André HahnDIE LINKE - Polizeibeauftragte/r des Bundes
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir, will Die Linke eine Beschwerdestelle für die Polizeibehörden des Bundes schaffen, an die sich Bürgerinnen und Bürger, aber auch Angehörige der Polizei selbst mit ihren Kritiken und Hinweisen über polizeiliches Fehlverhalten wenden können. Auch die Vorlagen von Bündnis 90/Die Grünen zielen auf die Einrichtung der Stelle eines oder einer unabhängigen Polizeibeauftragten als Ansprechpartner ab. Ich sage ganz klar: Ja, wir brauchen eine solche unabhängige Beschwerde- und Eingabestelle.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich füge hinzu: Der Name ist für uns dabei eher zweitrangig.
Ich sage auch, damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch wir sind überzeugt, dass der weit überwiegende Teil der Polizistinnen und Polizisten in unserem Land seine Arbeit gewissenhaft, professionell und kompetent erledigt, und dafür bedanken wir uns bei den Angehörigen der Polizeibehörden in Bund und Ländern; denn es ist ganz gewiss auch Ergebnis ihrer Arbeit, dass wir in diesem Land mit einem vergleichsweise hohen Sicherheitsstandard leben können.
(Beifall bei der LINKEN – Thomas Ehrhorn [AfD]: Eben nicht!)
Dennoch, meine Damen und Herren, müssen wir auch über die Fälle polizeilichen Fehlverhaltens sprechen. Wir müssen darüber reden, weil es diese Fälle gibt und weil sie unzureichend aufgeklärt werden. Kriminologen der Ruhr-Universität Bochum kamen 2019 in der ersten systematischen Untersuchung zu rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland zu dem Ergebnis, dass auf rund 3 400 Fälle nur 7 Verurteilungen kommen. Betroffene haben den Eindruck, dass sie sich nicht durchsetzen können und dass ihre Anzeigen keinen Erfolg haben. Etwa 80 Prozent aller Fälle von unverhältnismäßiger oder gar strafbarer Polizeigewalt werden daher erst gar nicht angezeigt.
Es geht uns aber nicht nur um das Fehlverhalten einzelner Beamter, sondern – das zeigen nicht zuletzt die eklatanten Ermittlungspannen im Zusammenhang mit dem Terrornetzwerk NSU – es geht auch um ein strukturelles Defizit in Teilen der Ermittlungsbehörden. Deshalb wollen wir mit der unabhängigen Beschwerdestelle einen Rahmen schaffen, um solche Fälle aufzuklären und möglichst zu verhindern. Das sind wir den davon betroffenen Bürgerinnen und Bürgern schuldig.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir müssen es aber auch im Interesse der großen Mehrheit der Polizistinnen und Polizistinnen tun, die redlich sind und gewissenhaft ihre Aufgaben erfüllen; denn es gibt eben leider auch gravierendes Fehlverhalten, wodurch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Integrität der Polizeibehörden nachhaltig erschüttert werden kann. Dem müssen wir entschieden entgegentreten.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen, dass sich jeder in diesem Land mit seinem Anliegen vertrauensvoll an die Polizei wenden kann und dass keiner befürchten muss, wegen seiner Herkunft oder seiner Hautfarbe benachteiligt zu werden.
Es ist schon mehrfach gesagt worden: Zehntausende Menschen in aller Welt gehen nach dem schrecklichen Tod von George Floyd in den USA in diesen Tagen gegen rassistische Polizeigewalt und rassistische Diskriminierung auf die Straßen. Wir als Linke begrüßen das ausdrücklich; denn rassistische Ausgrenzung ist leider auch für viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein ernstes Problem, mit dem sie alltäglich konfrontiert sind. Zum Glück haben wir noch keine amerikanischen Verhältnisse, sind weit davon entfernt. Aber es ist unsere gemeinsame Aufgabe, alles zu tun, damit das auch so bleibt.
(Beifall bei der LINKEN)
Gerade deshalb müssen wir auch über Rassismus und Rechtsextremismus in den deutschen Sicherheitsbehörden sprechen. Da stellen sich natürlich einige Fragen: Wie kann es dazu kommen, dass die Polizei bei den Ermittlungen in der NSU-Mordserie ihre Ermittlungsgruppen BAO „Bosporus“ oder Soko „Halbmond“ nennt, alle Hinweise auf einen rechtsterroristischen Hintergrund der Taten ignoriert und stattdessen vor allem im Umfeld der Opfer ermittelt? Wie kommt es dazu, dass die Kölner Polizei nach sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2017 den Arbeitsbegriff „Nafri“ kreiert, der für „nordafrikanische Straftäter“ stehen soll? Und wieso ist in unserem Land die Wahrscheinlichkeit, mit einer dunkleren Hautfarbe in eine Polizeikontrolle zu geraten, ungleich größer als bei allen anderen Menschen? Das sind nur einige der Fragen, die wir unter dem Stichwort „institutioneller Rassismus“ dringend stellen müssen. Dazu könnte ein Forschungsprojekt, wie es die Grünen in ihrem Antrag fordern, durchaus hilfreich sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Das setzt allerdings voraus, dass ein solches Projekt transparent ausgestaltet wird, von Beginn an durch eine Fachöffentlichkeit begleitet und unabhängig durchgeführt werden kann, also ohne ministerielle Einflussnahme.
Deshalb ist es weder in der Sache hilfreich noch ist es im Interesse der Polizei, wenn sich Innenminister und Union – auch das ist heute schon gesagt worden – mantraartig hinter dem Vorwurf des Generalsverdachts verschanzen, statt an Konzepten mitzuwirken, wie die Rechte betroffener Bürgerinnen und Bürger besser geschützt werden können und zugleich die Polizeiarbeit verbessert werden kann.
Wir brauchen diese unabhängige Beschwerdestelle, weil die bisherigen Instrumente – von der Dienstaufsichtsbeschwerde bis hin zur Strafanzeige – ganz offensichtlich unzureichend sind. Diese Beschwerdestelle muss räumlich und institutionell getrennt von den bestehenden Polizeidienststellen eingerichtet werden, damit auch Polizistinnen und Polizisten, die mit bestimmten Dingen in ihrem Tätigkeitsbereich nicht einverstanden sind, ebenfalls Beschwerden vorbringen können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
(Beifall bei der LINKEN)
Letzte Bemerkung: Die Erscheinungsformen von Rassismus sind sehr vielfältig. Wir müssen dafür sensibilisieren, und wir müssen endlich dagegen aktiv werden: in der Gesellschaft, aber auch bei der Polizei.
(Beifall bei der LINKEN)
Der nächste Redner ist der Kollege Armin Schuster, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7452923 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Polizeibeauftragte/r des Bundes |