll. Das klingt gut und wäre auch eine gute Sache – abgesehen von der Praktikabilität –, wenn es darum ginge, eine übergeordnete Instanz zu haben, die die Polizeien mit beaufsichtigt und strukturelle Defizite oder mögliche Tendenzen in der Arbeit der Polizei erkennen kann. Aber was Sie hier fordern, ist etwas anderes. Das Ziel ist eine weitere Beschwerdestelle – so steht es drin – für alle Bürgerinnen und Bürger und natürlich auch Beamte; alle können sich an sie wenden. Und: Der Beauftragte soll parallel zu den eventuell laufenden staatsanwaltlichen oder Disziplinarermittlungen arbeiten. Es gibt also drei Ebenen. Das heißt, ein Beamter, dem ein Fehlverhalten vorgeworfen wird, hat sich, würde man dem Antrag folgen, auf drei verschiedenen Ermittlungsebenen mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen. Das ist nicht wirklich hilfreich. Zusätzlich zu diesen Parallelermittlungen soll auch noch das Beschwerdemanagement durchgeführt werden. Dann soll er auch noch beraten und begleiten, was eigentlich eine anwaltliche Aufgabe ist. Was soll ein Bundespolizeibeauftragter eigentlich noch alles machen?
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert doch: in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz! Die machen das genau so! Da klappt das wunderbar!)
Ich denke, da kommen wir dem, was wir eigentlich gemeinsam wollen, nicht wirklich näher.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss sich etwas ändern in unserer Gesellschaft. Dabei wollen wir alle gesellschaftlichen Gruppen mitnehmen, weil wir ihnen das zutrauen; das bedeutet in diesem Fall: auch mit der Polizei, die unter verallgemeinernden Schuldzuweisungen ebenso leidet wie jeder andere, der pauschal zu Unrecht diskreditiert wird. Deswegen werden wir diese Anträge ablehnen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Der nächste Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Konstantin Kuhle.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7452744 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Polizeibeauftragte/r des Bundes |