18.06.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 166 / Zusatzpunkt 12

Christine Lambrecht - Aktuelle Stunde: Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sexueller Missbrauch fügt Kindern unermessliches Leid zu. Sie können diese Übergriffe nicht verstehen; ganz oft können sie auch nicht darüber reden. Und das, was alle Kinder in diesem Land, auf dieser Welt eigentlich haben sollten, nämlich das Vertrauen, dass sie sicher und geborgen leben können, das wird aufs Schlimmste verletzt. Menschen, die als Kind sexuell missbraucht worden sind, leiden ein Leben lang darunter.

Die jüngsten Ermittlungen zum Missbrauch von Münster, Bergisch-Gladbach und Lügde, diese systematisch organisierten Gräueltaten gegenüber Kindern lassen uns fassungslos zurück. Sie machen uns traurig – und ich muss zugeben: Mich machen sie auch richtig wütend.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei dieser Wut dürfen wir aber nicht stehen bleiben, sondern wir sind aufgefordert, mit allen Möglichkeiten, die wir haben, diese widerlichen Verbrechen zu verhindern, aufzudecken und – wenn sie vollzogen wurden – auch entsprechend mit Strafen zu belegen.

In der Diskussion der letzten Tage ist die Forderung erhoben worden, ich müsse im Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch – wörtlich – „aus dem Quark“ kommen. Ich denke, diese Einschätzung kann man nur dann haben, wenn man die von mir angestoßenen Entscheidungen entweder ignoriert oder vielleicht überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. Ich bin seit einem Jahr im Amt, meine Damen und Herren, und in diesem Jahr habe ich mehrere Initiativen auf den Weg gebracht, um den Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch konsequent zu führen:

Auf meine Initiative wurde den Ermittlern die Möglichkeit gegeben, sich mit computergenerierten Bildern Zugang zu widerlichen Chatgruppen im Darknet zu verschaffen, um so Täter aufspüren zu können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auf meine Initiative wurde das Heranwanzen von Erwachsenen an Kinder und Jugendliche im Internet, um so einen Missbrauch vorzubereiten, vollständig unter Strafe gestellt.

(Beifall bei der SPD)

Gleich im Anschluss an diese Aktuelle Stunde werden wir das von mir vorgelegte Gesetz gegen Hasskriminalität beschließen. In diesem ist auch vorgesehen, dass in Zukunft Plattformen dann, wenn ihnen Kinderpornografie gemeldet wird, dies nicht nur löschen und sperren müssen, sondern auch verpflichtet sind, dies an das Bundeskriminalamt weiterzuleiten, damit zu diesen Tätern, zu diesen Verbrechen schnell Ermittlungen folgen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und ich werde heute Abend hier den Entwurf eines Gesetzes einbringen, das es ermöglicht, kinderpornografische Inhalte auch auf Messenger-Diensten wie zum Beispiel WhatsApp zu verfolgen.

(Beifall bei der SPD)

Das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Ermittler die erforderlichen Mittel in die Hand bekommen, um diese widerlichen Täter dingfest zu machen. Diese Entdeckungsgefahr, diesen Verfolgungsdruck müssen die Täter spüren. In diesem Zusammenhang wird dann oft der Einwurf vorgebracht: Es handelt sich doch um Triebtäter, und da wird ein solcher Verfolgungsdruck gar nichts bringen. – Ich sage zu diesen Tätern ganz klar: Sie handeln planmäßig – sehr planmäßig –, sie täuschen ihr Umfeld sehr bewusst, und sie setzen ihre Opfer perfide unter Druck. Sie müssen wissen, dass all das nichts hilft, dass wir sie aufspüren und dass wir sie konsequent zur Verantwortung ziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört dann auch, dass diese widerlichen Straftaten mit Strafen geahndet werden, die dem Unrecht entsprechen.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Was nur nicht passiert!)

Es ist richtig, dass schwerer Kindesmissbrauch auch heute schon mit Strafen von bis zu 15 Jahren geahndet werden kann; Sicherungsverwahrung ist heute ebenfalls möglich, auch bei Ersttätern. Aber ein Blick in die Statistik zeigt uns, dass gerade einmal 0,5 Prozent aller Verurteilungen bei schwerem Kindesmissbrauch, also mit Gewaltanwendung, den Strafrahmen von 10 bis 15 Jahren nutzen. Bei diesen schweren Fällen wird jede dritte Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Das macht deutlich, dass Handlungsbedarf besteht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will, dass in Zukunft jeder sexuelle Missbrauch ohne Wenn und Aber ein Verbrechen ist.

(Beifall bei der SPD)

Das muss sich auch in den Strafen abbilden, und deswegen werde ich dafür sorgen, dass dies geschieht, zum Beispiel dadurch, dass es einen minderschweren Fall von schwerem Kindesmissbrauch in Zukunft nicht mehr geben wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Frei, Sie haben hier Vorschläge von der Unionsfraktion vorgelegt. Ich kann Ihnen schon heute sagen, dass sich davon einiges in dem Vorschlag, den ich demnächst vorlegen werde, wiederfinden wird. Bei einem sind wir allerdings absolut anderer Meinung; denn Sie schlagen vor, dass auch der Besitz von Kinderpornografie in Zukunft ein Vergehen bleiben soll. Das halte ich für falsch, und das werde ich anders regeln. Das kann ich heute schon ankündigen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will, dass auch der Besitz von Kinderpornografie, hinter dem ein Kindesmissbrauch steht, als Verbrechen eingestuft wird; das ist ein wichtiges Signal.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich weiß, dagegen gibt es Einwände: Dann kann man nicht mehr zu Einstellungen kommen. Und dann kommt oft der Hinweis, dass der Besitz von Kinderpornografie gerade unter Jugendlichen besonders gehandhabt werden muss. Ja, das ist richtig. Ich glaube aber nicht, dass es richtig ist, Jugendlichen zu signalisieren, dass bei Besitz von Kinderpornografie die Verfolgung wegen Geringfügigkeit – und das ist die Folge von Einstellungen – eingestellt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wäre ein völlig falsches Signal an Jugendliche, gerade auch den Betroffenen gegenüber.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die WHO schreibt uns ins Stammbuch, dass es wahrscheinlich in jeder Schulklasse zwei missbrauchte Kinder gibt. Deswegen müssen wir deutlich machen, auch gegenüber Jugendlichen, dass hinter diesen Bildern schreckliche Verbrechen stehen. Das bedeutet nicht, dass jeder Jugendliche, der ein solches Bild auf dem Handy hat, zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt werden muss; denn schon heute haben Jugendrichter natürlich die Möglichkeiten, bei Jugendlichen altersentsprechende Strafen oder Sanktionen zu verhängen, beispielsweise erzieherische Maßnahmen. Aber diese müssen meiner Meinung nach auch sein. Es muss klar werden: Kinderpornografie ist kein Witz und keine Kleinigkeit. Nein, das ist ein widerliches Verbrechen, hinter dem der Missbrauch eines Kindes steht, und das muss jedem gegenüber deutlich gemacht werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Aber neben diesen strafrechtlichen Veränderungen brauchen wir auch ganz dringend eine Fortbildungspflicht für Familienrichterinnen und Familienrichter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Letzte Woche abgelehnt!)

Oft wird nach dem Grundsatz entschieden, dass die Kinder am besten in der Familie aufgehoben sind.

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Darüber reden wir schon so lange!)

– Ja, genau, und deswegen mache ich es jetzt auch, weil ich es satt habe, dass wir darüber reden. Ich nutze als Justizministerin die Möglichkeit, die ich habe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es muss nämlich Schluss sein damit, dass solche Entscheidungen zulasten von Kindern getroffen werden. Der Grundsatz „Das Kind ist am besten in der Familie aufgehoben“ ist in den allermeisten Fällen richtig; aber es gibt auch andere Situationen. Die schrecklichen Aufklärungen aktuell in Münster machen doch deutlich, dass man hier besser entschieden hätte, wenn man das Kind aus der Familie herausgenommen hätte. Den Kindern wäre furchtbares Leid erspart geblieben. Wir müssen die Richter befähigen, solche sensiblen Entscheidungen zu treffen, auch durch die Fortbildungspflicht, die in Zukunft besteht. Das ist ganz wichtig, wenn wir unsere Kinder schützen wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Und wer es ernst meint mit dem Schutz von Kindern, der muss auch darüber reden, dass wir Kinderrechte im Grundgesetz verankern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Das ist keine weiße Salbe. Das Grundgesetz ist unsere Werteordnung. Wenn wir Kinderrechte darin verankern, dann bedeutet das, dass jedes staatliche Handeln – die Exekutive, die Legislative und die Judikative – verpflichtet ist, das Kindeswohl im Blick zu haben, beispielsweise bei Anhörungen und auch bei solchen Entscheidungen. Deswegen kann ich Sie nur auffordern, lieber Koalitionspartner, meine Damen und Herren von der CDU/CSU – wir haben es im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart; ich habe einen maßvollen Vorschlag vorgelegt –: Lassen Sie uns endlich dort über diesen Vorschlag diskutieren, wo solche wichtigen Debatten stattfinden müssen, nämlich hier im Parlament. Da gehört es hin. Deswegen: Geben Sie sich einen Ruck, und lassen Sie uns im Interesse der Kinder auch über diesen Vorschlag sprechen.

(Beifall der Abg. Josephine Ortleb [SPD])

Ich werde Ihnen in der nächsten Sitzungswoche einen umfassenden Vorschlag unterbreiten, wie wir aus dieser Wut und dieser Verzweiflung über das, was aufgedeckt wurde, konsequente Handlungen folgen lassen, meine Damen und Herren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der AfD die Kollegin Mariana Iris Harder-Kühnel.

(Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD: Oje!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7452946
Wahlperiode 19
Sitzung 166
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen
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